Mehr als nur Klatsch

Will Smith's Ohrfeige

Es war einer der TV-Momente 2022: Im dunklen Anzug schreitet US-Schauspieler Will Smith mit langen Schritten auf den Moderator der Veranstaltung, Chris Rock, zu. Comedian Rock hatte einen Witz über Smiths erkrankte Frau Jada Pinkett Smith gemacht. Smith holt mit dem rechten Arm aus. Chris Rock spürt die Wucht der flachen Hand im Gesicht. Die 94. Academy Awards schreiben Geschichte als die „Oscar-Nacht der Ohrfeige“.

Der plötzliche Gewaltausbruch schockierte Menschen weltweit zu Hause vor den Fernsehgeräten. Live vor Ort nahm das Abendprogramm seinen geplanten Lauf, getreu dem Motto „the Show must go on“. Es ist sehr erstaunlich, wie die Organisatoren mit der Situation umgingen.

Veranstalter der legendären Oscars ist die Academy of Motion Picture Arts and Science. Eine ehrenwerte Organisation, die mit ihren goldenen Statuen Schauspielerinnen und Schauspieler unsterblich macht. Herausragende Leistungen werden vor einem Millionenpublikum ausgezeichnet. Ein Oscar erhöht den Marktwert eines jeden Films. Doch was passiert, wenn ein Gast auf der Bühne gewalttätig wird?

Episode 1: Bildmacht und erste Reaktion

Das Ohrfeigen-Foto ist am Morgen danach weltweit der Aufmacher auf Websites und in Zeitungen. Die Academy verkündet schriftlich, dass sie Smiths Verhalten „nicht akzeptabel“ findet. Die Oscar-Macher entschuldigen sich in der Pressemitteilung und räumen selbstkritisch ein, auf so etwas nicht vorbereitet gewesen zu sein. Die berühmte Oscar Academy gibt sich somit eine Mitschuld an dem Skandalauftritt. Welche Botschaft damit gesendet werden soll, ist unklar. Verantwortlich für seine Taten ist allein Will Smith, der kurzzeitig die Beherrschung verloren hatte. Hätte die Academy die Attacke auf Chris Rock eindeutig missbilligt und dabei auf ihre Werte verwiesen, hätte das als erste Botschaft gereicht. Kommunikativ ist es klüger, anzukündigen, was man das nächste Mal besser machen will.

Episode 2: Kein Kontrapunkt

Die Academy macht kein Pressestatement vor laufenden Kameras. Offenkundig sind zu viele Fragen noch offen. Allerdings ist es in diesem Fall empfehlenswert, schon in der Nacht über Maßnahmen und Konsequenzen zu sprechen. Ein gefilmtes Statement kann ein emotionaler Gegenpunkt zur Gewalt auf der Bühne sein. So gab es keine Bilder der verärgerten oder fassungslosen Oscar-Verantwortlichen, die in Zusammenfassungen des Vorfalls hätten gezeigt werden können. Stattdessen landete eine Mail aus der Pressestelle im Postfach. Die E-Mail-App „Outlook“ hat für solche Mails die Kategorie „Sonstige“ erfunden.

Episode 3: Planlos

Mit etwas Abstand muss man konstatieren: Die Organisation war schlecht vorbereitet. Spielen Sie vor einer Veranstaltung in Ruhe die schlimmsten Szenarien durch. Vor einer Bilanzpressekonferenz oder einem öffentlichen Verbandstreffen, das live im TV zu sehen ist, sollten sich Veranstalter fragen: Was machen wir, wenn Demonstranten die Bühne stürmen, ein Gesprächspartner ohnmächtig umkippt oder die Technik versagt? Für solche und ähnliche Krisenfälle brauchen Sie Handlungsalternativen in der Schublade. Klar, erfahrene Moderatoren können dann improvisieren. Aber neben dem Publikum im Saal gibt es noch das Publikum im Netz. Bevor die Veranstaltung beendet ist, trendet die Panne schon bei Twitter und wird in Whatsapp-Gruppen herumgereicht.

Die Academy hätte Pläne für Worst-Case-Szenarien entwerfen und dann die Sendung nach diesen Reaktionsplänen umbauen müssen. Zugegeben, dass ein Schauspieler einen anderen schlägt, hätte man selbst im abwegigsten Szenario wohl nicht bedacht. Andererseits überbieten sich Oscar-Moderatoren traditionell bei satirischen Tiefschlägen – und das in einem Raum voller Diven.

Episode 4: Kein Platzverweis

Will Smith darf im Dolby-Theater in Hollywood im Publikum sitzen bleiben. Eine Academy im Krisenmodus hätte die Frage beantworten müssen: Was machen wir, wenn Smith nun einen Oscar gewinnt? Kann er ihn entgegennehmen? Schauspieler sind Vorbilder. Stars können sich nicht alles erlauben. Diese Episode ist am schwierigsten zu managen. Aber nach dem gewalttätigen Vorfall war die Übergabe des Oscar nicht angemessen. Der Skandal war schon da. Durch konsequentes Handeln hätte immerhin der Schaden nicht noch verschlimmert werden können.

An dieser Stelle wird offensichtlich, dass die Academy nicht auf akute Krisen vorbereitet war. Das Programm inklusive Oscar-Verleihung an den Bad Boy läuft einfach weiter. Bei jedem Fußballspiel wird zumindest zeitweise das Match unterbrochen. Spieler, die sich total danebenbenehmen, müssen den Platz verlassen.

Episode 5: Wer zu spät kommt

Anschließend verpasst es die Academy, selbst zu bestimmen, wie sie mit dem Vorfall umgeht. Weitere „Schritte und Konsequenzen“ wolle man prüfen, schreibt sie. Die Oscar-Organisation wartet aber ganze elf Tage damit bis zum turnusmäßigen Treffen der Chefs. Das Board-Meeting hätte noch in der Nacht oder spätestens am nächsten Morgen stattfinden müssen, mit Unterstützung von Juristen und Kommunikationsprofis.

Ein solch hochkarätig besetztes Board muss dann sofort entscheiden und direkt kommunizieren. Tenor: Die Academy duldet so etwas nicht und Smiths wird sofort die Mitgliedschaft der Filmakademie entzogen. Und: Will Smith muss die Oscar-Statue zurückgeben. Bestenfalls wird er aufgefordert, Geld an eine Einrichtung für Opfer von Gewalt zu spenden.

Die Academy wartet aber elf Tage – und entscheidet: Will Smith darf zehn Jahre lang nicht zur Gala kommen. Aber der gefallene Hollywoodliebling kann weiterhin für den Oscar nominiert werden. Das ist wohl die mildeste Form der öffentlichen Bestrafung.

Episode 6: Smith mahlt zuerst

Will Smith reagiert schneller. Er übernimmt den aktiven Part, schafft Tatsachen. Zwei Tage nach der Preisverleihung entschuldigt sich der Filmstar mit einem Instagram-Post bei Chris Rock und der Academy. Er habe „emotional reagiert“. Der Hollywood-Star kündigt seinen Austritt aus der Filmakademie an und kommt damit der Academy zuvor.

Fazit: Die Academy of Motion Picture Arts and Science hätte sofort, aktiver und konsequenter handeln müssen. Die Oscar-Macher haben durch ihr Zögern und ihre Nachgiebigkeit vor allem die eigene Glaubwürdigkeit schwer ramponiert.

Chris Rock ist mit einer geschwollenen Wange davongekommen. Auf eine Strafanzeige gegen Smith verzichtete der Comedian. Übrigens: Den Oscar als „Best Actor“ für seine Hauptrolle in „King Richard“ hat Will Smith bis heute behalten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 139 – Thema: Politische Events. Das Heft können Sie hier bestellen.