Natürlich schauen wir in Sachen Politrhetorik gerade alle miteinander in die USA. Wie wird sich Donald Trump nun rhetorisch gegenüber einer Lady aufstellen? Wird er weiterhin den Namen von Kamala Harris verächtlich verballhornen? Bleibt es dann dabei? Und auf diesem Niveau? Oder rutscht er noch tiefer unter die rhetorische Gürtellinie?
Bis zum Verfassen dieses Textes war es recht still um den orangenen Donald. Er scheint eine Weile zu brauchen, um sich neu aufzustellen. Im Battle der alten weißen Männer fühlte er sich zu Hause. Und nun? Allein sein langes Schweigen können die Demokraten schon als ersten Treffer verbuchen.
Und bei Kamala & Co? Schon bei ihren ersten Auftritten mit ihrem Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz ist die rhetorische Arbeitsteilung der beiden klar. Wenn Kamala Harris über den Gegenkandidaten spricht, streift sie ihn nur. Sie macht ihn zur Nebensache ihrer Ausführungen. Keine persönlichen Angriffe.
Kamala Harris zieht die Alternativen, die zur Wahl stehen, auf ein völlig anderes rhetorisches Level. „This campaign is about two very different visions for our nation. One focused on the future. The other focused on the past.“ Dreimal dürfen wir raten, wer für was steht.
Harris verspricht, Walz beißt
Damit ist die Vergangenheits-Vision für Harris auch erledigt. Kein Wort mehr über Trump. Kein Wort über sein Programm. Stattdessen gilt jede Sekunde ihrer Reden der Middle Class. Der verspricht sie, wovon eine Mittelschicht so träumt: ein bisschen Aufstieg, ein bisschen Häuschen, ein bisschen soziale Sicherheit.
Während Donald sich millionärsmuffelig in protzigen Caddies über Golfplätze kutschieren lässt, spricht Kamala Harris mit den Menschen, die einen kleinen Traum haben und noch genügend Kraft, ihn auch zu träumen. Sie schafft das Gegenbild zum Millionär. Sie schafft rhetorisch Augenhöhe.
Das Kläffen und Kämpfen überlässt sie ihrem Vize Tim Walz. Er greift Trump immer persönlich an und gibt ihm rhetorisch voll was auf die Zwölf. Das macht er in jeder Rede, die man bislang von ihm sehen konnte. Keine blöde Strategie. So bleibt Kamala souverän. Warum soll sie auch nur eine Sekunde ihrer Redezeit für Mr. T verschwenden?
Das alles klingt interessant. Wir werden es weiter beobachten. Wenn man nur noch ein paar Wochen hat, dann muss man sich auf die alte rhetorische Disziplin der Macht des gesprochenen Wortes fokussieren. Das gilt erst recht für die Welt der sozialen Medien. Wenn die richtigen Soundbites bei Tiktok Hunderte Millionen Mal wiederholt werden, dann sollte dieses Soundbite nicht das Ergebnis von Zufall sein, sondern einer klaren rhetorischen Strategie entspringen.
Scholz schraubt
Und hierzulande? Redet keiner so wirklich mit der Middle Class. Schauen wir uns an, was Olaf Scholz nach der für seine Partei desaströsen Europawahl gesagt hat – Achtung, Zitat (bitte wach bleiben): „Jetzt ist die Zeit, in der man für eine gute Zukunft zusammenarbeiten muss und in der wir Sicherheit als Perspektive vermitteln und möglich machen müssen, indem wir die Modernisierung unseres Landes weiter voranbringen und damit auch die sichere Botschaft verbreiten, dass es gute Arbeitsplätze in der Zukunft geben wird und dass man darauf setzen kann.“ Zitatende.
Das liest sich wie die etwas ungelenk aus einer seltsamen Fremdsprache übersetzte Gebrauchsanweisung für das Zusammenschrauben eines Ikea-Regals. Meinetwegen. So was kann Olaf Scholz zu Hause ja lesen. Aber präsentieren sollte er uns das Regal, nicht die Gebrauchsanweisung.
Kleiner Tipp: Der Autor dieser kleinen Rubrik hat den Eindruck, auch unsere Mittelschicht hier in Deutschland hat kleine Träume von Aufstieg, von einem eigenen Zu Hause und von sozialer und sonstiger Sicherheit.
Da ist Mainz
Es gibt in der SPD sogar ein Talent, von dem man all das lernen könnte. Nein, diesmal meine ich nicht unseren Verteidigungsminister. Schauen wir nach Mainz. Das Bundesland Rheinland-Pfalz scheint ja seit Generationen eine Kaderschmiede fürs politisch-rhetorische Middle-Class-Menscheln zu sein.
Der Großmeister in dieser Disziplin war Helmut Kohl. Aber auch Bernhard Vogel war nicht umsonst nacheinander Ministerpräsident in zwei Bundesländern: weil er sich aufs politische Menscheln verstand.
Julia Klöckner war auf einem guten Weg, hat sich dann aber in der Plaudertasche der sozialen Medien verlaufen. Sie wurde von Malu Dreyer überholt, die es aufs Exzellenteste verstand, als Ministerpräsidentin in Mainz ihrer Politik eine Camouflage des Middle-Class-Menschelns zu geben – und dahinter knallharte Machtpolitik zu organisieren.
Um es klar zu sagen: Das ist kein Vorwurf. Das Vexierspiel mit den rhetorischen Ebenen, genau das ist Politik. Die Rhetorik ist das entscheidende Florett für den politischen Überlebenskampf. Malu Dreyer war hier die ungekrönte Königin.
Schweitzer hört man gerne zu
Diese herzlichste aller Malus hat nun einen Nachfolger. Alexander Schweitzer. Ein Hüne von Kerl. Und vom lieben Gott ausgestattet mit einem Südpfälzer Zungenschlag, der ihm den Nimbus gibt, er könne keiner Fliege was zuleide tun. Aber er hat den internen Machtkampf um die Nachfolge von Dreyer gewonnen. So lammfromm kann er nicht sein, wenn es um seine Karriere geht.
Was ihm sicher hilft: Er scheint früh in den Kessel mit dem Zaubertrank für Rhetorik gefallen zu sein. Alle seine Videos in den sozialen Medien, alle seine Auftritte in den klassischen Medien sprechen volles Rohr aus den Herzen und in die Herzen rheinland-pfälzischer Middle Class. Dem Mann hört man einfach gerne zu. Wem ich gerne zuhöre, dem schenke ich früher oder später eher auch mein Vertrauen als dem, der es mir schwieriger macht. Klingt simpel – ist aber so.
Politische Rhetorik ist die Kunst der Emotion. Kamala Harris, hat das verstanden und Donald Trump so das Zepter des Handelns entrissen. Aber der Wahlkampf in den USA ist noch nicht zu Ende. Wir wissen: Die Vorfahren von Trump kamen aus Rheinland-Pfalz, der Kaderschmiede fürs rhetorische Menscheln, wie wir hörten.
Sollte er sich an diese seine Wurzeln erinnern, wird die Middle-Class in den USA noch heftigst umworben. Im September steht das erste TV-Duell der Neu-Kontrahenten im Kalender. Wie viel „Pfalz“ wird da drinstecken?
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 148 – Thema: Netzwerke. Das Heft können Sie hier bestellen.