Hangout mit Abgeordneten

Medien

Herr Marx, wie läuft eine digitale Bürgersprechstunde ab?

Christian Marx: Der erste Schritt besteht darin, Politiker anzufragen und sich gemeinsam auf einen Termin zu einigen. Steht der Termin fest, kündigen wir die digitalen Bürgersprechstunden auf unserer Webseite an. Außerdem fordern wir unsere Community auf, Fragen zu stellen. Im zweiten Schritt versuchen wir, lokale Medien aus dem Wahlkreis des Bundestagsabgeordneten für eine Mitarbeit zu begeistern.

Wenn sich alle Beteiligten auf einen Termin einigen konnten, fehlt nur noch der Inhalt. Welche Themen beschäftigen die Bürger zurzeit am meisten?

Es werden immer wieder aktuelle Themen aufgegriffen, zum Beispiel der IS-Terror oder die Griechenland-Hilfen. Aber vor allem Wahlkreisthemen und besonders der Ausbau von Energietrassen im Zuge der Energiewende treiben Bürger um – gerade dort, wo Trassen gebaut werden sollen. Außerdem versuchen wir herauszufinden, ob es im Wahlkreis Bürgerinitiativen oder Vereine gibt, die sich für bestimmte Themen stark machen und holen sie mit ins Boot.

Wie viele Leute nehmen im Durchschnitt an einer Bürgersprechstunde teil?

Das ist schwer zu beziffern und hängt auch von der Prominenz des Politikers ab. Wenn wir etwas Vorlaufzeit haben und die Ankündigung auf unserer Webseite verbreiten, dann erreichen uns viele Fragen. Dass sich Bürger zuhause mit Headset vor die Webcam setzen und an einem “Hangout” teilnehmen, ist noch nicht selbstverständlich. Da gibt es noch eine Hemmschwelle.

Gibt es diese Hemmschwelle auch bei den Politikern?

Die scheint eher niedrig zu sein. Die meisten Politiker sind sehr motiviert, neue Format auszuprobieren. Seit unserem Start im Dezember 2013 haben wir mittlerweile über 50 digitale Bürgersprechstunden mit Bundestagsabgeordneten organisiert. Für viele ist die digitale Sprechstunde eine tolle Erfahrung. Einige Politiker überlegen sogar, selbst ein online-basiertes Dialogformat anzubieten, um mit ihren Wählern in Kontakt zu bleiben.

Mittlerweile organisieren Sie nicht nur digitale Bürgersprechstunden, sondern auch Schülersprechstunden. Was ist das besondere an einer digitalen Schülersprechstunde?

Dabei ermöglichen wir Schulklassen, einen Spitzenpolitiker kennen zu lernen und ihm Fragen zu stellen. Bisher haben wir das dreimal ausprobiert: mit Gregor Gysi (Linke), Cem Özdemir (Grüne) und Olaf Scholz (SPD). Die Resonanz war dabei sehr gut. Im Vorhinein bereiten wir die Klassen mit Workshops vor, in denen wir über politische Kommunikation diskutieren aber natürlich auch besprechen, was es bedeutet, an einem online-basierten Dialogformat teilzunehmen, das von jedem im Internet angeschaut werden kann. Dadurch wollen wir die Medienkompetenz der Schüler schärfen.

Schüler stellen doch bestimmt andere Fragen als politikinteressierte Erwachsene. Was wollen Schüler von den Politikern wissen?

Sie interessieren sich vor allem für den Werdegang eines Politikers, was er macht und welche Themen ihn beschäftigen. Bei der Sprechstunde mit Gregor Gysi (Anm. d. Redaktion: am 5. November 2014) haben die Schüler zum Beispiel auch gefragt, was für ihn eigentlich Glück bedeutet. Das sind Fragen, die Politiker nicht jeden Tag gestellt bekommen. Und so erfährt man beispielsweise auch, dass Gregor Gysi ein Wagner-Fan ist.

Die Sprechstunde ist live, es gibt also keine Garantie, dass alles glatt läuft. Gab es schon unvorhersehbare oder unangenehme Situationen?

Wir haben manchmal technische Probleme, die der Bandbreite geschuldet sind. Das viel diskutierte Thema Netzausbau wird in solchen Momenten auch für unser Format spürbar. Inhaltlich gab es bisher aber keine Probleme. Die Anfragen der Bürger unterliegen einer gewissen Netiquette, denn unverschämt formulierte Fragen stellen wir nicht.

Welche Sprechstunde fanden Sie besonders spannend oder überraschend?

Unsere digitale Schülersprechstunde mit Cem Özdemir (Anm. d. Redaktion: am 4. März 2015) war sehr interessant. Während dieser hat ein Schüler seine Frage spontan auf Türkisch gestellt. Cem Özdemir antwortete auf  Türkisch und hatte damit den “Sprachtest” bestanden. Schüler nutzen die Möglichkeit, den Politikern auf den Zahn zu fühlen, anders als es vielleicht ein Erwachsener tun würde.

Gab es noch andere spannende Situationen, an die Sie sich erinnern?

In der Bürgersprechstunde mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Grindel (Anm. d. Redaktion 4. Juni 2014) haben wir mit ihm über die Vorratsdatenspeicherung gesprochen, die gerade in den Medien diskutiert wurde. Er hat dann in der Sprechstunde die Union aufgefordert, einen neuen Gesetzesvorschlag zu initiieren, nachdem der Europäische Gerichtshof den Vorschlag bereits gekippt hatte. Für uns ist es ein Glücksfall, wenn Politiker solche Aussagen machen. Wenn sie tagesaktuell sind oder besonders brisant, geben wir auch schon mal eine Pressemitteilung raus, um unser Format dadurch bekannter zu machen.

Politiker sind viel unterwegs auch außerhalb des Wahlkreises, da kann die Nähe zum Bürger auch schnell verloren gehen. Kann die digitale Sprechstunde die analoge Bürgersprechstunde im Wahlkreis ersetzen?

Auf keinen Fall. Unser Format ist die Übersetzung der analogen Sprechstunde in die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters. Sie kann lediglich eine gute Ergänzung sein. Unser Ziel ist es, Bürger an politische Themen heranzuführen und das aktive Politik-Engagement zu stärken. Wir wollen einen Rahmen schaffen, der es jedem Bürger ermöglicht, Fragen zu stellen, ohne das Wahlkreisbüro des Abgeordneten aufsuchen zu müssen.