Auf dem US-Republikaner-Kongress wurde gesagt, der Attentatsversuch auf Donald Trump sei eine Folge kaputter Debatten und Rhetorik. Hatten die Republikaner recht – oder war das nur eine rhetorische Finte?
Korbinian Frenzel: Die USA sind das Paradebeispiel in der westlichen Welt, wenn es um gesellschaftliche Polarisierung geht, die so tiefe Gräben schafft, dass eine Kommunikation über diese Gräben hinweg kaum noch möglich scheint. Man kann diese Verbindung ziehen, aber eine direkte Beweisführung gibt es nie. Es ist naheliegend zu sagen, dass gesellschaftliche Polarisierung zu Gewalt führt. Aber wir sollten es uns nicht zu einfach machen.
Erstickt das Argument von „fahrlässiger Rhetorik“ nicht jede Debatte im Keim?
Julia Reuschenbach: Nein, das denke ich nicht. Debatten brauchen Grenzen, und es muss auch gesagt werden können, wenn jemand außerhalb dieser agiert. Ein größeres Problem sehe ich darin, dass Debatten oft schon scheitern, bevor sie überhaupt beginnen, weil bestimmten Teilnehmern das Recht abgesprochen wird, daran teilzunehmen. Das negiert im Grunde das, was eine konstruktive Debatte ausmacht. Aber Gewalt und Hass in der Sprache zu verurteilen und Diskursgrenzen zu ziehen, ist richtig. Zugleich verhandeln Gesellschaften diese Grenzen ständig neu.
Früher gab es scharfe Debatten zwischen Herbert Wehner und Franz Josef Strauß. Warum ist das, was wir heute sehen, trotzdem anders?
Frenzel: Die Zitate von Wehner und Strauß werden hervorgeholt, um zu zeigen, dass Debatten damals Schärfe und gleichzeitig Klasse hatten. Aber wir dürfen nicht alles in nostalgisches Sepia tauchen. Was heute anders ist, ist das Umfeld. Unsere Probleme sind komplexer geworden, und wir bräuchten eigentlich eine höhere Debattenqualität, um sie zu lösen. Früher konnten wir Defizite in der Debattenkultur in einer weniger polarisierten Wohlstandsgesellschaft besser verkraften, das funktioniert heute nicht mehr so.
Wo finden Debatten heute überhaupt noch statt? Früher gab es das Lagerfeuer, und heute?
Reuschenbach: Das Bild vom Lagerfeuer wird oft bemüht, war dabei natürlich immer ein wenig eine Utopie, ist aber trotzdem nützlich. Heute gibt es kaum Orte mehr, wo Debatten stattfinden. Stattdessen erleben wir eine Fragmentierung der Öffentlichkeit, vergleichbar vielleicht mit einer Shopping Mall, in der man sich nur in bestimmten Räumen aufhält und alles hochindividualisiert ist. Es gibt zwar immer noch Debatten, und viele greifen heute direkt in die Lebenswelten der Menschen ein, etwa bei Themen wie Essverhalten oder Mobilität. Aber wir sind in dieser Individualisierung schlecht darin geworden, Ambivalenzen und Vielstimmigkeit auszuhalten. Es gibt ein großes Bedürfnis nach Sortierung und Klarheit, aber diese Sehnsucht widerspricht eigentlich dem, was eine gute Debatte ausmacht.
Manche Debatten, wie über Migration oder den Euro, drehen sich ewig im Kreis. Sind die alle dysfunktional?
Frenzel: Es gibt Dauerbrenner wie Migration oder den Nahostkonflikt, die oft als Stellvertreterkonflikte für andere gesellschaftliche Fragen dienen. Das Verrückte ist, dass es trotzdem viele erfolgreiche Debatten und politische Kommunikation gibt, die zu Ergebnissen führen, die wir aber viel weniger wahrnehmen. Beispiele sind die Atomkraftdebatte oder die europäische Integration. Das sind große gesellschaftliche Konflikte, die wir letztlich befriedet bekommen haben.
Populismus spielt geschickt mit den Mechanismen, die wir heute in Debatten sehen. Sind Populisten groß geworden, weil Debatten ihnen in die Karten spielen, oder hat Social Media die Debattenkultur verändert und den Populismus gestärkt?
Reuschenbach: Das ist eine klassische Henne-Ei-Frage, auf die gebe ich eine Henne-Ei-Antwort: beides. Es gibt viele Faktoren, die Populismus begünstigen, insbesondere kulturelle Konfliktlinien und ökonomische Unsicherheiten. Was wir aber sehen, ist, dass starke populistische Kräfte auch die Tonalitäten der demokratischen Kräfte verändern. Parteien, die sich populistischen Positionen andienen, riskieren dabei, ihre eigenen Wähler in der Mitte zu verlieren. Populismus ist der Trigger, der andere dazu verleitet, die Debatten unnötig zuzuspitzen, obwohl komplexe Themen eine differenziertere Kommunikation erfordern. Zudem machen die Algorithmen in sozialen Netzwerken Populisten das Spiel leicht, da sie auf Emotionalisierung und Skandalisierung setzen, was populistische Botschaften verstärkt.
Frenzel: Es stellt sich die Frage, mit welchem Zweck Debatten geführt werden. Habermas spricht vom „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ – einer Idealvorstellung, bei der Debatten dazu dienen, Lösungen zu finden. Wenn aber Debattenteilnehmer nicht an Lösungen interessiert sind, sondern davon profitieren, dass keine gefunden werden, entsteht ein massiver Debattendefekt. Das sehen wir häufig bei populistischen Akteuren, aber leider auch bei etablierten Parteien.
Reuschenbach: Auch früher gab es destruktive Kräfte im Diskurs, aber sie hatten weder parlamentarisch noch gesellschaftlich die Verankerung, die wir heute bei Parteien wie der AfD sehen. Diese destruktiven Diskursteilnehmer treffen auf eine verunsicherte Gesellschaft, die durch Transformationsprozesse und Krisen geprägt ist. Menschen, die unsicher sind, wer in diesen Prozessen als Gewinner oder Verlierer hervorgeht, sind anfällig für einfache Antworten. Rechtspopulisten nutzen das gezielt aus, indem sie Konflikte auf dem Rücken anderer Bevölkerungsgruppen schüren, besonders im digitalen Raum.
Es würde es wohl keinen Spaß machen, einer Gesellschaft von „Habermasen“ beim Diskutieren zuzuhören. Wo ist der Mittelweg zwischen diesen Idealen und der Realität, in der Spitzenkandidaten über Mettbrötchen oder ihr Golfspiel streiten?
Korbinian Frenzel: Diese Komplexitätsreduzierung ist Teil politischer Kommunikation, und es ist legitim, komplizierte Fragen zu vereinfachen, damit möglichst viele daran teilhaben können. Problematisch wird es, wenn solche Debatten zu Scheindebatten oder Ablenkungsdebatten werden, die von den eigentlichen Kernfragen ablenken. Das Bürgergeld ist ein Beispiel …
Reuschenbach: Genau, wenn es über 5,5 Millionen Betroffene gibt, sollte man nicht nur über die 13.000 sogenannten „Totalverweigerer“ diskutieren. Auch das Mettbrötchen-Beispiel zeigt, wie zwei Politiker – in diesem Fall Mario Voigt und Björn Höcke – in einer Debatte über Themen reden, die nichts mit den eigentlichen Herausforderungen zu tun haben. Natürlich darf es auch in der Politik mal um solche Dinge gehen, aber wenn es eigentlich um konkrete Sachfragen geht, verfehlt man den eigentlichen Zweck der Debatte.
Ist es nicht so, dass Politiker, die sich den Mechanismen der heutigen politischen Kommunikation verweigern, am Ende die Dummen sind? Immerhin reden wir auch ständig über Spitzenkandidaten, obwohl wir keinen Regierungschef direkt wählen.
Frenzel: Man könnte die erste Frage auch umdrehen und erst einmal fragen: Sind wir als Gesellschaft zufrieden damit, wie die Debatten heute geführt werden? Oder sind es Scheingefechte? Ein Beispiel wäre die Kanzlerkandidatur. Früher, als Parteien 45 Prozent bekommen haben, war es einfacher, eine starke Programmatik durchzusetzen. Heute kommen Parteien nur noch in den 20er-Prozent-Bereich, da ist viel mehr Kompromissarbeit und Debattenarbeit notwendig. Vielleicht wäre es an der Zeit, unsere Fixierung auf Kanzlerkandidaten zu überdenken.
Reuschenbach: Ich würde dem letzten Punkt ein wenig widersprechen. Es ist aus meiner Sicht nicht die Kür von Kanzlerkandidaten an sich, die problematisch ist. Personen sind für Parteien wichtig, besonders in einer visuellen Welt. Was mich mehr stört, ist der sogenannte „Horse Race Journalism“, bei dem die Berichterstattung sich weniger auf Inhalte dieser Personen und mehr auf Machtfragen konzentriert – wer mit wem reden kann oder wer wen mag. Nehmen wir das Gebäudeenergiegesetz oder den Haushalt: Die Berichterstattung sollte sich auf die inhaltlichen Fragen konzentrieren, nicht darauf, ob Habeck und Lindner oder Lindner und Scholz noch miteinander reden können. Studien zeigen, dass die Menschen das als parteipolitisches Geplänkel empfinden, was sie frustriert.
Aber Medien haben heute geringere Reichweiten und stehen unter starkem Konkurrenzdruck. Hilft es da wirklich, wenn Journalisten aufhören, politische Soaps zu erzählen? Der Social-Media-Algorithmus belohnt das doch.
Frenzel: Man muss aufpassen, Social Media nicht zu überschätzen. Nur eine begrenzte Anzahl von Menschen beteiligt sich aktiv auf Plattformen wie X (ehemals Twitter). Es ist sozusagen ein Intranet der Bundesrepublik. Aber das Problem ist, dass diese Plattformen Muster widerspiegeln, die wir auch in der gesamtgesellschaftlichen Debatte sehen – diese „Daumen hoch / Daumen runter“-Mentalität, diese schnelle und intuitive Entscheidung, auf welcher Seite man steht. Das prägt auch den klassischen Journalismus, der diese negativen Faktoren oft aufgreift und verstärkt. Eine „Pause-Taste“, wie wir sie in unserem Buch vorschlagen, könnte hier helfen: Warte kurz, bevor du das postest. Viele Netzwerke fragen mittlerweile, ob man den Artikel wirklich gelesen hat, bevor man ihn teilt – das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich klicke immer auf „Ja“.
Frenzel: Genau, man klickt oft automatisch. Aber idealerweise könnte so eine „Pause-Taste“ dazu führen, dass man zumindest kurz darüber nachdenkt. Wir wollen in unserem Buch vor allem zeigen, dass wir es uns nicht zu leicht machen dürfen. Konkret auf Social Media bezogen, könnte man sagen: Wenn du etwas teilst, solltest du zumindest ein paar Worte dazuschreiben, um den Kontext zu klären. Ein interessanter gesellschaftlicher Test wäre es, auf den Like-Button zu verzichten, um Komplexität einzufordern.
Auf der Republica hat Carolin Emcke vorgeschlagen, keine Pro-und-Kontra-Formate mehr zu verwenden. Als Chefredakteur von p&k mag und schätze ich dieses Format natürlich. Dennoch: Hat sie da einen Punkt, oder ist Pro und Kontra nicht eine klassische erhaltenswerte Debattenform?
Reuschenbach: Grundsätzlich sind Pro-und-Kontra-Debatten natürlich wichtig. In den Debattierclubs der vergangenen Jahrhunderte hätte man gelernt, nicht nur das eigene Pro und das Kontra des Gegenübers zu kennen, sondern auch die Ambivalenz in der eigenen Position anzuerkennen und zu überlegen, was für die Position des anderen spricht. Wenn wir auf Pro und Kontra verzichten, verwässern wir die Unterscheidbarkeit politischer Positionen weiter. Ein Problem in der aktuellen Debattenkultur ist aber die Absolutheit. Es geht oft nur noch darum, die eigene Position durchzusetzen, ohne die Zwischentöne zu beachten. Stattdessen werden Bekenntnisse eingefordert: Bist du für oder gegen Waffenlieferungen? Für oder gegen eine Impfpflicht? Und wer gegen Waffenlieferungen ist, wird schnell als „Putinknecht“ abgestempelt, die Kritiker der Impfpflicht als Querdenker. Diese Art von Debatte negiert das ursprüngliche Ideal von Pro und Kontra.
Frenzel: Ich muss bei diesem Beispiel schmunzeln, weil es Menschen gibt, die Emckes Vorschlag allein ablehnen würden, weil er von Carolin Emcke kommt, und andere, die ihn deshalb sofort unterstützen. Das beschreibt einen weiteren Debattendefekt: Freundschaftszirkel, schnelle Allianzbildungen und Festlegungen, basierend auf der Identität des Sprechers. Eine Debatte ist idealtypisch gut, wenn sie nicht nur die eigene Anhängerschaft anstachelt, sondern wenn man mit der Haltung hereingeht: Die andere Seite könnte ja auch richtig liegen.
Reuschenbach: Oder zumindest mit der Neugier für die andere Seite.
Frenzel: Genau. Was Carolin Emcke wahrscheinlich meint, ist, dass in vielen Formaten – ob publizistisch oder in Talkshows –die Rollen schon feststehen. Wir sehen immer wieder dieselben Aufführungen, zum Beispiel in der Ukraine-Debatte. Da kann man sich schon fragen: Bringt uns das in irgendeiner Form weiter oder verschärft es nur die bestehenden Gräben? Ein zentraler Debattendefekt ist, dass wir viel Zeit darauf verwenden, zu klären, wessen Argumente und Positionen überhaupt „satisfaktionsfähig“ sind, bevor wir uns mit den eigentlichen Argumenten beschäftigen. Wenn wir diese Vorsortierenergie sparen könnten, könnten wir uns stärker auf die Sachdebatten konzentrieren. Es wäre legitim, zum Beispiel Sahra Wagenknecht zu kritisieren, aber es sollte nicht darum gehen, ob ihre Position in der Debatte erlaubt ist, sondern um die Inhalte.
Reuschenbach: Das ist ein schmaler Grat. Es wird problematisch, wenn Debatten faktenfrei oder auf Basis von Fake News geführt werden, wie kürzlich bei Maybrit Illner, wo falsche Informationen in falschen Zusammenhängen präsentiert wurden. Es ist schwierig, solche Desinformationen in der knappen Zeit, die man in Talkshows hat, richtigzustellen. Wenn diese Richtigstellungen nicht ausreichend stattfinden, können sie den Diskurs vergiften, weil falsche Informationen ungeprüft in die öffentliche Debatte einfließen. Aber diejenigen, die behaupten, man könne hier nichts sagen, sollten auch sehen, dass in unserer Gesellschaft viel gesagt wird, oft bis zu dem Punkt, an dem es anderen fast weh tut. Das ist der Preis, den wir für Meinungsfreiheit zahlen.
Sich in die Lage des anderen zu versetzen, ist ein wichtiges Element von Debatten. Wie beeinflusst es die Debattenkultur, wenn diese Bereitschaft abnimmt?
Frenzel: Wir machen heute weniger gemeinsame Erfahrungen. Früher gab es mehr soziale Räume, wie Kirchen oder Sportvereine, in denen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenkamen. Viele Menschen hatten durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, wie Gewerkschaften oder politischen Parteien, in vielen Fragen schon eine Orientierungshilfe bis hin zu vorgefertigten Antworten. Heute ist das anders: Die Meinungen sind viel diverser und privater geworden. Das hat eine befreiende Wirkung ist aber auch stressig, weil jeder sich seine Meinung bilden muss.
Reuschenbach: Wir leben in einer Zeit, in der die Zahl der Krisen zugenommen hat. Wir sind ständig mit Schockerfahrungen konfrontiert, die Abstände zwischen den Krisen werden immer kürzer, und oft überlagern sich mehrere Krisen gleichzeitig. Wir haben deshalb weniger Ressourcen, um anderen in Ruhe zuzuhören oder uns mit komplexen Themen auseinanderzusetzen, was die Qualität der Debatten beeinträchtigt. Das macht es uns schwerer, Ambivalenzen auszuhalten.
Im Buch schlagen Sie die Einführung eines Schulfachs für Debattenkultur vor oder eine „Telefonseelsorge“ für Leute, die sich auskotzen wollen. Muss man Diskursfähigkeit jetzt institutionalisieren?
Frenzel: Wir schlagen so etwas vor, weil wir glauben, dass die Verantwortung für eine bessere Debattenkultur bei uns allen liegt. Wir wollten kein Buch schreiben, das nur die Politik, die Medien oder die Bürger beschuldigt. Wir verwenden die Formel „Elite by day, Volk by night“, um zu beschreiben, wie viele von uns tagsüber in komplexen Verantwortungssituationen arbeiten, aber am Abend oft in einen „inneren Stammtisch“ verfallen und politische Prozesse vereinfacht betrachten. Das ist ein Phänomen, das viele von uns kennen: Wir wissen, wie schwierig Entscheidungen sein können, aber wenn wir die Nachrichten schauen, vergessen wir das manchmal und sagen schnell: „Die können es nicht.“
Reuschenbach: Wir wollten den Leuten nicht nur sagen: „Ihr müsst besser miteinander reden.“ Während des Schreibprozesses haben wir uns oft gegenseitig „appellatives Geschwätz“ vorgeworfen, weil es so einfach ist, etwas zu fordern. Diese zehn Vorschläge – die auch 20 hätten sein können – sind unser Versuch, etwas Konkretes vorzuschlagen. Projekte wie „Jugend debattiert“ oder andere Initiativen, die in Schulen gehen und Debattenkultur fördern, sind schon ein Schritt in die richtige Richtung und verdienen mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung.
Wenn Sie das Buch vorstellen, integrieren Sie dann auch konkret einige der Empfehlungen für bessere Debattenkultur in die Veranstaltungen? Immerhin wäre das der perfekte „Spieltag“ für Ihre Ideen.
Frenzel: Vielleicht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass das Reden über schlechte Debattenkultur für viele eine Art „erster Druckausgleich“ ist: Man beklagt gemeinsam, dass niemand mehr einander zuhört, und dann lehnt man sich erleichtert zurück, weil man es angesprochen hat. Ich bin gespannt, ob das Publikum wirklich nach konkreten Lösungen verlangt oder ob es bei der allgemeinen Klage bleibt. Wir haben das im Buch bewusst „Vorschläge zum Kopfnicken und Kopfschütteln“ genannt, weil wir glauben, dass es in der Umsetzung weh tut und erst dann klar wird, wo die eigentlichen Reibungen liegen. Wir könnten bei den Buchvorstellungen immer mal einen unserer Vorschläge konkret einwerfen oder die Leute auffordern: Ihr seid nicht nur das stille Publikum, macht das mal mit uns.
Also mehr Gruppenarbeit.
Frenzel (lacht): Ja, genau, einen Arbeitskreis gründen!
Reuschenbach: Um Gottes willen, nein. Aber ich glaube, die Selbstreflexion ist wichtig. Wir haben uns beim Schreiben irre viel gestritten, und alle Defekte, die wir im Buch diagnostizieren, haben wir in unseren eigenen Debatten durchgespielt – nicht absichtlich, sondern weil sie einfach da waren. Diese Erfahrung hat mir enorm geholfen. Es ist sicherlich eine gute Idee, konkrete Vorschläge aufzugreifen, aber bei den wenigen Gesprächen, die wir bisher hatten – etwa in kleineren Runden oder auf der re:publica – haben wir gemerkt, dass es erst einmal darum geht, Blockaden zu lösen. Menschen sind sehr aktiv auf uns zugekommen und haben gesagt: „Das passiert mir auch ständig“, oder: „Das beobachte ich an mir selbst.“ Was mich traurig machen würde, wäre, wenn wir am Ende doch nur noch einmal mehr über die schlechten Debatten lamentiert hätten. Es wäre toll, wenn wir am Ende vielleicht keine Gruppenarbeit, aber etwas wie ein Mindmap hätten – etwas, das die Dinge zeigt, die wir über drei bis vier Monate hinweg in vielen Buchvorstellungen von den Menschen gehört, erfahren und mit ihnen diskutiert haben – und zwar nicht nur in hippen Großstädten, sondern auch da, wo die Debatten häufig nochmal ganz anders geführt werden in Kleinstädten oder in kleinen Buchhandlungen. Das würde mich wirklich happy machen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 148 – Thema: Netzwerke. Das Heft können Sie hier bestellen.