"Das Klima wird rauer, der Tonfall schärfer"

Interview mit Helge Fuhst

Herr Fuhst, Sie sind seit Januar dieses Jahres Programm­geschäftsführer von Phoenix und damit der jüngste TV-Chef des Landes. Was ist Ihr wichtigstes Ziel?

Was mein Alter betrifft, halte ich es mit Otto Rehhagel: “Es gibt keine jungen und alten Spieler, sondern nur gute und schlechte.” Auch als Medienmacher wird man am Ende an den Ergebnissen gemessen. Wir müssen uns weiterentwickeln, damit wir in der veränderten Medienwelt relevant bleiben und wiedergefunden werden, sowohl im Line­aren als auch im Digitalen.

Und was sind Ihre ersten Schritte auf diesem Weg gewesen?

Nach einem Markenprozess haben wir uns in diesem Jahr  einen komplett neuen Auftritt zugelegt und unsere Identität klar definiert. Der Claim, den Phoenix seit 20 Jahren hat, “Das ganze Bild”, hat sich für uns noch einmal als aktuell und relevant bestätigt. Neu sind die Farbe Petrol und das aufgeräumte Design. Inhaltlich hat uns vor allem die Frage bewegt: Wie können wir als Medienschaffende Themen künftig besser erklären und einordnen? Und zwar nicht nur in Bezug auf die politische Debatte, sondern auch auf die eigene Arbeit: Weshalb behandeln wir welche Inhalte in welcher Weise? Das müssen die Zuschauer nachvollziehen können in diesen polarisierten Zeiten.

Wir beobachten einerseits, dass Menschen den ­Medien misstrauen und sich ein eigenes Bild machen wollen, beispielsweise indem sie Politikern in sozialen Netzwerken folgen. Andererseits kämpfen sie gegen die Reizüberflutung an. Welche Funktion hat ­politischer TV-Journalismus in einer so veränderten Informationslandschaft?

In Zeiten, in denen Fakten und Meinungen verschwimmen, in denen Menschen mit einer gigantischen Fülle von Informationen zugeschüttet werden, müssen wir einordnen. Das bedeutet, Debatten und einzelne Beiträge in den Kontext zu setzen und die jeweilige Gegenseite ebenfalls vorzustellen. Wir müssen immer überlegen, wie wir möglichst alle erreichen können. Auch alle Altersgruppen – und das ist eine weitere Herausforderung. Dazu sind die unterschiedlichen Filterblasen gekommen, die wir auflösen wollen. So tragen wir zur politischen Kultur und letztlich zu einer gesunden Gesellschaft bei. Das ist auch mein persönlicher Anspruch.

Auf Ihrer Agenda steht unter anderem, künftig mehr Parlamentsdebatten zu übertragen. Warum glauben Sie, dass die Menschen ein Bedürfnis nach einem Mehr solcher Berichterstattung haben? Der Trend geht doch eigentlich zu kleinen, leicht konsumierbaren Häppchen.

Phoenix macht Programm “für eine besser informierte Republik”, so werben wir für uns. Parlamentsdebatten sind das Herzstück. Der Sender wurde Ende der Neunzigerjahre vor allem für die Übertragungen aus Bundestag und Bundesrat gegründet. Für uns war das Ziel in diesem Jahr, die Debatten noch umfangreicher abzubilden, nicht am Nachmittag aus den Parlamentsdebatten auszusteigen, sondern das Programm in den Abend hinein fortzusetzen. Seit sich der Bundestag 2017 neu konstituiert hat, AfD und FDP eingezogen sind, hat sich der Stil vollkommen verändert. Alle Korrespondenten, die aus dem Bundestag berichten, erleben, dass das Klima rauer geworden ist, der Tonfall schärfer und zugespitzter. Es gibt viel häufiger Beiträge, die politisch nicht korrekt sind und teils extremistische Ansichten enthalten. Die können wir nicht einfach so stehen lassen.

Was bedeutet das für die Programmgestaltung?

Wir belassen es nicht bei der Liveübertragung, die Kommentierung der Debatten wird immer wichtiger. Auch die Einordnung haben wir ausgebaut, wir steigen morgens vor der Plenarsitzung früher mit Interviews ein, befragen einzelne Abgeordnete zu den anstehenden Themen, um die Zuschauer vorzubereiten. Und wir machen uns Gedanken darüber, wie wir die Sitzungen auch online besser begleiten können.

Schwanken die Zuschauerzahlen je nach Debattenthema stark?

Einzelne Debatten und Schlagabtäusche erreichen bei uns mehr als drei Prozent Marktanteil. Das sind, wenig überraschend, die polarisierten. Vor allem das Thema Migration weckt großes Interesse. Im Durchschnitt ist die Zuschauerzahl etwas gestiegen auf 100.000 Zuschauer, 2017 waren es 90.000. Der Marktanteil ist dagegen leicht von 1,1 auf 1 Prozent gesunken. Das hat auch damit zu tun, dass wir die Plenarsitzungen 2018 viel ausführlicher übertragen. Im Vergleich zum Jahr 2017 haben wir über 150 Stunden mehr Bundestagsdebatten live gezeigt.

Foto: Laurin Schmid

Der langsame Start der neu aufgelegten Groko und die ewigen Personaldebatten haben die Menschen nicht ermüdet?

Das Interesse am Parlament ist trotz allem sogar gewachsen. Eine Müdigkeit hat es eher in der Legislatur davor gegeben. Es ist aber – egal in welchen Zeiten – unser Auftrag, verlässlich zu informieren. Unabhängig davon, ob die Leute sich zu- oder abwenden vom politischen Diskurs.

Bekommen Sie direktes Feedback der Zuschauer?

Ja, und wir pflegen verstärkt den Dialog mit unseren Zuschauern. Wir können daraus lernen, was die Leute bewegt. Ein Beispiel: Wir bekommen immer wieder Zuschriften, wenn wir montags die Pressekonferenzen der Parteien in Berlin übertragen. Oft hören wir dann den Vorwurf: “Ihr habt die Konferenz der AfD als einzige ausgelassen!” Wenn wir daraufhin antworten: “Die Partei hat heute keine PK gegeben, sonst hätten wir sie selbstverständlich gezeigt”, bedanken sich einige für die Antwort und schenken uns weiterhin ihr Vertrauen. Bei anderen ist das Misstrauen  allerdings schon so groß, dass sie die Erklärung in Zweifel ziehen.

Kann man ab diesem Level überhaupt noch etwas gegen den Argwohn ausrichten?

Wir müssen präventiv dafür sorgen, dass es nicht so weit kommt, indem wir akribisch anmoderieren, warum wir wann zu wem schalten, das eine live, das andere zeitversetzt zeigen und woher unsere journalistischen Einschätzungen rühren. Mit jedem, der uns halbwegs sachlich anschreibt, gehen wir in den Dialog. Die Gesellschaft zahlt für die öffentlich-rechtlichen Sender. Wenn aus ihr Kritik kommt, nehmen wir sie ernst und reagieren darauf.

Die AfD bedingt eine stärkere Polarisierung der Debatte. Stellt die Partei Sie vor eine besondere Herausforderung?

Es gibt für uns keinen Sonderweg im Umgang mit der AfD, wir gehen mit ihr wie mit jeder anderen Partei um. Über mehrere Jahre mussten wir beobachten, wohin sie sich entwickelt. Das Verhältnis von AfD und Medien ist sehr speziell. In diesem Jahr kann man sehen, dass sowohl die Medien als auch die anderen Parteien im Parlament einen Umgang mit der AfD gefunden haben.

Wie sieht der aus?

Die Fraktionen haben ihre Rede- und Reaktionsstrukturen in den Plenarsitzungen verändert. Wir Journalisten haben viel diskutiert. Am Ende gilt es aber schlicht, unsere Grundsätze einzuhalten, also intensiv zu recherchieren und uns gut auf jedes Interview vorzubereiten. Was im Umgang mit der AfD besonders wichtig war: Wir mussten lernen, nicht über jedes Stöckchen zu springen, zum Beispiel nicht über verbale Provokationen von Hinterbänklern groß zu berichten. Mein Eindruck ist, dass inzwischen die meisten Medien, egal ob TV, Online oder Print, einen guten Weg gefunden haben.

Montags moderieren Sie im Wechsel mit Ihrer Co-Programmgeschäftsführerin Michaela Kolster das Talkformat “Unter den Linden”. Ist Moderation heute ein härterer Job als vor ein paar Jahren?

Wenn man sich gut vorbereitet und selbst im Thema ist, kann man als Moderator jede Runde leiten. Aber natürlich wird es schwieriger, wenn jemand darunter ist, mit dem man erst darüber diskutieren muss, ob die Farbe Gelb gelb ist, mit dem es überhaupt keinen Konsens, keine gemeinsamen Grundsätze gibt. Mir geht es um inhaltlich kontroverse, aber dennoch sachliche Debatten. Floskeln unterbreche ich schnell, aber es muss Zeit für jedes Argument sein. Das ist der Mehrwert, den wir in unseren Sendungen bieten wollen.

Foto: Laurin Schmid

An welchen Stellschrauben drehen Sie, um das Programm zu verbessern?

Verändern müssen wir uns beispielsweise, was die Gäste­auswahl betrifft. Wir werden den Frauenanteil erhöhen und auch unbekannten jungen Experten eine Plattform bieten. Genauso dem politischen Nachwuchs, auch aus der Landesebene. Viele Politiker und Experten, die nach und nach in den großen Talkshows auftauchen, haben wir entdeckt. Und wir lassen die Vorsitzenden der Jugendorganisationen und junge Abgeordnete zu Wort kommen.

Sie haben angekündigt, künftig auch die Versammlungen der Jugendorganisationen zu übertragen. Damit stehen Sie in der Medienlandschaft bisher recht allein da. Vor der öffentlichen Präsenz von Juso-Chef Kevin Kühnert wurde über den Nachwuchs so gut wie gar nicht gesprochen.

Wenn junge Menschen – die Gestalter von morgen – für Politik begeistern wollen, verdient das eine Plattform, die ihnen Beachtung schenkt. Viele Gesichter aus den Jugend­organisationen sind den meisten Menschen tatsächlich noch nicht bekannt. Aber es ist spannend zu beobachten, wie die neue Politikergeneration tickt. Das gilt gerade für ein Jahr, in dem sich in den Parteien einiges geändert hat, in dem viele aus den hinteren Reihen aufgerückt sind. Uns geht es nicht nur um die Köpfe, sondern auch darum, in welche Richtungen sich die Parteien inhaltlich entwickeln, wie die nächste Generation Politik gestalten möchte. Die Jugendorganisationen haben zudem großen Einfluss auf die Mutterparteien. Mit diesem Blick in die Zukunft geht einher, dass wir unser Programm für die junge Generation interessanter machen wollen.

Und der Phoenix-Zuschauer – der durchschnittlich 60 Jahre alt ist – interessiert sich dafür, was zum Beispiel Ria Schröder über die Zukunft der Liberalen sagt?

Wer das ganze Bild sehen will, sollte nicht auf die Argumente und Themen von Ria Schröder verzichten. Wenn wir immer nur darüber nachdenken würden, wie der Marktanteil aussehen wird, würden wir unser Programm anders gestalten. Natürlich gewinnen wir durch junge Themen und Köpfe im Linearen nicht genauso viele junge Nutzer hinzu. Wir können aber nicht bestimmte Themen ausklammern, nur weil wir befürchten, dadurch Zuschauer zu verlieren.

Das “ganze Bild” zu zeigen ist also Trumpf und sticht das Erzielen möglichst hoher Zuschauerzahlen?

Wir setzen unsere Themen aus journalistischen, inhaltlichen Gründen – und zugleich wollen wir natürlich immer so viele Zuschauer wie möglich erreichen. Oft heißt das jedoch, dass wir auf eine hohe Quote verzichten müssen. Manchmal schaffen wir es in einer einzigen Sendung, das gesamte Meinungsspektrum abzubilden. Und dann gibt es Dokumentationen, die eine bestimmte Sichtweise zeigen. Aber wer uns regelmäßig schaut oder einen kompletten Themenabend verfolgt, wird keine generelle Tendenz in eine politische Richtung feststellen können.

Immer weniger Menschen sehen linear fern. Gerade unter den Jüngeren geht der Trend dahin, sich das Programm aus den Online-Mediatheken selbst he­rauszupicken. Erreichen Sie die Generation Netflix? 

Wir versuchen alle Inhalte, die wir produzieren, online zu stellen. Sowohl auf unserer eigenen Website als auch auf Youtube laden wir alle O-Töne, Interviews und Talks umgehend hoch. Mit Youtube-Beiträgen generieren wir teils mehrere Zehntausend Klicks aus einer Zielgruppe mit deutlich geringerem Altersdurchschnitt. Wir müssen darauf setzen, denn es wird nicht funktionieren, mit irgendwelchen neuen Formaten im Linearen plötzlich massenhaft 25-Jährige zu erreichen.

Gibt es in 50 Jahren noch lineares Fernsehen?

Ich glaube schon, dass es das noch sehr lange gibt. Die Nutzungszahlen werden im Vergleich zu den Online-Zahlen aber immer kleiner. Interessant ist: Es gibt Parallelen zwischen den Entwicklungen in Politik und Medienwelt. Parteienlandschaft und TV ähneln sich darin, dass die großen etablierten Akteure sich verkleinern und es immer mehr kleine Mitspieler, also eine Aufsplitterung gibt. Im Fall des Fernsehens spiele ich auf die zahlreichen Spartenkanäle an, die in den vergangenen Jahren neu entstanden sind. Unser gesellschaftlicher Konsum von Medien, Politik und Information wandelt sich dahingehend, dass Programme immer passgenauer zugeschnitten sind. Viele Menschen erkennen sich nicht mehr in den Volksparteien. Und von einem Sender erwarten sie auch nicht mehr, dass er ihnen alles bietet, von Nachrichten bis zum Spielfilm.

Diese Aufsplitterung birgt allerdings die Gefahr, dass Menschen sich das Bild nicht in Gänze anschauen.

Das stimmt. Wir sind es immer weniger gewohnt, anderen Meinungen eine Chance zu geben. Gerade hier möchten wir die Gesellschaft stärken, indem wir verschiedene Sichtweisen abbilden.

Zum Schluss Ihre Prognose: Werden sich die Debatten 2019 weiter verschärfen, oder kehrt langsam Ruhe ein?

Die Debatten sollen inhaltlich kontrovers bleiben – das ist gut für die Demokratie. Aber ich hoffe, dass mehr Sachlichkeit auf der sprachlichen Ebene einkehrt. 2018 hat uns alle der Wandel in den Parteien beschäftigt. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Politik den Menschen Gelegenheit gibt, wieder auf die Themen zu schauen, statt sich mit parteiinternen Querelen befassen zu müssen. Dazu werden wir beitragen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 125 – Thema: Gesichter der Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.