Der Hartnäckige

Rezension

Mit dem Begriff “Leadership”, wohl erstmals von John P. Kotter 1982 gebraucht, ist eine Art der Führung gemeint, die sich nicht nur auf Management beschränkt, sondern auch Visionen entfaltet und dadurch andere mitreißt. Ist der Grüne Hans-Christian Ströbele ein Politiker, den Eigenschaften auszeichnen, die ihn als “Leader” erscheinen lassen?

Die Biografie über Ströbele von Stephan Reinecke gibt darauf eigens keine Antwort, indirekt schon. Sie fängt aufregende Zeiten ein: die Jahre der “Roten Armee Fraktion”, die Gründung der Grünen, die CDU-Spendenaffäre unter Helmut Kohl, die Kreuzberger Szene, die Enthüllungen des NSA-Insiders Edward Snowden. Und Ströbele ist immer dabei.

Reinecke hatte bereits über Otto Schily, den Kollegen, Vertrauten und Konkurrenten Ströbeles, eine Biografie geschrieben. Wie Schily ist Ströbele ein Sohn aus gutem Haus, der Jura studierte – nach seiner Zeit bei der Bundeswehr. In Berlin rief er das Sozialistische Anwaltskollektiv ins Leben, gemeinsam mit Horst Mahler, einem späteren Linksterroristen und heutigen Rechtsextremisten. Vom spektakulären Stammheim-Prozess ausgeschlossen und angeklagt wegen Unterstützung des Hungerstreiks seiner Mandanten und des Aufbaus eines Informationssystems zwischen inhaftierten Terroristen und ihren Unterstützern außerhalb des Gefängnisses, erhielt Ströbele eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten. Die SPD trennte sich von ihm wegen seiner Nähe zu den Strafgefangenen aus der RAF, die er als “Genossen” bezeichnete. So wirkte er Ende der siebziger Jahre mit, die “Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz” zu gründen, die sich als Berliner Landesverband von Bündnis90/Die Grünen etablierte.

Dem Bundestag gehörte Ströbele von 1985 bis 1987 und von 1998 bis 2002 jeweils als Listenabgeordneter an. Viermal hintereinander gewann er seit 2002 das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg. Ob er 2017 als dann 78-Jähriger eine erneute Kandidatur anstrebt, ist offen.

Eine spezifische Stärke des Buchs besteht darin, dass Reinecke mit hoher Empathie das Leben Ströbeles detailliert einfängt: sein Wirken, seine Erfolge, seine Niederlagen, seine Hartnäckigkeit. Auch wer den Porträtierten kritischer sieht, empfindet ihn nach der Lektüre als authentisch. Intrigantentum zeichnet ihn nicht aus. Er hat stets mit offenem Visier gekämpft. Das anschaulich geschriebene Buch, zudem gut recherchiert, lässt indirekt die Politik der vergangenen fünf Jahrzehnte Revue passieren.

Die 68er-Bewegung hat die Gesellschaft verändert und die Gesellschaft deren Militanz. Für Hans-Christian Ströbele gilt dies am wenigsten. Ihm kommt nicht das Prädikat zu, Leadership zu repräsentieren. Dafür war er gegenüber der Spitze seiner Partei illoyal (Wahlkampfmotto: “Ströbele wählen heißt Fischer quälen”), zu sehr Außenseiter, der wenig selbstkritisch an seinen Dogmen festhielt, und zu wenig Charismatiker.

Stefan Reinecke: Ströbele. Die Biografie, Berlin Verlag, Berlin 2016, 464 Seiten, 24 Euro.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation II/2016 Leadership. Das Heft können Sie hier bestellen.