Die Mitglieder der Parteien und erst recht ihre Führungsleute pflegen sich frühzeitig und intensiv Gedanken zu machen, wie es weitergehen solle mit der Personalpolitik – am allermeisten vor einer Bundestagswahl. Posten sind Politik.
Der Spruch, erst habe der Wähler zu entscheiden, danach gehe es bei Koalitionsverhandlungen um die Sachpolitik und erst ganz am Ende stünde die Besetzung von Posten in Regierung und Parlament an, ist eine Ausrede. Niemand will sich vorzeitig in die Karten schauen lassen.
Vor der Bundestagswahl im Februar ging es in der CDU und in der SPD um die Frage, dass später, wenn der Zeitpunkt der Personalauswahl gekommen sei, bestimmte Landesverbände bei der Vergabe von Ämtern und Positionen nicht bevorzugt werden dürften. Doch warum ist das so? Und welche Ämter sind betroffen?
Die entscheidenden Posten
Es geht um eine überschaubare Zahl der Posten in Berlin, die bei derlei Überlegungen und Auseinandersetzungen eine maßgebliche Rolle spielen. Neben dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler und dem Bundestagspräsidenten sind es die Bundesminister, die Fraktionsvorsitzenden und allenfalls noch die Generalsekretäre der Parteien.
Die Staatsminister in Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt sowie die Parlamentarischen Staatssekretäre in den Ministerien sowie die Bundestagsvizepräsidenten sind von minderem Gewicht. Oft werden sie als Wiedergutmachung für bei den wichtigen Ämtern zu kurz gekommenen Landesverbänden vergeben. Diese finden das trotzdem nicht schön.
Bei der Bildung der Bundesregierung ist das Grundgesetz das eine. Danach werden die Bundesminister „auf Vorschlag des Bundeskanzlers“ vom Bundespräsidenten ernannt. Der Koalitionsvertrag, den Parteien abschließen, ist das andere. Dort wird die Führung der Bundesministerien in die Hände der Parteien gelegt, die die künftige Regierung tragen.
Rücksichten
Die politische Realität schließlich ist das Dritte. Die Vorsitzenden der Regierungsparteien haben bei der Besetzung „ihrer“ Ministerposten Rücksichten zu nehmen. Sie müssen auf Interessen ihrer Landesverbände achten. Sie müssen auf die unterschiedlichen Flügel Rücksicht nehmen. Und sie müssen nicht zuletzt auf die Frauenquote achten.
Nicht einmal der künftige Bundeskanzler kann „seinen“ Teil der Bundesminister allein bestimmen. Thorsten Frei, als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und späterer Kanzleramtschef eine der Machtmaschinen der CDU, machte dies vor Wochen deutlich. Friedrich Merz bereite seine Vorschläge nicht „im stillen Kämmerlein“ vor, sondern beziehe die Einschätzungen von vielen Parteifreunden, auch aus den Landesverbänden, in seine Überlegungen ein.
Deutschland ist keine Kanzlerdemokratie. Die im Grundgesetz niederlegte Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ist wohlfeil. Der Verfassungswirklichkeit entspricht sie nicht. Ein Bundeskanzler und die Parteivorsitzenden haben bei der Vergabe von Posten nicht freie Hand. Personalpolitik ist auch Machtkampf.
Übergewichte
Bei der CDU und der SPD war die Ausgangslage eine politische Herausforderung sondergleichen. In der CDU gab es eine Fülle von ministrablen Politikern, die allesamt aus Nordrhein-Westfalen stammen. Neben dem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz waren es der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der ehrgeizige Jens Spahn, der frühere Parteivorsitzende Armin Laschet, der Außenpolitiker und frühere Bundesminister Norbert Röttgen sowie der ehemalige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus. Dass es sich ausschließlich um Männer handelte, kam erschwerend hinzu.
Bei den Sozialdemokraten gab es ein ähnliches Problem – nämlich einen ebenfalls männlichen Überhang in Niedersachsen. Dem dortigen SPD-Landesverband gehören der Partei-Ko-Vorsitzende Lars Klingbeil, der damalige Generalsekretär der Bundespartei Matthias Miersch sowie die da noch amtierenden Bundesminister Hubertus Heil (Arbeit und Soziales) und Boris Pistorius (Verteidigung) an.
Das Übergewicht des niedersächsischen Landesverbands in der SPD hat Tradition. Zu Zeiten der Kanzlerschaft des Niedersachsen Gerhard Schröder kamen auch Peter Struck (Fraktionschef und dann Verteidigungsminister), die Bildungsministerin Edelgard Bulmahn und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Wilhelm Schmidt, aus Niedersachsen.
Auch Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier und Brigitte Zypries (Staatssekretärin und spätere Justizministerin) hatten ihre politischen Wurzeln in Niedersachsen. Dass der SPD-Vorsitzende Klingbeil als junger Mann in Schröders Büro gearbeitet und wohl auch gelernt hat, zeigt, wie wichtig Lehrmeister und Seilschaften sind.
„Junge Sozialdemokraten in Niedersachsen in den Achtziger-, Neunzigerjahren sind massiv von Schröder geprägt worden“, hat kürzlich der langjährige niedersächsische Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) in der „Zeit“ gesagt.
Ausgleich der Interessen
Entsprechend meldeten sich in CDU und SPD frühzeitig die Bedenkenträger. Die einen forderten eine angemessene Beteiligung von Frauen. Auch wurde davor gewarnt, andere große Landesverbände bei der Vergabe von Ämtern zu übergehen. Solche Warnungen können nicht umstandslos übergangen werden. Die Geschlossenheit von Parteien ist – gerade zu Beginn einer Wahlperiode und angesichts der schlechten Wahlergebnisse von Union und SPD – von großer politischer Bedeutung.
Zumal die großen Landesverbände im Westen und die ostdeutschen Parteiverbände Wert auf eine angemessene Beteiligung legen. Es geht um die Befriedigung von Interessen der ehrgeizigen Mitglieder und um das Ansehen der Landesverbände daheim. Das ist ein Wert an sich – wenn es zum Beispiel um die Chancen bei Landtagswahlen geht.
Natürlich ist es immer wieder vorgekommen, dass Mitglieder eines Landesverbandes sämtliche wichtige Posten am Sitz der Bundesregierung besetzten. Als es der FDP noch besser ging und sie eine mßgebliche Rolle in der Bundespolitik spielte – das war zu Bonner Zeiten –, dominierte der NRW-Landesverband wie niemals später.
Die Saarländer
Zu Zeiten des Bundeskanzlers Helmut Schmidt stammten drei von vier FDP-Bundesministern aus Nordrhein-Westfalen: Hans-Dietrich Genscher (Außenminister, Vizekanzler und Parteivorsitzender), Otto Graf Lambsdorff (Wirtschaftsminister und Wortführer des Wirtschaftsflügels) und Gerhart Rudolf Baum (Innenminister und Anführer des sozialliberalen Flügels) waren über die NRW-Landesliste in den Bundestag gewählt worden.
In der SPD dominierte damals der Hamburger Landesverband – mit Helmut Schmidt, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner und dem Bundesminister Hans Apel (mal als Verteidigungsminister, mal als Finanzminister).
Ein Übergewicht eines ganz kleinen Landesverbands gab es gegen Ende der Kanzlerzeit Angela Merkels (CDU). Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer entstammten dem saarländischen CDU-Landesverband. Dass mit dem SPD-Außenminister Heiko Maas ein weiterer Saarländer der Bundesregierung angehörte, war ein besonderes Kuriosum jener Zeit. Das kleinste Flächenland Deutschlands schien in Berlin eine Hauptrolle zu spielen.
Merz macht es besonders
So gesehen sind die Personalentscheidungen der CDU-Führung unter Friedrich Merz eine Besonderheit. Die NRW-Landespartei, die größte der CDU, und der niedersächsische Landesverband, der drittgrößte, stellen keine Bundesminister.
Die ostdeutsche CDU ist mit Katherina Reiche im Bundeskabinett nur durch ein Parteimitglied vertreten, das vor gut zehn Jahren für Aufgaben in der Wirtschaft aus der Politik ausgeschieden war. Kein Wunder: In den sogenannten neuen Ländern verfügt die CDU über wenig Mitglieder und wenig Bundestagsabgeordnete. Einflussreiche Netzwerke und Seilschaften können sie nicht bilden.
Das Verhältnis zwischen der CDU-Bundespartei und ihrem Berliner Landesverband war schon zu Konrad Adenauers und Helmut Kohls Zeiten zerrüttet. Die betroffenen Landesorganisationen waren unzufrieden. Kritische Stimmen waren aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wie aus Ostdeutschland zu hören. Doch sie hatten sich zu fügen. Immerhin kann sich die NRW-CDU wenigstens zugutehalten, dass aus ihren Reihen der Bundeskanzler, der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende und der Generalsekretär der Partei kommen.
Auch die Niedersachsen-SPD hatte Opfer zu bringen. Einer ihrer Spitzenleute war zu viel: Hubertus Heil. Zwar hatte er seine Sache als Arbeitsminister gut gemacht. Doch zählen im personalpolitischen Machtkampf eben auch Beliebtheit, Proporz und Quoten. Mit zwei Kabinettsmitgliedern (SPD-Ko-Chef Klingbeil und Pistorius) und dem neuen Fraktionschef Miersch bleibt der niedersächsische SPD-Landesverband das Machtzentrum der deutschen Sozialdemokratie.
Jokerposten
Auf einem gleichwertigen Rang mit den Ministerposten in der Bundesregierung – was Einfluss, Ansehen und Protokoll angeht – stehen im Berliner Politikbetrieb die Ämter des Bundestagspräsidenten und der Fraktionsvorsitzenden. Eine Besonderheit ist die Bestimmung des Bundestagspräsidenten: Seine Wahl ist bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages vorzunehmen, also noch ehe eine Bundesregierung gebildet wird.
Noch nie ist es vorgekommen, dass ein Bundestagspräsident sein Amt niederlegte, um Bundesminister zu werden. Die Folge: Oft setzte die stärkste Fraktion ein Mitglied als Bundestagspräsident durch, das neben überparteilichem Ansehen auch eine politische Distanz zum mutmaßlich späteren Kanzler hatte.
Die langjährigen Bundestagspräsidenten Rita Süßmuth (CDU) und Wolfgang Thierse (SPD) gehörten nicht zum engeren politischen Freundeskreis der Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD). Mit der mehrmaligen Wahl des aus Bochum stammenden Norbert Lammert (CDU) zum Bundestagspräsidenten hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Ansprüche der NRW-CDU auf Spitzenpositionen zu einem gehörigen Teil abgegolten.
Mit der Nominierung Wolfgang Schäubles (CDU) zum Parlamentspräsidenten hatte Merkel freie Hand, das Amt des Finanzministers neu zu vergeben. Mit Bärbel Bas (SPD) aus Duisburg an der Spitze des Bundestages hatte 2021 die SPD-Führung den Interessen ihres NRW-Landesverbands entsprochen. Entsprechende Kalkulationen führten bei Friedrich Merz dazu, die frühere Bundesministerin und CDU-Schatzmeisterin Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz zur Parlamentspräsidentin vorzusehen. Für ein Ministeramt kam sie nicht mehr in Frage.
Die Fraktionsspitze
Auch die Fraktionsvorsitzenden werden zumeist kurz nach einer Bundestagswahl und meist vor der Regierungsbildung gewählt. Dass eine mutmaßliche Regierungsfraktion ein Mitglied zum Chef wählt, das womöglich alsbald ins Bundeskabinett wechseln wird, kommt häufig vor. Bei Angela Merkel war das so, zuletzt bei Friedrich Merz und im Falle von Lars Klingbeil auch bei der SPD.
Fraktionsvorsitzende haben vor allem bei Koalitionsverhandlungen und Personalentscheidungen einen maßgeblichen Einfluss. Sie bestimmen ihren Nachfolger de facto selbst. Denn die dann spätere Neuwahl des Fraktionschefs einer „Kanzlerpartei“ ist von besonderem Gewicht. Der Kanzler muss sich auf die unbedingte Loyalität „seines“ Fraktionschefs verlassen.
Helmut Schmidt hatte Herbert Wehner. Helmut Kohl konnte sich auf Alfred Dregger und später Wolfgang Schäuble verlassen, Gerhard Schröder auf Peter Struck und Franz Müntefering, Angela Merkel auf Volker Kauder. Als im Herbst ihrer Kanzlerschaft die Unionsfraktion gegen den Willen Merkels Ralph Brinkhaus zum Fraktionsvorsitzenden wählte, war Merkels Einfluss dahin. Friedrich Merz wird sich auf Jens Spahn verlassen müssen, Vizekanzler Klingbeil auf seinen niedersächsischen Landsmann Matthias Miersch.
Die CSU freilich hatte niemals Grund zur Klage: Ob Kohl Bundeskanzler war oder Merkel: Mindestens drei CSU-Politiker gehörten ihren Kabinetten an.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 151 – Thema: Rising Stars 2025. Das Heft können Sie hier bestellen.