Der Kämpfer aus dem Süden

Am Anfang steht die Krise – die Sinnkrise. Ohne sie hätte Armin Käfer nie sein Studium abgebrochen und den Job eines freien Mitarbeiters bei einer Lokalzeitung ergriffen. Ohne sie hätte er nie Spaß am Beruf des Journalisten gefunden. Und ohne sie hätte er nie den Weg zur „Stuttgarter Zeitung“ gefunden. Heute kann Käfer über seinen ungewöhnlichen Einstieg in den Journalismus lachen. Damals, Mitte der achtziger Jahre, sah das anders aus.
Käfer, 1960 im südbadischen Ettenheim geboren, studiert zu dieser Zeit in Freiburg. Zunächst Physik, allerdings nur ein Semester. „In der Schule war das eines meiner Lieblingsfächer, aber an der Uni merkte ich schnell, dass ich diese Materie zu trocken, zu abstrakt fand.“ Käfer bricht das Studium ab – und ist erst einmal orientierungslos. Ein Zufall hilft ihm weiter. In Lahr, rund fünfzig Kilometer von Freiburg entfernt, sucht die „Lahrer Zeitung“ einen freien Mitarbeiter. Käfer bewirbt sich und bekommt die Zusage. Das Engagement bei der Lokalzeitung hilft ihm, sich ein halbes Jahr finanziell über Wasser zu halten. Käfer findet Spaß am Schreiben und entscheidet sich für Politik und Geschichte als neue Studienfächer: „Ich stolperte eher zufällig in den Journalismus.“
Bei der „Lahrer Zeitung“ arbeitet Käfer während des gesamten Studiums, schreibt dort über „Kommunalpolitik und Themen, die für ein Lokalblatt eben wichtig sind: Gemeinderäte, Dorffeste, Blasmusikkonzerte.“ Nach dem Studium kann er 1986 bei der Zeitung ein Volontariat beginnen. „Natürlich war mir schnell klar, dass ich dort nicht in Rente gehen will. Ich hatte Panik, in der Provinz zu versauern.“ Also beginnt er, sich im Anschluss an das Volontariat bei Zeitungen in ganz Deutschland zu bewerben. Mit Erfolg: 1989 wechselt Käfer mit 28 Jahren zur „Stuttgarter Zeitung“.

Rasanter Aufstieg

Dort fängt er zunächst in der Lokalredaktion an, dem größten Ressort der Zeitung. Käfer beschäftigt sich mit Verbraucherberichterstattung und Wirtschaftspolitik. „Die Arbeit hat mir außerordentlich Spaß gemacht.“ Am Ende ist er sogar Chef vom Dienst. Doch der Aufstieg bei der „Stuttgarter Zeitung“ verhindert nicht, dass er sich beruflich verändern will. „Irgendwann dachte ich mir, dass es das jetzt noch nicht gewesen sein kann. Bei aller Begeisterung für die Graswurzelperspektive wollte ich doch nicht ein ganzes Leben lang über Lokalpolitik schreiben.“ Käfer beginnt sich bei anderen Zeitungen zu bewerben. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ meldet sich, ein Redakteur für Verkehrspolitik wird gesucht. Er überlegt, sagt zu, ein Vertrag wird aufgesetzt. „Er lag schon vor mir auf dem Tisch“, sagt Käfer. Unterschrieben hat er ihn dennoch nicht. Uwe Vorkötter, heute Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“, leitet von 1995 bis 2001 die Redaktion der „Stuttgarter Zeitung“ und erkennt Käfers Blattmacherqualitäten. Er macht ihn 1999 zum Nachrichtenchef, verantwortlich für Titelseite und politische Nachrichten.

Gelassen, präzise, abwägend

Ärgert es ihn heute, dass er nicht zur „FAZ“ gegangen ist? „Nein, ich habe das nie bereut. Meine Entscheidung, bei der ‚Stuttgarter Zeitung‘ zu bleiben, hatte mit der liberalen Atmosphäre dort zu tun.“ Das zeichnet die Zeitung bis heute in der Öffentlichkeit aus. „Auch intern herrscht ein tolerantes, liberales Klima. Der Meinungskorridor ist breit, der Autor genießt große Freiheiten.“ Fünf Jahre bleibt er Nachrichtenchef. 2005 dann der Wechsel in die Hauptstadt. Im Berliner Büro geht Karl-Ludwig Günsche, Käfers Vorgänger, frühzeitig in den Ruhestand. Peter Christ, damaliger Chefredakteur der „Stuttgarter Zeitung“, schickt ihn im Juni nach Berlin. „Wegen der anstehenden Neuwahl des Bundestags war das damals eine sehr spannende Zeit“, sagt Käfer.
Ein Kollege, der Käfer schon lange kennt, sagt, dass der 48-Jährige „voll in seinem Berliner Job aufgegangen ist“. „Eingegraben“ habe er sich, mit voller Leidenschaft arbeite er für seine Leser und das über das normale Engagement hinaus. Auch andere Arbeitskollegen loben Käfer. „Verlässlich und genau, ohne Hang zu schrillen Tönen“ sei er, sagt eine Kollegin. „Ein unideologischer Kopf und guter Ressortleiter. Der Schritt nach Berlin war nur logisch“, ein anderer.
Fragt man Käfer, der in Berlin thematisch für den Bundespräsidenten, die Bundeskanzlerin, das Innenministerium und die CDU zuständig ist, ob er sich als Bürochef an journalistischen Vorbildern orientiere, muss er lange überlegen. Die Antworten, die nach solchen Pausen folgen, entsprechen seinem Charakter: gelassen, präzise, abwägend. „Ich habe weniger versucht, vermeintlichen Heroen des Journalismus nachzueifern. Eher orientiere ich mich am Arbeits- und Füh-
rungsstil herausragender Kollegen, mit denen ich zu tun hatte.“ Thomas Löffelholz beispielsweise. Als Käfer zur „Stuttgarter Zeitung“ kam, war Löffelholz sein Chefredakteur. „Wer mit ihm diskutieren wollte, musste bestens gewappnet sein.“ Die Artikel, die Löffelholz vorgelegt bekam, brachte er oft komplett rot angestrichen zurück. Aber nicht, weil er jedes Wort umgeschrieben haben wollte, sondern weil er Fragen zu den Fakten hatte. „Elegant formuliert, aber nicht richtig fundiert, ließ er nie durchgehen.“ Und auch Vorkötter hat ihn mit seinem täglichen Auftreten beeindruckt. „Vor allem sein Temperament. Er weiß, wie man ein Blatt macht und Leute motiviert.“ Vorkötter habe Zutrauen in seine Redakteure gehabt. „Er hat nicht am engen Zügel geführt, sondern auf die Kreativität der Kollegen vertraut, sie animiert.“
Das Vertrauen in die Arbeitskollegen spielt bei der „Stuttgarter Zeitung“ eine wichtige Rolle. Käfer muss sich darauf verlassen können, dass ihm seine vier Redaktionskollegen morgens um zwanzig vor zehn Themen präsentieren, die er kurz darauf der Stuttgarter Redaktion anbieten kann. „Zwar messen wir uns an ‚Süddeutscher’ und ‚FAZ’, klar ist aber: Wir sind personell anders ausgestattet.“ Natürlich schaue man, was die Konkurrenz mache, aber sich nur daran zu orientieren, wäre falsch. „Da geht der Blick für das Besondere oder vermeintlich Abseitige verloren.“ Deswegen müssen Käfer und seine Redaktion Geschichten finden, „die andere nicht schon vorgekaut haben, bei denen wir jedoch denken, dass sie für unser Publikum wichtig sind.“ Diese Suche hängt bei der „Stuttgarter Zeitung“ damit zusammen, dass sie zwar eine Regionalzeitung ist, einen großen Teil der Auflage in Stuttgart und Baden-Württemberg vertreibt, trotzdem aber einen überregionalen Anspruch hat. „Unsere Leser erwarten von uns, dass wir ihre Angelegenheiten zum Thema machen. Aber sie dürfen nie das Gefühl haben, nebenbei noch eine andere Zeitung kaufen zu müssen“, sagt Käfer.
Dass der passionierte Langstreckenläufer des Kampfs gegen die vermeintlich wichtigeren Zeitungen müde sein könnte, merkt man ihm nicht an. Im Vergleich zu den Berliner Büros von „FAZ“ und „SZ“ etwa sitzt die „Stuttgarter Zeitung“ ein gutes Stück von der Macht entfernt. In der Voßstraße, Nähe Potsdamer Platz. Blickt Käfer aus seinem Büro, sieht er auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine große Baustelle. Weit entfernt, und nur schwer erkennbar: der Reichstag.
Den Wechsel in die Hauptstadt hat Käfer trotz des harten Konkurrenzkampfs nie bereut. „Ich könnte mir zurzeit keinen spannenderen Job vorstellen“, sagt Käfer, der mit seiner Frau und zwei Töchtern im Berliner Stadtteil Steglitz wohnt und die Familie als „Rückzugsmöglichkeit“ bezeichnet.
Für Käfer gibt es im Moment keinen Grund, sich beruflich erneut verändern zu wollen. „Aber“, sagt der Bürochef und lächelt, „ich will das auch nicht für alle Zeiten ausschließen.“

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