Im Sumpf der Eitelkeiten

Medien

„Ihr Hund ist fett“, sagt Harry Reid 2009 über George W. Bushs schwarzen Scottish Terrier Barney. Der demokratische Senator aus Nevada ist bekannt für seine schroffe Art. Ruft Tom Coburn, republikanischer Senator aus Oklahoma, ihn beispielsweise verärgert an, legt er oft einfach auf, wenn für ihn alles gesagt ist. „Kollegial“ nennt man in Washington so ein Verhältnis. Übersetzt heißt das: Sie hassen sich. Im Hauptstadtclub Washington, einem „brodelnden Eintopf menschlicher Bedürfnisse“, sind solche Bosheiten Alltag.

Der Chef-Korrespondent des „New York Times Magazine“, Mark Leibovich, hat diesen Alltag eingefangen und seine Beobachtungen und Hintergrundgespräche mit den „Clubmitgliedern“ in ein Porträt über die „Stadt der Schleimer“ gegossen. Und er urteilt scharfsinnig in „Politzirkus Washington“, das 2013 in Amerika zum Bestseller wurde und nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Dieses Sittenbild befördert den Leser in die Abgründe des Politiker- und Lobbyisten-Daseins: „Da jeder seine eigene ‚Interessenvertretung’ oder Marke repräsentierte“, schreibt Leibovich, „konnte man unmöglich wissen, wer wessen Wasserträger war.“ 

Zum Auftakt seiner süffisanten Abrechnung kommen alle großen und kleinen Wasserträger auf Tim Russerts Beerdigung zusammen. Der NBC-Journalist starb 2008 an einem Herzinfarkt. Leibovich beobachtet die Trauergemeinde: „Wie in einer Zeitschleife vermitteln sie das Bild eines politischen Rudels, das niemals stirbt oder altert, sondern nur reicher wird und schlaffer im Gesicht und sich stärker schminkt.“ Bei solch einem Spektakel ist die Presse natürlich nicht weit. Auftrag der Medien ist Leibovich zufolge jedoch schon lange nicht mehr die reine Berichterstattung, sondern die unbarmherzige „Hatz nach Self-Branding“. Medienvertreter wollten wie die politischen Akteure eine Marke in Washington sein, auch sie seien Teil der „Schleimerbrigade“.

Ist Mark Leibovich eine Ausnahme? Darüber lässt sich sicherlich diskutieren – einige selbstreflexive Momente zeigen jedoch: Er scheint sich seiner Stellung im Gefüge von Macht und Schmeichelei durchaus bewusst zu sein. Aber Washington ist nun einmal sein Zuhause. Einschüchtern lässt er sich von den Strategen der Stadt jedenfalls nicht. Als er Tim Russert zu Lebzeiten beispielsweise in Sweatshirt und Baumwollkniestrümpfen im Fitnessraum traf, untersagte ein NBC-Sprecher, über dessen Outfit zu schreiben. Leibovich erwähnte es daraufhin ausdrücklich in einem Artikel, warnte jedoch Russert zuvor telefonisch. Er solle auch erwähnen, dass seine Schuhe Gummisohlen hatten, erwiderte dieser und lachte laut. Eine derartige Banalität wäre glatt eine Meldung für den Nachrichtendienst „Politico“ gewesen. Dessen Erfolg bestätigt, dass Washington jede noch so kleine Info über das Umfeld Barack Obamas aufsaugt. „Politico“ ist für Leibovich eine „Bastion der Schneeflockenmeldungen“, die sich verbreiten und bei Berührung auflösen.

Leibovichs Geschichte über Kurt Bardella löst sich beim Lesen ganz bestimmt nicht auf. In seinem Porträt über den Pressesprecher des Abgeordneten Darrell Issa zeigt Leibovich sein ganzes erzählerisches Können, das sich in anderen Kapiteln im Gewirr der vielen Haupt- und Nebenakteure manchmal verliert. Leibovichs Geschichten halten eine Lawine an Namen bereit. Über Aufstreben und Fall des ehrgeizigen Bardella schreibt er deutlich zurückgelehnter. Dieser leitete ihm für seine Recherchen zu „Politzirkus Washington“ Emails von Journalisten weiter, was prompt herauskam. Ein Skandal. Nun stand Leibovich selbst im Fokus der Spekulationen des Washingtoner Medien- und Politikbetriebs. Dem „schmierigen Ökosystem“ der Hauptstadt wollte Obama eigentlich den Garaus machen. Dass das nicht geklappt hat, zeigen die vielen ehemaligen Politiker, die sich „durch die Drehtür schmuggelten“, in die Wirtschaft wechselten und wieder in die Politik zurückkehrten. Leibovich präsentiert haarsträubende Beispiele. Am Ende bleibt übrig: Obama hat nicht viel am Gekungel im Politzirkus ändern können.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Beste Wahl. Das Heft können Sie hier bestellen.