Brexit: Cameron drückt aufs Tempo

International

David Cameron ist zuversichtlich. Wenn alles klappt, wird der britische Premierminister am Wochenende Reformvorschläge präsentieren können, dank derer er sich für den Verbleib seines Landes in der EU einsetzen wird. Seine Strategie zielt auf den frühestmöglichen Termin für das Durchführen eines Referendums ab – nämlich Juni 2016. Damit würde er die EU-Skeptiker und Brexit-Befürworter stark unter Druck setzen, bei ihnen sind derzeit Streitereien an der Tagesordnung. Statt einer klaren Strategie dominieren Eitelkeiten und Ränkespiele sowie parteipolitisches Kalkül.

Mit “Vote Leave” und “Leave.EU” gibt es derzeit gleich zwei Kampagnen, die bei den EU-Skeptikern um die Führungsrolle kämpfen. Die britische Wahlkommission wird letztlich nur einer von beiden das offizielle Mandat übertragen. Dabei geht es um nicht weniger als jene Mittel, mit denen in einer politischen Kampagne das Grundrauschen erzeugt wird: staatliche Zuschüsse, ein höheres Wahlkampfbudget, kostenlose Werbeaussendungen sowie  Radio- und Fernsehspots.  

“Vote Leave” ist eine überparteiliche Initiative, die von Abgeordneten der Tories, Labour und der United Kingdom Independence Party (UKIP) unterstützt wird. Dank einiger Großspender verfügt sie über eine gute finanzielle Ausstattung. Auffällig viele Mitglieder kommen aus der zweiten Reihe der Konservativen: beispielsweise ehemalige Minister wie Owen Paterson und John Redwood oder Steve Baker, Vorstandsmitglied des 1922 Committee, dem einflussreichen Zusammenschluss konservativer Hinterbänkler. In der Dominanz der konservativen Abgeordneten liegt ein Grund fortwährender Reibereien mit den wenigen Parlamentsmitgliedern der britischen Arbeiterpartei, die sich über die Gruppe “Labour Leave” an der Initiative beteiligen. Mit der ehemaligen Sportministerin Kate Hoey verließ erst kürzlich die prominenteste Labour-Abgeordnete die Initiative im Streit.  

“Leave.EU” wiederum ist eine Graswurzelbewegung, die dem Umfeld der europafeindlichen UKIP entstammt. Sie verfügt damit insbesondere in der Mitte und im Norden Englands über ein motiviertes und schlagkräftiges Netzwerk an Wahlkämpfern, einem Trumpf in jeder Kampagne. Dieser Vorteil wird jedoch durch die aktive Beteiligung des umstrittenen UKIP-Parteivorsitzenden Nigel Farrage ausgeglichen, führt sie doch dazu, dass europaskeptische Wähler jenseits der UKIP-Parteigrenze abgeschreckt werden.

Bisher scheiterten alle Versuche, die beiden Gruppen zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Der kleinste gemeinsame Nenner – mit allen Mitteln den Austritt Großbritanniens aus der EU herbeizuführen – reichte bisher noch nicht dazu aus, um Misstrauen und Abneigungen der Akteure zu überwinden. So bleibt abzuwarten, welche der beiden Kampagnen letztlich den Zuschlag der Wahlkommission erhalten wird.

Euroskeptikern fehlt strahlende Leitfigur

Aktuell haben die Brexit-Befürworter ein weiteres Problem: Ihnen fehlt ein politisches Schwergewicht, das sich als Zugpferd der Kampagne eignet. Europaskeptische Kabinettsmitglieder wollen entweder zunächst die Verhandlungsergebnisse von Cameron auf dem EU-Gipfel abwarten oder stellen ihre Karriere über ihre Überzeugung.

So signalisierte die mächtige und durchaus europakritische Innenministerin Theresa May bereits, dass ihr die Zugeständnisse der EU-Regierungschefs ausreichen, um für einen Verbleib in der EU zu werben. Auch der geschätzte Londoner Bürgermeister Boris Johnson, ebenfalls EU-kritisch und wie May einer der potenziellen Nachfolger David Camerons, wird seinem Parteivorsitzenden wohl nicht in den Rücken fallen. Cameron scheint seinen Verzicht mit einem Sitz im Kabinett zu versüßen. So fällt eine potenzielle Leitfigur der Brexit-Befürworter nach der anderen aus.

Brexit-Gegner treten geschlossen auf

Die Pro-Europäer ziehen dagegen parteiübergreifend an einem Strang. So haben sich Abgeordnete von Labour, der Tories, Liberalen und Grünen in der Initiative “Britain Stronger in Europe” zusammengeschlossen. An der Spitze der Bewegung steht der bisher eher blass gebliebene ehemalige Geschäftsführer von Marks & Spencers, Stuart Rose. Mit David Cameron werden sie jedoch eine Gallionsfigur haben, die zwar nicht unumstritten ist, jedoch bereits zweimal gezeigt hat, wie Mehrheiten bei Parlamentswahlen zu holen sind.

Aktuelle Umfragen liefern ein uneinheitliches Bild, abwechselnd liegen Brexit-Befürworter und -Gegner vorne, der Ausgang der Abstimmung ist also ungewiss. Wenn Cameron diese Woche auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs erfolgreich sein wird und das Referendum bereits im Juni dieses Jahres abgehalten wird, dann hätten die EU-Skeptiker auf der Insel nur vier Monate Zeit, um ihre Gräben zu überwinden und eine schlüssige Kampagne auf die Beine zu stellen. Der Vorteil liegt somit eindeutig auf Seiten der EU-Befürworter.