Das Hirn wählt links

Dass Politikerhirne irgendwie anders ticken müssen, ist ein gängiges Klischee. Die „Bild“-Zeitung hob angeblich mal eins auf den Titel. „Gysi zeigt sein Gehirn“ titelte das Boulevardblatt am 13. Juni 2005. Zu sehen war die vermeintliche Röntgenaufnahme von Gregor Gysis Schädel und eine mehrfarbige Computertomographie. Die Schlagzeile verschaffte der Zeitung eine Gegendarstellung in ebenso großen Lettern. Der Linken-Politiker hatte der Veröffentlichung seiner Krankenakte nicht zugestimmt. Noch dazu sei die Aufnahme getürkt, sagte Gysi.
Britische Neurowissenschaftler hätten den Betrug womöglich schon an der Hirnstruktur entdeckt. Bei Gysis echtem Gehirn müsste der vordere gyrus cinguli, auch Gürtel genannt, deutlich ausgeprägter sein. Mit diesem Teil wird die Fähigkeit verbunden, mit Unsicherheiten und Konflikten umzugehen – angeblich eine linke Domäne.
Die Forscher wollen demnach herausgefunden haben, dass sogar das Gehirn politisch ist.
In der Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Current Biology“, untersuchten die Wissenschaftler die Hirnstrukturen von einer Gruppe von etwa hundert Studenten, die zuvor auf einer Skala ihre politische Orientierung angaben. Bei dem Vergleich fanden sie heraus, dass die Amygdala, der Mandelkern, bei 70 Prozent der rechtskonservativen Studenten im Durchschnitt größer ist als bei linksliberalen Teilnehmern. Der Mandelkern ist wesentlich an der Entstehung von Angst beteiligt.

Kann das seriöse Wissenschaft sein?

Ja, sagt Ute Kopp, Neurowissenschaftlerin an der Berliner Charité. Sie hält die Befunde für belastbar. Ungewöhnliche Forschungsansätze seien in ihrem Fachgebiet beliebt, noch dazu erschien die Studie in einer seriösen Fachzeitschrift. Für Kopp stellt sich jedoch die Frage, was die Ursache ist und was die Wirkung. Bestimmt die Größe der Amgydala wirklich die politische Gesinnung oder ist es vielleicht umgekehrt? Es ist ein bisschen so wie die Frage, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei?
Dazu gibt die Studie keine Antwort, ebenfalls offen bleibt, ob beides überhaupt miteinander zusammenhängt. Scheinzusammenhang nennen das die Gelehrten dann, ein böses Wort, bescheinigt es dem Wissenschaftler doch, dass er etwas entdeckt hat, was es gar nicht gibt. „Die Gefahr besteht bei solchen Vergleichen immer, auch wenn das hier nicht sehr wahrscheinlich ist“, sagt Kopp. Beispielsweise ist es statistisch erwiesen, dass die Schuhgröße eines Menschen positiv mit der Höhe des Einkommens zusammenhängt. Des Rätsels Lösung: Männer verdienen nicht nur im Durchschnitt mehr als Frauen, sondern haben auch die größeren Füße.
Auch in der Psychologie ist diese Schattenvariable gefürchtet, was aber nicht heißt, dass sich pfiffige Wissenschaftler nicht trotzdem an brisante Thesen wagen. Einer von ihnen ist Satoshi Kanazawa. Für den Entwicklungspsychologen, der an der London School of Economics lehrt, steht fest: Konservative sind dümmer als Linke und Liberale – zumindest im Durchschnitt. Seine These fußt auf einer amerikanischen Langzeitstudie mit 15.000 Teilnehmern. In dieser erreichen jene Personen, die sich selbst als „sehr konservativ“ bezeichneten, im Schnitt einen Intelligenzquotienten von 95. Ihre Altersgenossen, die sich als „sehr liberal“ (nach deutschem Verständnis progressiv) bekennen, kommen auf 106 IQ-Punkte. Bei der Religion konnten die Forscher einen ähnlichen Effekt beobachten. Auch Gläubige seien im Schnitt ebenfalls weniger intelligent. Kanazawa, der wissenschaftlich gern polarisiert und auf political correctness pfeift, liefert gleich die passende Erklärung für seine Ergebnisse, in dem er Charles Darwin bemüht. Seine Theorie geht so: Die intelligenteren Menschen beschreiten einen neuen Weg in der Evolution. Im Geiste beweglicher, wagen sie sich viel eher an neue Aufgaben, die sich von den bisherigen Tätigkeiten unterscheiden und tun sich leichter bei Werten und Lebensstil umzudenken.

Ein dicker Batzen Angst

„Wer immer bei Bekanntem bleibt, muss nicht viel überlegen“, sagt Detlef Rost. Für den Marburger Intelligenzforscher sind die Effekte, die der provokante Brite beschreibt, nicht besonders groß, aber unbestritten. Auch andere Studien hätten schon ähnliche Resultate hervorgebracht und das länderübergreifend. Rechts-konservative Anschauungen wirkten dabei wie eine Art Katalysator. „Konservative sind ängstlicher und misstrauischer als Progressive“, so Rost. Extreme politische Ideologien böten ihnen Stabilität und Ordnung.
Das würde im Übrigen auch die größere Amygdala erklären.
„Das heißt aber nicht, dass der Papst dumm ist“, schiebt Rost nach. Über den Einzelfall sagen die Studien nichts. Und es gebe noch eine weitere Einschränkung, so Rost. Politische Orientierung werde nur zu einem ganz kleinen Teil durch Intelligenz erklärt. Erziehung und Bildung hätten einen weitaus stärkeren Einfluss.

Fragwürdige Kopfsache

Heiner Rindermann ist einer der wenigen deutschen Psychologen, die zu dem Thema bereits selbst geforscht haben. Der 46-Jährige ist Mitautor der im April 2011 veröffentlichten Studie, die den Effekt von Intelligenz auf die politische Überzeugung in Brasilien untersucht hat. Das Resultat überrascht: Die Forscher widerlegen nämlich die Kanazawa-Hypothese. Laut ihren Daten ist vor allem die bürgerliche Mitte der Hort der Intelligenten. „Die Zusammenhänge müssen im Verhältnis zum jeweils vorherrschenden System betrachtet werden“, erklärt der Professor der Technischen Universität Chemnitz (siehe Interview).
Das Gespann Rindermann und Rost war es auch, das in einem Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ den politischen Provokateur Thilo Sarrazin in Schutz nahm. Seine Überlegungen über Intelligenz im Kontext von Minderheiten, Vererbung und dem Islam seien fachlich korrekt wiedergegeben, resümierten sie. Sarrazin hatte sich in dem Buch „Deutschland schafft sich ab“ an mehreren Stellen auf die Studien von beiden Psychologen bezogen, um seine These über die mangelnde Intelligenz von muslimischen Migranten zu untermauern. „Alles, was wahr ist, ist korrekt, auch wenn es politisch nicht genehm sein sollte“, verteidigt sich Rindermann, bevor er seine Aussage im nächsten Satz wieder relativiert. Natürlich sei es gerade bei brisanten Themen wichtig zu betonen, dass empirische Phänomene von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Bei jeder Äußerung, die sich auf eine Bevölkerungsgruppe bezieht, sollte man eine angemessene Sprache wählen.
Und wie sieht es nun in Deutschland aus? Wer ist hierzulande intelligenter als die politische Konkurrenz, die Konservativen, die Liberalen oder doch die Linken?
Rindermann  will dazu eigentlich nichts sagen, weil ihm keine direkten Daten vorliegen. Aber dann plaudert er trotzdem los. Es sei in seiner Disziplin ja gängige Praxis, anstelle des Intelligenzquotienten das Bildungsniveau von Personen heranzuziehen. Schließlich hinge beides eng miteinander zusammen, argumentiert der Experte. „Und da hat die Pisa-Studie gezeigt, dass jene Bundesländer gut abgeschnitten haben, wo die CDU lange den Ministerpräsidenten stellte“. Das könnte auf die Brasilien-These hindeuten.
Er verweist auf eine Untersuchung des Amerikaners Dean Simonton, der anhand von Reden und Biografien der US-Präsidenten zu dem Schluss kam, dass die intelligenteren Präsidenten im Schnitt auch die effektiveren waren. George W. Bush schnitt in punkto Offenheit ganz schlecht ab.
„Ich halte diese Studien für höchst diskriminierend und wissenschaftlich fragwürdig“, sagt Matthias Jung, Leiter der Forschungsgruppe Wahlen. Dem Diplom-Volkswirt ist vor allem die Praxis ein Dorn im Auge, den formalen Bildungsabschluss anstelle des Intelligenzquotienten zu verwenden. Das sei ein Scheinzusammenhang. Da ist es wieder das böse Wort. Laut Jung wird der Einfluss des Bildungsgrads auf die politische Orientierung durch das Alter beeinflusst. „In Deutschland gab es in den vergangenen Jahrzehnten eine Inflation der Bildungsabschlüsse“, erklärt der Wahlforscher. Das bedeute, je älter die Wählerschaft der Partei ist, desto eher finde man dort formal weniger Gebildete. Man könne aber nicht sagen, dass ältere Wähler weniger intelligent sind, sondern nur, dass sie zu einer Zeit zur Schule gingen, als die Abiturientenquote noch deutlich niedriger war als heutzutage. Für den Demoskopen spielt nach wie vor die Religion eine große Rolle, um das Wählerverhalten zu erklären, wenngleich auch diese Größe immer mehr an Bedeutung verliere. „In Wahrheit hängt alles mit allem zusammen“, stellt er nüchtern fest.
Etwas weniger skeptisch ist der Sozialforscher Harald Schoen. „Das ist zunächst mal ein empirischer Befund, den ich ernst nehme“, sagt er diplomatisch. Seiner Meinung nach würden da jedoch keine parteipolitischen Präferenzen, sondern psychologische Tendenzen gemessen. „Es geht doch darum, wie offen oder rigide jemand im Denken ist“, analysiert der Bamberger Professor. Eigenschaften wie Neugierde, Gewissenhaftigkeit, Offenheit, Selbstbewusstsein und Verträglichkeit sind genetisch angelegte Persönlichkeitsmerkmale, die seit Jahrzehnten stabil sind. Diese „Big Five“, wie sie in der Psychologie genannt werden, bestimmen die Persönlichkeit eines Menschen. Schoen hat ihren Einfluss auf das Wahlverhalten unlängst untersucht. Gewissenhafte Personen votieren demnach häufiger für die Union, selten für die Grünen. Umgekehrt würden offene Charaktere wohl nicht auf die Idee kommen, CDU zu wählen, sondern am ehesten bei den Grünen ihr Kreuzchen setzen.
Vielleicht ist die politische Überzeugung am Ende mehr eine Frage des Charakters und weniger des Mandelkerns.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Follow me – Das Lobbying der Sozialen Netzwerke. Das Heft können Sie hier bestellen.