Anleitung zum Umgang mit Redenschreibern

Praxis

Nehmen wir an, Sie wären plötzlich Minister. Die härtesten Monate Ihres Lebens liegen endlich hinter Ihnen. Sie fühlen sich ausgelaugt, ein paar Jahre gealtert und sahen schon mal besser aus. Trotzdem überwiegt die Euphorie. Der Wahlkampf war erfolgreich, die neue Landesregierung steht, und Sie sind am Ziel Ihrer Träume angekommen.

Die kommenden Wochen und Monate entscheiden, ob Sie Ihre Amtszeit souverän über die Bühne bringen oder im Chaos scheitern. Jetzt erst mal in Ruhe ankommen und sich einarbeiten, das wäre toll – aber so funktioniert das leider nicht. Sie müssen ab dem Tag Ihrer Ernennung Verantwortung übernehmen. Für sich, aber auch für andere. Auch für Ihren Stab, die Menschen, die Ihnen direkt zuarbeiten.

Kommt es wider Erwarten und Hoffen in den ersten Tagen Ihrer Amtszeit zu einem Skandal, einer Krise oder irgendeinem Ereignis, das die Medien interessiert, sind Sie es, der vor die Kamera treten muss. Was Sie jetzt brauchen, sind Worte. Gut gewählte Worte. Worte, die beeindrucken.

Diese Worte müssen klar und unmissverständlich sein, sonst werden sie falsch verstanden oder aus dem Zusammenhang gerissen. Sie dürfen sich aber auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, sonst gelten Sie als vorschneller Sprücheklopfer.

Gleichzeitig müssen Sie darauf achten, nicht nichts zu sagen. Wenn Sie nur schwurbeln und Allgemeinplätze belegen, werden Sie schnell uninteressant und provozieren Fragen, ob Sie denn Ihrem neuen Amt gewachsen sind.

Klingt gar nicht so einfach, oder? Vielleicht sollten Sie jemanden an Ihrer Seite haben, der sich mit so etwas auskennt. Willkommen in der Welt der politischen Redenschreiber!

Was soll ich mit meinem Redenschreiber anfangen?

Gehen wir ein paar Schritte zurück: Sie sind vereidigt, haben einen tollen Blumenstrauß bekommen und so weiter. Sie fahren beschwingt nach Hause und machen sich langsam Gedanken: Wen brauche ich als Minister an meiner Seite?

Einen Stabschef, einen persönlichen Referenten, einen Pressesprecher… der Redenschreiber fällt Ihnen nicht als erstes ein, oder? Vielleicht fragen Sie sich, ob Sie überhaupt einen Redenschreiber brauchen. Bisher haben Sie es auch alleine ganz gut hinbekommen.

Das mag sein. Trotzdem würden Ihre erfahrenen Kollegen am Kabinettstisch Ihnen ohne Zweifel dazu raten. Ja, ein Minister braucht Redenschreiber. Am besten mehr als einen. Dafür gibt es gute Gründe.

Die schiere Anzahl all der Reden, die Sie zukünftig halten müssen, kann ein Mensch kaum alleine vorbereiten. Die Schlagzahl ist nahezu unmenschlich hoch, jeder Veranstalter schmückt sich nun mal gerne mit Ihnen als Hauptredner. Kommen neben Begrüßungen von Delegationen, Impulsreferaten als Auftakt einer Podiumsdiskussion und Key-Notes auf Tagungen auch noch die politisch-pointierten Reden im Parlament dazu, gilt das umso mehr.

Wie passt mein Redenschreiber ins System?

Sie wollen es richtigmachen? Dann suchen Sie sich am besten mehr als einen Redenschreiber. Zwei wären gut, drei bilden ein ideales Kreativ-Team, das sich gegenseitig Ideen zuwerfen und returnieren kann. Im besten Fall steht einer der Dreien in der Hierarchie über den anderen beiden. Er darf sich „Chief Communications Officer“, „Chef-Redenschreiber“, „Leiter Kommunikation“ oder sonst wie nennen.

Er verantwortet die gesamte Kommunikation nach draußen – alles, was für „normale Menschen“ und deren Ohren bestimmt ist, wandert über seinen Schreibtisch: Reden, O-Töne, Interviews – also all das, was eher die Augen von Lesern ansprechen soll. Warum? Weil wir bei geschriebenen Texten, die in wörtlicher Rede verfasst sind, den Verfasser unbewusst und stumm mitsprechen, seine Stimme im Ohr haben.

Der Chef-Redenschreiber muss die hohe Kunst beherrschen, das fachlich Wichtige so adressatengerecht zu verpacken, dass es verständlich ist, ohne falsch zu sein.

Wort und Schrift einer Person des öffentlichen Lebens miteinander in Einklang zu bringen und den richtigen Ton konsequent beizubehalten, ist kein einfacher Job. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Chef-Redenschreiber innerhalb Ihres Stabes eine herausgehobene Position innehat, dem höheren Dienst angehört und mit direkter Weisungsbefugnis ausgestattet wird. Vor allem, weil Sie damit ein klares Signal setzen, wer die Verantwortung trägt für die Redemanuskripte und Texte, die nachher mit Ihrem Namen versehen werden – nämlich er. Damit nehmen Sie den Druck von Ihren Fachmenschen in den Referaten und den anderen Redenschreibern in Ihrer Mannschaft. Glauben Sie mir: So setzen Sie bei ihnen kreative Kräfte frei.

Wie finde ich einen fähigen Redenschreiber?

Kreativität ist für uns Redenschreiber essenziell, Fachwissen eher nicht. Warum? Weil Sie überwiegend vor Menschen stehen und sprechen werden, die auch kein Fachwissen besitzen. Mangelt es an Kreativität, werden Reden ermüdend und eintönig. Die Rede kann noch so fachlich korrekt, der Inhalt noch so bedeutsam sein: Langweilige Reden hört sich niemand länger als ein paar Minuten an.

Sie haben keine Ahnung, wie Sie solche kreativen Köpfe finden? Sie fragen sich: Wer hat das Zeug zum politischen Redenschreiber? Meine Antwort überrascht Sie vielleicht: Es ist meistens ziemlich egal, welches Vorwissen und welchen Abschluss jemand mitbringt.

Entscheidender sind andere Kompetenzen: Empathie. Spaß an Sprache. Freude am Schreiben. Mut, anders zu schreiben, als wir es in der Schule, auf der Uni oder im Beruf gelernt haben. Unsere wichtigste Eigenschaft: das eigene Scheitern nicht als Versagen, sondern als Chance zu begreifen, es beim nächsten Mal besser zu machen.

Reden schreiben ist keine exakte Wissenschaft, sondern das gekonnte Jonglieren mit Gefühlen, Stimmungen und Überzeugungen. Das können gelernte Floristen und Physiotherapeuten genauso gut wie Germanisten und Juristen. Das Wissen über politische Abläufe kommt irgendwann von ganz allein.

Wie finden Sie nun genau diese Menschen? Indem Sie sich aktiv auf die Suche begeben, die Augen und Ohren offenhalten und niemanden von vornherein ausschließen. Sie brauchen nicht weit über den Tellerrand Ihres Ministeriums schauen – die Chance ist groß, dass jemand in Ihrem Hause das Zeug dazu hat, brillante Reden zu schreiben.

Warum organisieren Sie nicht eine Art internes Casting? Eine Schreibwerkstatt, in der jeder interessierte Mitarbeiter eingeladen ist, sich kreativ auszutoben? Oder ein behördeninterner „Call for Papers“ der besonderen Art: Jeder Mitarbeiter ist aufgerufen, mit maximal 400 Wörtern das, was er in Ihrem Ministerium tut, zu beschreiben. Mit einer kleinen Besonderheit: Der Text soll so geschrieben sein, dass es ein sechsjähriges Kind versteht.

Wie läuft das Ganze im Echtbetrieb?

Sie haben Ihr Team an Bord, haben die Strukturen geschaffen und alle Rollen geklärt. Wie läuft das Ganze jetzt im Echtbetrieb ab? 

Folgendes Szenario: Krisensitzung in Ihrem Besprechungsraum. Irgendein Skandal steht im Raum. Jetzt muss es schnell gehen. Es geht um Ihren guten Ruf, vielleicht um Ihre Karriere. Wer steckt jetzt die Köpfe zusammen?

Ihr Stabschef ist gesetzt. Ihr Persönlicher Referent ebenso. Ihre Pressestelle und Online-Redaktion sollten ebenfalls mit am Tisch sitzen. Was ist mit Ihren Redenschreibern? Mein dringender Rat: Nehmen Sie sie mit dazu!

Ihren Chef-Redenschreiber ohnehin. Er muss mit am Tisch sitzen und sollte sich das Recht herausnehmen dürfen, Bedenken vor versammelter Mannschaft zu äußern, seine Meinung kundzutun und gute, ungewöhnliche Ideen beizusteuern. Der Rest des Teams sollte die Chance bekommen, zuzuhören.

Eine wichtige politische Rede zu schreiben, ohne die Hintergründe zu kennen, das Für und Wider für diese oder jene Position, macht es für Ihre Schreiber unnötig kompliziert und provoziert überflüssige Nachfragen. Diese Zeit haben Sie in einer Krise nicht. Es geht beim Mithören vor allem darum, Stimmen aufzufangen und Stimmungen wahrzunehmen. Schwingungen. Gefühle, Zweifel, Emotionen – all das, was einer Rede später den nötigen Tiefgang verleiht.

All das zu beachten ist noch kein Garant dafür, dass Sie immer gut aussehen, dass Sie jede Krise meistern oder Ihnen die Herzen der Menschen reihenweise zufliegen werden. Aber es sind Ratschläge, die Ihnen dabei helfen, von Anfang an ganz bewusst die richtigen Rahmenbedingungen für gute Reden zu schaffen.

Ach, Sie sind gar nicht Minister? Sie wollen es vielleicht mal werden, vielleicht aber auch nicht? Vielleicht sind Sie auch Vorstand, Inhaber oder irgendjemand sonst, der das Privileg eines eigenen Redenschreibers genießt? Dann gilt für Sie dasselbe: Sie haben einen Fachmann im Team – nutzen Sie ihn, beziehen Sie ihn ein, fordern Sie ihn heraus! Und Sie als derjenige, der die Reden halten muss, wirken so, wie es sich für einen guten Redner gehört: Souverän und klug, sympathisch und witzig, bürgernah und verständlich. 

Aber das Wichtigste: Sie werden sich sicher fühlen, da oben am Stehpult. Weil Sie wissen: Mit einer guten, ausgefeilten und unterhaltsamen Rede in der Hinterhand kann Ihnen nichts passieren.

Klingt doch gar nicht so schlecht. Oder?