Es gibt diesen einen Moment der Unsicherheit, in dem seine Wahl zum Parteivorsitzenden doch noch zu scheitern droht. Die Sympathien der meisten Delegierten auf dem Wahlparteitag der Grünen Ende Januar in Hannover hat er ja längst. Doch nicht wenige finden, dass er es etwas zu weit treibe mit seinen Sonderwünschen, seiner Extrawurst. Robert Habeck will nämlich nicht einfach nur Parteichef werden, sondern den Grünen auch noch aufzwingen, für ihn ihre Statuten zu ändern.
Genau genommen ist das Erpressung: Entweder ihr nehmt mich so, wie ich das will, oder eben nicht. Habeck möchte durchsetzen, dass er in einer Übergangszeit von acht Monaten gleichzeitig zwei Ämter ausüben darf: das des Parteichefs und jenes des Umweltministers von Schleswig-Holstein. Bei den Grünen galt aber seit ihrer Gründung das Prinzip der Ämtertrennung, wonach ein Parteivorsitzender nicht gleichzeitig Minister sein darf.
Also springt er genau in dem Moment auf die Parteitagsbühne, in dem die nötige Zweidrittelmehrheit für die Abkehr vom ehernen Gründungsprinzip auf der Kippe steht. Nun zelebriert er, verborgen hinter entwaffnendem Charme, die Unterwerfung der Partei. Entweder der Parteitag lege ihm ein zu enges Korsett an oder aber er mache ihm „ein großzügiges Angebot“, das er selbst dann als Vertrauensvorschuss verstehen würde.
Er gewinnt die Zweidrittelmehrheit für acht Monate, und sogar zwölf Monate Übergangszeit hätten sie ihm gewährt. Schon bei seiner Inauguration zeigt sich: Auf diesen Darling wollen die Grünen nicht verzichten, auch wenn er Extrawürste brät. Und der Hoffnungsträger signalisiert: Er ist kein Vorsitzender um jeden Preis, sondern einer, der sehr gut auch ein anderes Leben zu führen wüsste.
Das System Habeck beruht im Kern auf dieser teils authentischen, teils auch gespielten Unabhängigkeit, verbunden mit Machtbewusstsein und einer stark personalisierten PR-Strategie. Auf Plakaten zeigt er sich visionär, heimatverbunden, naturliebend. In Berlin wirkt der 48-jährige Schriftsteller aus Kiel auch noch Wochen später wie ein Fremdling, ein unschuldiger Novize im erbarmungslosen Politikbetrieb. Er pflegt dieses Anderssein. Noch mögen ihn die Medien dafür, denn er bringt eine andere Farbe in die eher graue Landschaft. Stets versucht der promovierte Philosoph, seinen Anliegen irgendeine gedankliche Tiefe zu verleihen.
Einen Redenschreiber braucht er nicht
Unabhängigkeit bedeutet auch, dass er vieles nur mit sich selbst ausmacht. Habeck hat keine Redenschreiber. Er zieht es vor, sich seine eigenen Gedanken zu machen und frei zu sprechen. Seine Blogbeiträge schreibt er nachts bei einem Glas Rotwein. In Berlin hat er – ganz Machtmensch – die engsten Drähte zu denen gezogen, die zu den Wichtigsten gehören: Jürgen Trittin und Cem Özdemir. Beide haben seine Kandidatur entscheidend unterstützt. Auch mit Konstantin von Notz, dessen Wahlkreis wegen Habecks Ambitionen zeitweise infrage stand, hat er sich wieder vertragen, wenngleich von Notz sich gemerkt haben dürfte: Dieser Karrierebewusste stellt eigene Ziele notfalls auch über eine Freundschaft.
Bei so einer Habeck-Bugwelle ist es schon eine Leistung, wenn die Blätter nach dem Wahlparteitag titeln: „Habeck, der Mann an ihrer Seite“. Denn Annalena Baerbock hat in Hannover einen fulminanten Auftritt hingelegt, der ihr bei ihrer Wahl zur Co-Vorsitzenden einen klaren Sieg über Konkurrentin Anja Piel aus Niedersachsen verschaffte. Die 37-Jährige stellte auch Habeck mit einer schnörkellosen Wuchtrede in den Schatten. Ihr Erfolgsgeheimnis liegt darin, mit viel Klartext Habecks weibliche Antithese zu sein.
Die Grünen kennen ihre Durchsetzungsfähigkeit schon länger. Die Brandenburger Bundestagsabgeordnete hat schon so manche innerparteiliche Revolution angezettelt. Als ihr etwa die Präambel des Wahlprogramms zur Europawahl 2009 nicht gefiel, setzte sie ein proeuropäischeres Kapitel durch. Gegen den Willen des Bundesvorstands ließ sie sich in die strategische Schaltzentrale der Grünen, den Parteirat, wählen. Die Idee, die Abschaltung der 20 dreckigsten Kohlekraftwerke 2017 zur zentralen Wahlkampfforderung zu machen, stammt von ihr.
Baerbock bildet mit den Abgeordneten Katharina Dröge und Luise Amtsberg ein grünes Girls-Camp, in der Fraktion tragen sie den Spitznamen „die jungen Wilden“. Nach der Bundestagswahl schaffte es ein Teil der Gruppe ins 14-köpfige Sondierungsteam für die Jamaika-Verhandlungen. Sogar die Kanzlerin sei von Baerbocks Fachwissen und Entschiedenheit in der Energie- und Klimapolitik beeindruckt gewesen, hieß es.
Ihre Machtbasis ist die Fraktion
Ihre Wahl zur Parteivorsitzenden hat sie akribisch vorbereitet. An ihrer Kampagne feilten etwa Can Erdal, Politikberater aus Düsseldorf, und der Kommunikationsprofi Michael Scharfschwerdt von A. T. Kearney. Ihr Ehemann Daniel Holefleisch, mit dem sie zwei kleine Töchter hat, arbeitete viele Jahre in der Parteizentrale, bevor er zur Deutschen Post wechselte. Holefleisch weiß, wie Partei und Zentrale ticken.
Baerbocks Machtbasis aber ist ihre enge Vernetzung in der Bundestagsfraktion, während Habecks Fundament stärker in den Landesverbänden gründet. Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg und Tarek Al-Wazir in Hessen etwa waren heilfroh, dass es mit Habeck und Baerbock erstmals gelungen ist, zwei Realos und nicht jeweils einen Vertreter des linken und des rechten Flügels an die Spitze zu bringen. Doch die Realo-Doppelspitze ist auch ein Risiko, weil der linke Flügel aufbegehren könnte.
Baerbock und Habeck wissen um diese Gefahr. Ihre ersten Schritte zielten deshalb auf Harmoniestiftung. Statt zwei Büros in der Parteizentrale wollen sie nur noch ein Büro mit einem gemeinsamen Büroleiter unterhalten. Ihre Wahl fiel auf Robert Heinrich, der bei den Grünen bisher den Online- und Social-Media-Auftritt verantwortet. Bis 2020 wollen die Grünen ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten. Sämtliche Pläne sollen bei Melanie Haas zusammenlaufen, der früheren Büroleiterin von Ex-Parteichefin Claudia Roth. Haas wird in der Grünen-Zentrale eine neue Grundsatzabteilung mit dem Titel „Programm und Analyse“ erhalten. Dass die eine das Gegenteil dessen erzählt, was der andere meint – wie bei den Vorgängern Simone Peter und Cem Özdemir oft geschehen –, das soll es mit der neuen Doppelspitze aus Habeck und Baerbock nicht mehr geben.
Wer sind die Weggefährten, engen Vertrauten und neuen Verbündeten?
Das System Habeck
Foto: Frank Peter
Anke Erdmann
Die Volkswirtin ist seit 2017 Staatssekretärin in Habecks Kieler Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung. Dort kannte sie sich schon bei Amtsantritt bestens aus, denn von 2000 bis 2009 leitete sie u. a. das Ministerbüro von einem Vorgänger Habecks, dem heutigen Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Klaus Müller (Grüne). Erdmann gilt in umwelt- und energiepolitischen Fachfragen als engste Vertraute Habecks. Als dessen Nachfolgerin kommt sie aber nicht infrage, da sie mit dem Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) verheiratet ist. Die private Nähe könnte zu politischen Interessenkonflikten führen, befürchten alle Beteiligten.
Foto: Grüne im Bundestag
Renate Künast
Die ehemalige Agrar- und Verbraucherschutzministerin hatte sich schon bei der Urwahl für die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl intensiv für Habeck eingesetzt. Die 62-jährige Alt-Grüne gilt intern als eine der schärfsten Kritikerinnen von Ex-Parteichef Cem Özdemir. Der gewann die Urwahl aber Anfang 2017 mit einem denkbar knappen Vorsprung von nur 75 Stimmen. Doch wenig später erklärte Özdemir, er trete nach der Bundestagswahl nicht noch einmal als Parteivorsitzender an. Renate Künast gehörte neben Jürgen Trittin und Cem Özdemir zu den Grünen der älteren Generation, die den monatelang zögernden Robert Habeck davon überzeugten, Özdemirs Nachfolger zu werden.
Foto: privat
Andrea Paluch
Seine Ehefrau, mit der er vier Söhne im Teenageralter hat, spielt in der konkreten politischen Arbeit von Robert Habeck zwar keine Rolle, doch bei wichtigen persönlichen Entscheidungen ist sie seine größte Stütze und wichtigste Ratgeberin. Um aufzutanken, zieht er sich gern in das gemeinsame Haus in der Nähe von Flensburg zurück. Sie heirateten 1996, schrieben im Jahr 2000 beide ihre Doktorarbeiten in Hamburg, sie in Literaturwissenschaft, er in Philosophie. Ab 2001 entstanden mehrere gemeinsame Romane für Kinder und Erwachsene. Ihre Kinder zogen sie über zehn Jahre ebenfalls gemeinsam auf – bis von 2004 an seine politische Karriere immer mehr Fahrt aufnahm. Politisch ist Andrea Paluch ökologisch und linksliberal orientiert wie Habeck. Er schätzt ihre Geradlinigkeit und Klarheit. Als er sich 2016 fragte, ob er die Grünen-Spitzenkandidatur im Bund anstreben soll, sagte sie nur: „Mach es.“
Foto: Bündnis 90/Die Grünen
Nicola Kabel
Seit dem 20. März ist sie Pressesprecherin des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen, davor war sie Habecks Pressesprecherin in Kiel. Kabel studierte Geschichte und Öffentliches Recht an der Universität in Hamburg. Anschließend volontierte sie bei der Deutschen Presse-Agentur, u. a. in Frankfurt, Berlin und Hamburg. Danach arbeitete sie als Redakteurin in verschiedenen dpa-Redaktionen, zuletzt im Landesdienst Nord. Im Juli 2012 heuerte Robert Habeck sie als Sprecherin für das Kieler Umwelt- und Agrarministerium an. Die beiden wurden ein enges Gespann. Sie verantwortete nicht nur die Pressearbeit, er setzt auch sonst auf ihren Rat. „Die beiden sind wie ‚one mind, one soul'“, sagt ein Grünen-Politiker.
Foto: Stefan Kaminski
Konstantin von Notz
Von Notz und Habeck sind seit 15 Jahren Freunde und enge politische Weggefährten. Gemeinsam machten sie Karriere: Habeck in der schleswig-holsteinischen Landespolitik, von Notz auf Bundesebene. Der 47-jährige Innen- und Netzpolitiker stammt wie Habeck aus Schleswig-Holstein. Zusammen haben sie dem Landesverband neues Leben eingehaucht, hoben unter dem Motto „Grüne Horizonte“ eine Diskussionsreihe aus der Taufe. Doch als Habeck, mittlerweile stellvertretender Ministerpräsident, 2016 beschloss, bei der Urwahl zur Grünen-Spitzenkandidatur im Bund zu kandidieren, wurde die Freundschaft strapaziert: Hätte Habeck die Urwahl gewonnen, hätte er 2017 ein Mandat im nächsten Bundestag angestrebt. Damit hätte er von Notz von dessen sicherem Listenplatz zwei auf der schleswig-holsteinischen Landesliste verdrängt. Dass Cem Özdemir die Urwahl knapp gewann, war für von Notz ein Segen. Damals entstandene Irritationen haben Habeck und von Notz nach eigenen Angaben ausgeräumt. Ein Teil seiner Wiedergutmachung für von Notz dürfte auch gewesen sein, dass ihn Habeck als sein Nachfolger auf dem Posten des Kieler Vize-Regierungschefs ins Gespräch gebracht hat. Von Notz wurde so aufgewertet, wollte am Ende aber doch lieber Fraktionsvize in Berlin bleiben. Diese Freundschaft hat zwar einen Kratzer bekommen, aber für Habeck bleibt von Notz einer der wichtigsten Unterstützer in Berlin.
Das System Baerbock
Foto: Stefan Kaminski
Katharina Dröge
Die Kölnerin kam wie Annalena Baerbock 2013 neu in den Bundestag. Die Volkswirtin wurde wettbewerbspolitische Sprecherin der Fraktion – und machte sich mit ihrer Kritik an TTIP und der Fusionserlaubnis für Edeka mit Kaiser’s/Tengelmann sofort einen Namen. Die 33-Jährige ist Mitglied des Netzwerks jüngerer Frauen in der Grünen-Bundestagsfraktion, das Baerbock ermutigt hat, für die Parteispitze zu kandidieren – nachdem sich ihre Kandidatur gegen Katrin Göring-Eckardt für die Fraktionsspitze als aussichtslos erwiesen hatte.
Foto: Stefan Kaminski
Oliver Krischer
Der 48-Jährige ist in der Bundestagsfraktion einer der Ziehväter von Annalena Baerbock. Beide arbeiteten in der Klima- und Energiepolitik intensiv zusammen, kamen sich dabei nie in die Quere. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, seit 2009 im Bundestag, pflegt nach innen und außen einen eher konsensualen Politikstil, sie ist vom Typ her kämpferischer. Krischer hat den großen NRW-Landesverband hinter sich, sein Wort zählt bei den Grünen in der Partei und in der Fraktion. Er bestärkte Baerbock, für den Parteivorsitz zu kandidieren, und berät sie in Strategiefragen. Gegenseitig schätzen sie die jeweilige Fachkenntnis in der Energiepolitik, der Kohleausstieg ist ihr gemeinsames politisches Ziel. Krischer ist für Baerbock in Partei und Fraktion eine Bank.
Michael Scharfschwerdt
Der Kommunikationsexperte war zwölf Jahre lang in verschiedenen Funktionen bei den Grünen tätig, u. a. leitete er die Büros der Ex-Parteichefs Reinhard Bütikofer und Cem Özdemir. 2013 wechselte Scharfschwerdt zur Strategieberatungsfirma von Urgestein Joschka Fischer. Seit zwei Jahren managt er nun die Öffentlichkeitsarbeit für die US-Unternehmensberatung A. T. Kearney in Berlin. Der 41-Jährige ist seit vielen Jahren mit Annalena Baerbock eng befreundet, wohnte zeitweise mit ihr zusammen und teilt mit ihr vor allem die Leidenschaft für die Europapolitik. Baerbock und Scharfschwerdt arbeiteten gleichzeitig in Brüssel, beide waren Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa bei den Grünen. Der Diplom-Geograf gehört zu den wichtigsten Ratgebern von Annalena Baerbock und hat auch einen Blick auf ihre Bewerbungsrede beim jüngsten Parteitag geworfen.
Foto: CC BY 2.0 Reinhard Bütikofer
Reinhard Bütikofer
„Büti“, wie er in der Partei genannt wird, gehört zu den langjährigen Förderern von Annalena Baerbock. Der leidenschaftliche Europaparlamentarier kennt die Völkerrechtlerin aus ihrer Zeit als Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa, ein Job, den sie von 2008 bis 2013 innehatte. Beide teilen europapolitische Positionen, fordern etwa deutlich mehr Bildungsinvestitionen in Europa und eine erhebliche Aufstockung des EU-Haushalts. Mit ihr saß der frühere Parteivorsitzende auch jahrelang im Grünen-Parteirat, dem strategischen Thinktank der Partei. Nach ihrer Wahl zur Parteichefin am 27. Januar jubelte Bütikofer: Endlich gebe es bei den Grünen kein „Weiter so“ mehr.
Foto: Daniel Tamberg
Daniel Holefleisch
Annalena Baerbocks Ehemann sieht aus wie Jürgen Klopp. Auf der Straße wird der 44-Jährige deshalb öfter mal angesprochen. Ihn stört das wenig, schließlich sei „Kloppo“ ein sympathischer Mensch. Besser, er werde mit Klopp verwechselt als mit Louis van Gaal, witzelte er in einem Interview. In der Berliner Parteizentrale der Grünen war Holefleisch viele Jahre verantwortlich für Kontakte zu Unternehmen, später fungierte er als Wahlkampfmanager. Seit Anfang 2017 ist er Senior Manager Public Affairs bei der Deutschen Post DHL Group. Als Grünen-Kenner ist er für seine Frau der wichtigste Berater.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 122 – Thema: Wie sich das politische Berlin neu aufstellt. Das Heft können Sie hier bestellen.