Bedingt strategiefähig

Wer in Anbetracht der plötzlichen Energiewende oder der uneindeutigen deutschen Außenpolitik daran zweifelt, ob die Bundesregierung strategisch gut aufgestellt ist, der wird seine Zweifel in einer neuen Studie bestätigt finden. Die Studie „Sustainable Governance Indicators“ (SGI) der Bertelsmann-Stiftung befasst sich mit dem „guten Regierungshandeln“ in den OECD-Ländern und zeigt, wo Deutschland im internationalen Vergleich steht. Die Arbeit stellt der Bundesrepublik zwar zum Teil gute Noten aus, etwa, wenn es um die rechtsstaatlichen und demokratischen Rahmenbedingungen geht. Ein Schwachpunkt der Regierungsarbeit in Deutschland ist neben der Strategie aber auch die Bürgerbeteiligung – ebenso wie die Transparenz der Parteienfinanzierung.
In der SGI-Studie bewerten und gewichten die Macher anhand von 147 Indikatoren das Regierungshandeln der 31 Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nach den Maßstäben der „Good Governance“. Die Forscher beurteilen sowohl den Reformbedarf als auch die Reformfähigkeit der untersuchten Länder, bei denen es sich um marktwirtschaftlich ausgerichtete Demokratien handelt. In den Erhebungszeitraum von Mai 2008 bis April 2010 fallen die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der holprige Start der schwarz-gelben Koalition. Die Stiftung hat die Ergebnisse im April veröffentlicht, eine erste SGI-Studie hatte die Bertelsmann-Stiftung 2009 herausgebracht. Mit der Fortführung des Projekts wollen die Wissenschaftler Trends in der Regierungsarbeit der OECD-Staaten ausmachen.
Die Arbeit der Bundesregierung analysieren die Bertelsmann-Experten in einem knapp 60-seitigen Länderreport. Im Vergleich der Demokratiequalität und der nachhaltigen Politikgestaltung schafft es Deutschland auf Platz 8 von 31. Am wenigsten reformbedürftig zeigen sich die skandinavischen Länder, während Griechenland und die Türkei am unteren Ende des Rankings rangieren. Ähnlich schätzen die Gutachter die Reformfähigkeit der untersuchten Länder ein. Sofern es um die Beteiligungskompetenz von nichtstaatlichen Akteuren wie Verbänden und Bürgern geht, findet sich die Bundesrepublik auf Platz 11 wieder. Erfolgreicher sind in dieser Kategorie abermals die Skandinavier. Am unteren Ende der Skala diesmal das krisengebeutelte Griechenland.

Bloß Merkel in Szene gesetzt

Bei der Parteienfinanzierung ist laut der Studie in Deutschland eine so hohe Transparenz wie in den skandinavischen Ländern nicht gegeben. Desweiteren sei der Wille der Bürger zum bürgerschaftlichen Engagement tendenziell stark, doch zeigten die rückläufige Wahlbeteiligung und die sinkende Zahl der Parteimitglieder eine zu schwache Beteiligung der Bürger am politischen Geschehen. Die neuerlichen Proteste um die Atomfrage und die Eskalation des Streits um Stuttgart 21 sind zwar Entwicklungen, die die Studie noch nicht erfassen konnte, doch fordern die Gutachter von den deutschen Politikern, neue Beteiligungsformen für die politischen Prozesse zu erarbeiten.
Die erwähnte Schwäche der Regierung Merkel, politische Vorhaben strategisch zu planen und diese auch zu steuern, schlägt sich im Ranking nieder. In diesem Bereich erreicht Deutschland nur Platz 24. In ihrem Länderbericht führen die Gutachter aus, dass sich die Planungsabteilung des Kanzleramts eher mit der medialen Positionierung der Bundeskanzlerin als mit langfristigen Strategien befasse. Kritik erntet die Regierung auch für das Zusammenspiel mit den einzelnen Ministerien. Ebenfalls strategisch schwach zeige sich das Bundeskabinett insofern, dass es nur politische Entscheidungen treffe, über die bereits woanders entschieden wurde. Gemeint ist der Koalitionsausschuss, dem neben Kanzlerin und Vizekanzler die Partei- und Fraktionsvorsitzenden angehören. Dieses Unvermögen werde dadurch abgerundet, dass das Regierungshandeln nicht ausreichend kommuniziert und vom Bürger nicht verstanden werde.

Bundestag kommt gut weg

Den Bundestag und seine Kompetenzen bewertet die Studie hingegen positiv. Deutschland erreicht hier Rang 12. Seine Informations- und Kontrollpflichten gegenüber der Exekutive könne der Bundestag durch seine Strukturen gut wahrnehmen. Einzig die Zahl des vorhandenen Fachpersonals und der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Abgeordneten lässt Deutschland in das Mittelfeld der OECD absinken. Denn während hierzulande für einen Abgeordneten im Schnitt zwei Wissenschaftliche Mitarbeiter die politischen Inhalte vor- und aufbereiten, sind es etwa im US-Repräsentantenhaus durchschnittlich 20 qualifizierte Mitarbeiter, die dem einzelnen Abgeordneten bei seiner Arbeit zur Seite stehen.
Mit einer Mischung aus qualitativen Urteilen und quantitativen Daten bewerten die Gutachter die einzelnen Länder. Für jede Nation verfassten drei Gutachter einen Länderreport und ergänzten diesen um offizielle Daten wie Inflationsrate oder Arbeitslosenquote. Dieses Vorgehen und die Zweiteilung in Reformbedarf und -fähigkeit seien es, die die Studie von vergleichbaren Rankings abheben, meint der Freiburger Politikwissenschaftler Sebastian Jäckle, der sich in einem Fachartikel kritisch mit dem Projekt auseinandergesetzt hat. Darüber hinaus sei die Bertelsmann-Studie transparenter als vergleichbare Arbeiten, so der Politikforscher, da die gesamten Rohdaten für jeden Interessierten auf der Webseite sgi-network.org zugänglich sind. Eine künftige Herausforderung der Studienmacher sieht Jäckle darin, die Rahmenbedingungen anzupassen. So kritisiert er, dass bestimmte Länder nicht Teil der Studie seien. Die Studienmacher setzten voraus, dass ein Staat demokratisch regiert sein muss, um sich selbst reformieren zu können. Bestes Gegenbeispiel ist laut Jäckle das sehr wohl reformfähige und marktwirtschaftlich orientierte Singapur. Andere zählen die prosperierende Wirtschaftsmacht China, die sich mitnichten automatisch zur Demokratie entwickelt hat, ebenso zum Kreis der Länder, die außen vor bleiben. Dieser Problematik ist man sich bei der Bertelsmann-Stiftung durchaus bewusst, wie Projektmanager Daniel Schraad-Tischler sagt. Die Forscher würden überlegen, wie man den Fokus über die OECD hinaus auf Brasilien, China oder Indien erweitern könnte. Nur müsste man für diese Länder auch vergleichbar genaue und öffentlich zugängliche Daten haben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Querdenker – Zwischen Fraktionszwang und Gewissen. Das Heft können Sie hier bestellen.