Wohin mit dem CO2?

Kolumne

Die Deutsche Carbon-Management-Strategie – eine denglische Wortschöpfung, die nicht nur innovativ und zukunftsgewandt klingt, sondern es auch ist. Jedenfalls laut der Bundesregierung, die dem Text gerade den letzten Schliff verleiht. Damit Deutschland bis 2045 und die EU bis 2050 klimaneutral werden, sollen Emissionen unter großen Anstrengungen reduziert werden. Und da mancher CO2-Ausstoß in der Praxis unvermeidbar ist, entwickelt sich das Abscheiden und Speichern von Kohlenstoffdioxid von einem Nischenprojekt (eine EU-Richtlinie gibt es schon seit 2009, ein erstes Gesetz in Deutschland seit 2012) zu einer Schlüsseltechnologie.

Zu diesem Schluss kommt unter anderem das Trio aus UN-Klimarat, Weltklimakonferenz und Mario Draghi. Doch der Weg ist weit, in Deutschland wohl mindestens 4.500 Kilometer an CO2-Pipelinenetz. Daher wollen wir uns in dieser Ausgabe auf den Weg vom Schlot bis zur Verpressung machen und schauen, wie die Bundesregierung diese Herausforderungen managen möchte.

Erste Station ist die Abscheidung, zum Beispiel in einer Industrieanlage. Besonders verbreitet ist das Verfahren der Aminwäsche (nicht verwechseln mit der bayerischen „Armin-Wäsche“, die manchem Unions-Kanzlerkandidaten verpasst wurde). Diese und andere Vorgehensweisen sind echte Energiefresser, und Strom ist bekanntlich recht teuer in Deutschland. Die Abscheidung könnte sich trotzdem rentieren – dank des EU-Emissionshandelssystems EU-ETS. Es ist das zentrale regulatorische Werkzeug für den „Hochlauf“ von CCU und CCS, wie die Benutzung und Speicherung von CO2 auf Englisch abgekürzt heißen.

Sobald es günstiger ist, eine Tonne CO2 abzuscheiden, als für sie ein Emmissionszertifikat zu erwerben, wählt der Homo Oeconomicus ersteres. Und durch künstliche Verknappung steigt der Zertifikatepreis. Wenn der jetzige Pfad eingehalten wird, ist voraussichtlich 2030 die Abscheidung günstiger. Wenn – denn der Green Deal steht europaweit unter Druck.

Schwieriger Transport

Einmal abgeschieden muss das Kohlendioxid abtransportiert werden. Das sollen nach der BMWK-Strategie Bahn, LKW, Schiff und vor allem Pipelines bewerkstelligen. Nur existiert ein deutsches Pipelinenetz für CO2-Transport noch nicht – der Bedarf ist für 2045 mit 4.500 Kilometern an Haupt- und Zuleitungen ermittelt. Die Zeit drängt, da der Bau einer Leitung schon mal acht Jahre benötigt.

Priorität haben dabei sechs sog. CCS/CCU-Cluster wie das Ruhrgebiet oder das mitteldeutsche Chemiedreieck, die mit Hafenstandorten an der Nordsee verbunden werden sollen. Und als geografisches Herz der EU muss Deutschland auch Kapazitäten für den CO2-Transit aus Nachbarländern mitdenken.

Wer sich an den Aufbau des Wasserstoffkernnetzes und all seine Fallstricke erinnert sieht, könnte bald bestätigt werden. Ähnlich wie das Wasserstoffnetz wird der Aufbau des CO2-Transportnetzes aufwändig und teuer, auch die regulatorischen (wer haftet?) und finanziellen (wer zahlt?) Fragen sind ähnlich. Antwort geben eine ganze Reihe neuer und erneuerter Rechtstexte, so auch der Entwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungs- und Transportgesetz (KSpTG). Dieser wurde vom Bundestag Ende September in 1. Lesung beraten. Der Bau von CO2-Leitungen soll dadurch regulatorisch weitgehend dem Bau von Wasserstoffleitungen angeglichen werden, man sucht Synergien zwischen CO2,- Strom-, Gas-, und H2-Infrastrukturen.

Wer zahlt das?

Die Kosten für diesen Aufbau sollen hauptsächlich die Unternehmen tragen, der Bund sieht sich als Koordinator auf einem freien Markt. Selbst die Carbon-Management-Strategie geht jedoch davon aus, dass ein wirtschaftlicher Betrieb von CCS erst ab 2030 möglich ist. Zur Überbrückung sind verschiedene Förderinstrumente auf nationaler und EU-Ebene vorgesehen. Ob diese genug Wumms für den geplanten marktgetriebenen Hochlauf der CO2-Infrastruktur haben, bleibt abzuwarten.

Die Bundesregierung gibt sich optimistisch. Bis 2030 sollen erste Anlagen im Norden an ein Pipelinenetz angeschlossen werden. Etwas später kommt die 900 Km lange NOR-GE-Pipeline und verbindet Wilhelmshafen mit Norwegen. Das skandinavische Land blickt gespannt auf die Entwicklungen in Deutschland, in der Hoffnung, mit exportiertem CO2 ein lukratives Geschäft zu machen.

Wohin nun mit dem CO2? In Norwegen, Großbritannien und den Niederlande lautet die Antwort schon länger: „Unter die Erde“, genauer: „Unter das Meer“! Auch hier will die Bundesrepublik nun aufholen. Laut geplanten Änderungen am Kohlendioxid-Speicherungsgesetz soll diese Praxis bald in Deutschland zulässig sein, zunächst nur „offshore“, in der ausschließlichen Wirtschaftszone, in leergepumpten Gasfeldern tief im Meer.

Dort soll es sicher gespeichert werden, umgeben von dicken, abschirmenden Sedimentschichten. Aber auch die Speicherung an Land wird erlaubt, Bundesländer können sich fortan aktiv zur Speicherung von CO2 auf ihrem Landesgebiet entscheiden. Diese Opt-in-Option soll verhindern, dass jedes Bundesland die Speicherung grundsätzlich bejaht, aber den konkreten Speicherort in anderen Bundesländern sucht – die Atomendlagersuche lässt grüßen.

Eine neue Ampel

Politisch ist die Sache heikel: Robert Habeck war während seiner Zeit als Minister in Schleswig-Holstein und die Grünen noch bis vor einem Jahr prinzipiell gegen die Verpressung. Auch aus der Bevölkerung und von Umweltschutzverbänden kommt immer wieder Kritik, insbesondere wegen der Angst vor Leckage. Ähnlich wie beim Fracking könnten durch den Druck des gespeicherten CO2 schwache Erdbeben entstehen, die Risse in den unterirdischen Speichern verursachen. Daher bedarf es einer Risikoabschätzung, welche die Bundesregierung zugunsten von CSS vorgenommen hat.

Regierungen und Expertengremien aus aller Welt hat sie auf ihrer Seite. Der Weltklimarat schätzt, dass gut gewählte Speicherstellen zu 99 Prozent für mehr als 1000 Jahre dicht bleiben. Während das Loch also gestopft scheint, bestand lange Sorge vor Fehlanreizen. Eine grundsätzlich vermeidbare Emission soll nicht durch dadurch weiter betrieben werden, dass man nun CO2 speichern kann. Eine CCS-Ampel soll zukünftig anzeigen, was unvermeidbare Emissionen sind und staatlich gefördert werden darf. Im grünen Bereich ist zum Beispiel die Zementindustrie. In der gelben und hellroten Kategorie befinden sich Branchen wie die Glasindustrie, aber auch Gaskraftwerke.

Hier könnte die Technik als Teil einer größeren Dekarbonisierungsstrategie ihren Dienst erweisen. Allerdings könnten Gaskraftwerke sich auch noch in den roten Bereich zu Kohlekraftwerken gesellen, für welche CCS gesetzlich sogar verboten ist. Dafür sprechen sich Teile der SPD-Fraktion aus.

Ein erstes Zwischenfazit kann wohl erst 2030 gezogen werden. Die Ziele der Bundesregierung scheinen ambitioniert, aber durchaus machbar. Und bei einem klimaneutralen Deutschland soll es nicht bleiben. Ab 2050 soll Deutschland Negativemissionen „ausstoßen“. Was sprachlogisch unmöglich erscheint, ist technisch umsetzbar: Mittels CCS/CCU soll mehr CO2 aus der Atmosphäre entnommen und dauerhaft gespeichert werden, als im gleichen Zeitraum emittiert werden. Hierzu erarbeitet die Bundesregierung momentan eine umfassende Roadmap. Und: Die Langfriststrategie Negativemissionen kommt dabei ganz ohne englische Hilfsbegriffe aus.