„Glaubwürdigkeit in Gefahr“

p&k: Herr Professor Weberling, was ist das Ziel der Forschungsgruppe, die Sie leiten?
Johannes Weberling: Wir wollen unter anderem herausfinden, ob die Stasi auf die „Berliner Zeitung“ Einfluss genommen hat. Das ist der Auftrag, den die Chefredaktion uns erteilt hat. Wir befassen uns mit dem Zeitraum bis Juni 1990, als die Staatssicherheit aufgelöst wurde.

Was geschieht mit Mitarbeitern, denen man eine Stasi-Tätigkeit nachweist?
Das ist eine Entscheidung, die die Chefredaktion trifft, das entscheiden wir nicht. Ich kann Ihnen aber grundsätzlich als Arbeitsrechtler sagen, dass es keinen Automatismus gibt im Sinne von „Stasi-Tätigkeit gleich Kündigung“. Erforderlich ist immer eine Einzelfallentscheidung, bei der das wichtigste Kriterium ist, ob die Glaubwürdigkeit der Zeitung massiv beschädigt wird, wenn der Redakteur, der als Stasi-Spitzel enttarnt wurde, weiter bei der „Berliner Zeitung“ bleibt.

Im März haben sich zwei leitende Redakteure als belastet herausgestellt. Werden die ihre Funktion behalten?
Das ist eine Spekulation, an der ich mich nicht beteilige. Das muss der Chefredakteur, insbesondere im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Zeitung entscheiden.
Die „Berliner Zeitung“ war immerhin eine von vier Regionalzeitungen in Ostdeutschland, die das Thema Stasi überhaupt angepackt haben. Auch die „Lausitzer Rundschau“, die „Märkische Oderzeitung“ und die „Sächsische Zeitung“ haben sich Mitte der 90er Jahre diesem Thema gestellt und schon damals versucht aufzuklären, ob und welche Verwicklungen von Redakteuren es gab. Alle anderen Regionalzeitungen haben das nicht getan.

Würde bei anderen Zeitungen denn auch etwas herauskommen?
Mit Sicherheit. 18 Jahre nach der Wende werden nicht mehr alle Betroffenen Redakteure sein, weil einige aus Altersgründen ausgeschieden sind. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass es die eine oder andere Überraschung geben würde.

Als Gruner&Jahr in den 90er Jahren den Berliner Verlag übernommen hatte, gab es dort die erwähnte Stasi-Untersuchung. Wie konnten damals die ranghohen Redakteure, die heute unter Verdacht stehen, unentdeckt bleiben?
Weil die Akten des einen Mitarbeiters damals noch nicht rekonstruiert waren, während der andere vor 1990 kein Mitarbeiter der „Berliner Zeitung“, sondern der Nachrichtenagentur der DDR war.
Einige Redakteure möchten nicht aktiv mit Ihnen zusammenarbeiten, obwohl sie es ursprünglich angekündigt hatten. Erschwert das die Arbeit?
Ja, das verzögert die Arbeit. Es wäre für uns natürlich wesentlich leichter, wenn die Redakteure uns gegen eine Verschwiegenheitsverpflichtung ihre Akten, für die sie selbst Einsicht beantragt haben, zur Verfügung stellen würden. Wenn sie das nicht machen – was wir zu respektieren haben – werden wir uns selber um Akteneinsicht bemühen. Das dauert nur wesentlich länger.

Glauben Sie, dass die Glaubwürdigkeit der „Berliner Zeitung“ beschädigt ist? Immerhin ist unter Thomas Leinkauf, einem der betroffenen Redakteure, ein äußerst kritischer Artikel über Hubertus Knabe, den Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, veröffentlicht worden.
Genau das ist die Frage, die sich uns stellt: Inwieweit hat es bei der „Berliner Zeitung“ Einfluss ehemaliger IMs gegeben? Wäre dieser Artikel auch erschienen, wenn Herr Leinkauf nicht selbst Stasi-Erfahrungen gehabt hätte? Diese Frage stellt sich auch der kritische Leser. Er denkt: Da ist nachgedreht worden.

Und wenn Ihre Studie erscheint, entscheidet die Chefredaktion über die Konsequenzen?
Ob die Chefredaktion solange abwarten will, bis wir das Gutachten vorlegen, kann ich nicht abschätzen. Wenn der Redaktionsausschuss nicht mit uns zusammenarbeitet, wird es länger dauern. Dann dürfte die Chefredaktion sicherlich hinsichtlich der beiden schon bekannt gewordenen IMs eine Entscheidung fällen. Schließlich steht die Glaubwürdigkeit der Zeitung aktuell auf dem Spiel.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Im Schatten – Deutschlands Redenschreiber. Das Heft können Sie hier bestellen.