Die AfD hat bei der vergangenen Europawahl bei den 16- bis 24-Jährigen 16 Prozent erreicht. Sind junge Wähler damit der bisher unentdeckte Motor des Rechtsrucks, durch Tiktoks in ihren Kinderzimmern still und heimlich indoktriniert und folglich kaum noch zu retten?
Zu diesem oder einem ähnlichen Schluss kam zumindest so manche Einschätzung, die man aus dem politischen Berlin noch in der Wahlnacht auf den sozialen Medien lesen konnte. Auch mir bereiten die Zustimmungswerte der AfD unter jungen Menschen zunehmend Sorge. Dennoch halte ich wenig davon, meine Generation als verloren abzutun – und plädiere für Besonnenheit und Selbstreflexion.
First things first: Tiktok ist nicht der (alleinige) Grund für dieses Wahlergebnis
Politikberater Martin Fuchs hat bereits 2021 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk davor gewarnt, dass die AfD auf Tiktok versuche, unter jungen Menschen hohe Aufrufzahlen zu generieren. Der Erfolg der Partei auf der Kurzvideoplattform kam also nicht über Nacht, sondern ist das Ergebnis langwieriger Bemühungen, sich und die eigene Ideologie einer jungen Generation niedrigschwellig und nahbar zu verkaufen.
Müssen jetzt alle demokratischen Parteien zu Tiktok-Stars werden? Überhaupt nicht. Es gibt zahlreiche Argumente für als auch gegen eine parteiliche Nutzung der Plattform, alternative Kanäle gibt es auch zu Genüge. Es geht allerdings weniger um die App an sich, ich sehe den Erfolg der AfD hier viel mehr als symptomatisch für ein tieferliegendes Problem: Die Partei konnte vor allem deshalb so erfolgreich auf Tiktok werden, weil sie viel früher als die demokratischen Parteien den Stellenwert der Plattform für die junge Generation erkannt hat. Die AfD hat die potenziellen Nachwuchswähler priorisiert und sie gezielt angesprochen.
Im Gegensatz dazu möchte ich den demokratischen Parteien keineswegs ein Kompetenz-, sehr wohl aber ein Prioritätenproblem unterstellen. Ihnen mangelt es noch heute an einer nachhaltigen Strategie, junge Menschen zielgruppengerecht zu adressieren und dabei die eigenen Inhalte auf Augenhöhe zu kommunizieren. Und apropos Inhalte:
Jungen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen heißt, ihnen politische Visionen anzubieten
Meine Generation möchte mit ihren Sorgen, Ängsten, Hoffnungen und Wünschen ernst genommen werden. Das heißt – wie bei jeder anderen Altersgruppe auch – dass konkrete Angebote zu politische Themen gemacht werden müssen, die uns beschäftigen. Wie planen die Parteien, unser Klima zu schützen? Wie gehen sie mit einem Krieg in Europa um? Wie sehen sie die Rolle der EU im globalen sicherheitspolitischen Kontext? Und wie sieht für sie die europäische Wirtschaftspolitik der Zukunft aus?
Politische Kommunikation kann nur so gut sein, wie die Inhalte, mit denen gearbeitet wird – diese beiden Dimensionen sind untrennbar miteinander verbunden. Von inhaltlichen Angeboten, zugeschnitten auf die Lebensrealität junger Menschen, haben wir im vergangenen Europawahlkampf allerdings wenig gesehen. Plakate, auf denen „Sicherheit”, „Gegen Hass und Hetze” oder „Für mehr Eis” steht, klingen vielleicht im Pitchdeck einer Marketingagentur überzeugend, reichen aber eben nicht für Wahlerfolge.
Nun müssen politische Inhalte ja aber nicht nur angeboten, sie müssen proaktiv dort kommuniziert werden, wo die Zielgruppe ist. Das darf selbstverständlich in einer Sprache geschehen, die auf junge Menschen zugeschnitten ist. Ich möchte allerdings an dieser Stelle dafür appellieren, uns nicht unter unserer Würde anzusprechen: Die Anliegen junger Wähler ernst zu nehmen bedeutet schließlich auch, uns nicht mit schäbigen Tänzen auf Tiktok, Instagram-Reels und Co. abspeisen zu wollen. Wir wollen keine Memes, wir wollen Visionen!
Schaut genau hin
Vieles an dem Diskurs nach der Europawahl hat mich frustriert. Der Tonus, dass die Jugend per se rechts sei. Oder die Unterstellung, dass das Kind in den Brunnen gefallen und diese Generation nicht mehr für demokratische Politik zu begeistern ist. Beide Argumente lassen sich durch einen Blick auf Umfragewerte nach der Europawahl entkräften, die zeigen, dass die Stimmen der jungen Wähler sich vor allem auf die sogenannten Kleinstparteien aufteilen – laut Infratest Dimap erreichten diese 28 Prozent . Dieselbe Umfrage offenbart auch, dass die AfD ihre höchsten Umfragewerte eben nicht bei der Jugend hat, sondern in der Altersgruppe zwischen 35 und 44 Jahren, in der sie ganze 20 Prozent erreichen.
Nicht alle, die der AfD ihre Stimme gegeben haben, sind rechtsextrem. Sie sind durchaus wieder (oder eben: erstmals) für etablierte demokratische Parteien mobilisierbar, wenn sie sich sowohl in den politischen Inhalten als auch in der Ansprache gesehen fühlen. Das kann nicht nur, das muss Prämisse für jegliche politische wie kommunikative Kurskorrektur sein – alles andere wäre politischer Fatalismus, und den können wir uns in der aktuellen Situation einfach nicht leisten.
Also, schaut genau hin: auf die junge Generation, auf die eigenen Angebote und auf die kommunikativen Prioritäten. Bietet politische Visionen an, die für sich selbst sprechen können und die durch kluge Platzierung auch die jüngsten Wähler mitreißen. So schlecht der vergangene Wahlkampf auch war, so viel Luft gibt es jetzt nach oben. Aber egal, was passiert: Gebt uns nicht auf.
Mit diesem Text startet die monatliche Kolumne von Anna Moors. Darin beleuchtet die Mitgründerin des Netzwerks „Young Political Communicators Club (YPCC)“ aktuelle politische Entwicklungen aus der Sicht eines Young Professionals in der politischen Kommunikation.