Aus den Fugen geraten

Kolumne

Liebe Leserin, lieber Leser,

in den vergangenen Monaten habe ich meine Kolumne ruhen lassen, da im Hintergrund viel passiert ist: Ich habe meine Promotion im Bereich der politischen Kommunikation an der FU Berlin erfolgreich beendet und darf mich seitdem Dr. Theresa Hein nennen. Im Nachgang ging es Hals über Kopf in die Bundestagswahlen, bei der ich die digitale Kommunikation von Friedrich Merz mitbetreut habe.

Nachdem ich die ganzen Erlebnisse ein wenig sacken lassen konnte, muss ich mich mit kritischer Stimme und einer Einschätzung der Entwicklungen im Bereich der politischen Kommunikation in den sozialen Medien zurückmelden.

Es hat sich etwas verschoben

Der kurze (Winter)-Wahlkampf, den wir erlebt haben, war von einer massiven Geschwindigkeit und Gehässigkeit im digitalen Raum geprägt. Mir ist sind dabei jegliche Wahlkampf-Euphorien vergangen.

Damit beschreibe ich nicht meine Arbeit für den Kanzlerkandidaten, die gewonnene Wahl der CDU oder alles daraus resultierende. Ich meine die gesellschaftlichen Entwicklungen, die mit hoch emotionalen Social-Media-Postings von selbsternannten Influencern, (unseriösen) Nachrichtenseiten, Verschwörungstheoretikern oder auch Positionen von Personen aus dem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis einhergehen.

Es ist wunderbar zu sehen, wie politisiert die Gesellschaft derzeit ist. Wie viel Interesse an politischen Auseinandersetzungen und der eigenen Meinungsbildung herrscht, freut mich.

Aber die Gräben waren nie tiefer, die Toleranz gegenüber anderen Meinungen war nie geringer und die Aufmerksamkeitsspanne der digitalen Nutzer war nie kürzer.

Freundschaften zerbrechen

Die Folge: Die sozialen Medien sind schon lange nicht mehr der Raum für eine konstruktive Debatte. Hinter jedem Influencer, der auf einmal eine politische Meinung hat, stecken politische Botschaften, die ein Millionen-Publikum beeinflussen können.

Wiederkehrende politisierte Social-Media-Postings aus dem Freundes- und Bekanntenkreis können Freundschaften zerbrechen. Das musste ich leider auch erleben und Gespräche mit anderen zeigen: ich bin damit nicht alleine.

Politische Meinungen werden direkt sichtbar und diffamierende Postings, die zum Beispiel Freunde oder Bekannte gegenüber der eigenen politischen Einstellung (welche auch immer das ist) über ihre Kanäle, wie ihre Instagram-Story teilen, schmerzen. Nicht selten kommen aus dem Freundeskreis vorwurfsvolle Fragen: „Wie kannst du nur hinter XY stehen?“

Ich glaube nicht, dass sich diese Entwicklung bessern wird. Auf lange Sicht sehe ich auch einen noch nicht bezifferten sozialen Schaden auf uns zukommen. Gerade in den jüngeren Generationen.

Ich frage mich oft, wieso diese Entwicklungen zwar immer kommentiert werden, aber nicht politisch besprochen und angegangen. Es braucht auch im digitalen Raum Spielregeln für ein gemeinsames und respektvolles Uusammenleben. Der digitale Raum ist nicht rechtsfrei, wie so viele Menschen derzeit denken. Der digitale Raum besteht auch nicht nur aus einer Meinung.

Der Trend, dass sich die „stumme Mehrheit“ von den sozialen Plattformen abwendet, nimmt zu. Jeder wird in seine „Themen-Bubble“ fliehen und politische Themen werden nur noch mit „nicht das schon wieder“ kommentiert.

Herausforderungen für das Ehrenamt

Der Hass im Bundestagswahlkampf hat nicht nur im Internet stattgefunden. Er hat auch in das echte Leben durchgeschlagen. Das hat sich unter anderem in meinem Heimat-Verband der CDU Hannover gezeigt. Mitten in der Innenstadt mussten Dutzenden Polizisten den Wahlstand abschirmen, um die CDU-Leute gegenüber möglichen Angreifern zu schützen, die sich schreiend und gefährlich nahe rund um den Stand aufgebaut haben.

Wer hat aufgrund dieser Gegebenheiten noch Lust, sich in seiner Freizeit ehrenamtlich in eine politische Organisation einzubringen?

Wir müssen diese hochgradig erschreckenden Entwicklungen auch politisch mehr besprechen und auf die Agenda setzen. Vor allem soziale Medien, die so oft Ausgangspunkt für Hass sind, sind schon lange keine Blumenwiese mehr für schöne Themen.

Nutzer, die die Hintergründe oder Geldgeber von Influencer- und Nachrichten-Profilen nicht kennen oder nur kurzweilig Inhalte mit dramatischer Musik über den Reel-Feed rezipieren, ohne den Kontext zu kennen, lassen sich zu schnell und zu emotional von Botschaften beeinflussen. Mit einem Klick sind die Botschaften an die engsten Freunde weitergesendet. Stimmt dann noch die eigene Peer-Group zu den geteilten Inhalten zu, gibt es für diese Personengruppen keinen Anlass mehr in Frage zu stellen, ob die erhaltenen Informationen wirklich wahr sind.

Der digitale Raum hat sich fundamental verändert. Ich hoffe wieder auf positivere und optimistischere Zeiten, wo Inhalte in den sozialen Medien zur Inspiration und Information dienen. Bis dahin müssen wir alle gemeinsam daran arbeiten. Und damit meine ich nicht, ein lustiges Tanz-Video zu erstellen, sondern auf der Meta-Ebene über die gesellschaftlichen Implikationen zu sprechen und zu versuchen, als Gesellschaft gemeinsame Lösungen zu finden.

Best,

Theresa