Schwurbeltiertage

Kolumne

Ceterum censeo ist eine berühmte lateinische Phrase, die mit „Im Übrigen bin ich der Meinung“ übersetzt wird. Sie ist ein Paradebeispiel für politische Beharrlichkeit. Der römische Senator Cato der Ältere prägte diesen Ausdruck, indem er jede seiner Reden im Senat mit den Worten „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ („Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“) beendete. Diese unermüdliche Wiederholung wurde zum Sinnbild für eine kompromisslose politische Agenda.

Auch die Debatte in Deutschland hat neuerdings ein „Ceterum censeo“. Egal, worum es geht: In sozialen Netzwerken kommt verlässlich jemand um die Ecke und ist „im Übrigen“ der Meinung, alles habe irgendwie mit der Coronapandemie zu tun. Noch immer wird schlimm gelitten, noch immer muss dringend irgendjemand dafür in den Knast oder Schlimmeres. Die Polizei setzt keine Wasserwerfer gegen Pro-Hamas-Demos ein, auf denen antisemitische Parolen gerufen werden? „Vor drei Jahren war das doch noch okay!“ Im Bundeshaushalt fehlt Geld? „Für Impfstoffe war genug Geld da!“ Ein neuer Superheldenfilm kommt in die Kinos? „Scheiß Masken!!“

Ja, die Pandemie war heftig. Viele haben gelitten. Es ist richtig, das zu sehen. Aber viele Menschen sind auch an Covid-19 erkrankt und daran gestorben – oder leiden bis heute an den Folgen der Krankheit. Die Coronaleugner tragen aber natürlich ein viel härteres Schicksal. Für sie ist irgendwann, Ende 2021 oder im Laufe des Jahres 2022, einfach die Zeit stehen geblieben. Wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ mit Bill Murray, der immer wieder denselben Tag durchleben muss. Aber statt wie Murrays Figur stürzende Kinder aufzufangen oder sich das Klavierspielen beizubringen, nutzen die Coronaleugner ihre Superkraft ganz anders. Sie reden einfach ständig und immer wieder über Corona.

Seitdem ist Aufarbeitung angesagt. Aufarbeitung heißt aber nicht ergebnisoffene Analyse. Aufarbeitung heißt: Wir haben es schon gewusst, als die ungefährlichere Omikron-Variante noch ein Glitzern im Auge des Mutationsuniversum war. Im Juli war es dann so weit: Die geheimen Protokolle der Weisen vom Robert Koch Institut wurden veröffentlicht. Der Inhalt war brisant. Demnach besaß das Gesundheitsministeriums während der Pandemiebekämpfung die Frechheit, Ratschläge des RKI nicht zu befolgen. Ganz so, als läge die politische Verantwortung beim demokratisch legitimierten Gesundheitsminister. Ganz so, als sei das RKI eine dem Gesundheitsministerium nachgeordnete, weisungsgebundene Oberbehörde ohne eigene Agenda. Na ja gut, so ist das ja tatsächlich, aber … aber wir kennen die ganze Wahrheit!

Zum Glück wissen wir ganz genau, wer die Schuld an allem trägt. Allen voran Christian Drosten (grrrrr), Karl Lauterbach (hmmpf) und Jens Spahn (huiuiui). Als Polizisten in Hamburg Schüler von Parkbänken jagten, hat Spahn da nicht das Blaulicht angemacht? Als der 15-Kilometer-Bewegungsradius eingeführt wurde: Hat Drosten nicht Maßbänder auf Ebay vertickt? Und noch eine persönliche Geschichte: Als ich geimpft wurde, kam der Lauterbach durchs Fenster geklettert, hat einen Stuhl umgetreten, ins Waschbecken gepinkelt und mich dann festgehalten, als mir Bill Gates’ DNS-Plörre in die Schulter gejagt wurde. In meiner Telegram-Gruppe haben wir da alle ähnliche Erfahrungen gemacht.

Kürzlich war ein ganz schlimmer Tag im Murmeltierland. Da hat ausgerechnet „Focus Online“, neben der „Welt“ das Zentralorgan für Corona-, Migrations- und Klimawissenschaften, über eine Studie der Weltgesundheitsorganisation berichtet. Forscher hatten ausgerechnet, dass die Coronaimpfung zwischen Dezember 2020 und März 2023 allein in Europa 1,6 Millionen Menschen das Leben gerettet hat. Dafür kann es eigentlich nur eine Erklärung geben: Karl Lauterbach ist in die Redaktionsräume eingebrochen, hat Kaffee über mehrere Tastaturen gekippt, das Salz versteckt und den Artikel dann selbst hochgeladen. Meine Telegram-Gruppe war von diesem Hergang jedenfalls überzeugt.

Und so gehen die Murmeltiertage ins Land. Aber andernorts ziehen schon neue dunkle Wolken auf. Mpox und das ewige Vogelgrippevirus bringen sich in Stellung. Zum Glück sind die richtigen Argumente dafür schon da. Alles nur ein kleiner Schnupfen, geplant von Bill Gates und George Soros – und eine Impfung wird völlig wirkungslos sein gegen die wirkungslose Krankheit. Und jede fachliche Kritik von Fachfremden wird ceterum zensiert!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 148 – Thema: Netzwerke. Das Heft können Sie hier bestellen.