Wir müssen uns trauen, zu zweifeln

Kolumne

Seit Beginn meines Berufslebens werde ich von dem Gefühl verfolgt, mir meinen Platz in dieser Branche eigentlich nur erschlichen zu haben. Dieses Gefühl ist nicht immer da. Manchmal vergehen Tage, Wochen, Monate – ohne, dass ich die Daseinsberechtigung meiner Arbeit anzweifle. Dann präsentiere ich selbstbewusst vor großen Runden, pitche meine Ideen erfolgreichen Menschen und diskutiere leidenschaftlich für meinen Standpunkt. Souverän, sicher und professionell.

Aber wenn es soweit ist und es mich einholt – dann trifft es mich mit voller Wucht. Auf einmal kriege ich Herzrasen, wenn ich mich im Jour Fixe unmute. Werde knallrot, wenn jemand eine unerwartete Rückfrage stellt. Und kriege keinen geraden Satz raus, wenn ich doch eigentlich einen interessanten Vorschlag teilen will.

In solchen Momenten hilft es, sich jemandem anzuvertrauen. Freunden, Kollegen oder Mentoren. Und über die Fragen zu sprechen, die gerade auf der Seele brennen: Bin ich in diesem Job richtig? Warum wissen alle, was zutun ist, nur ich nicht? Und bin ich überhaupt erfolgreich genug, um das Imposter-Syndrom zu haben?

Das Imposter-Syndrom: 60 Prozent sind betroffen, 27 Prozent tun nichts dagegen

In solchen Gesprächen wird deutlich, dass es nicht nur mir so geht. Sind die Selbstzweifel einmal angesprochen, können die meisten von ähnlichen Erfahrungen berichten. Und das ist kein Zufall.

Das Imposter-Syndrom (oder auch: Hochstapler-Syndrom) beschreibt massive Selbstzweifel hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten, Leistungen oder Erfolge. Das Perfide dabei: Externe Bestätigung hilft nicht. Die Zweifel bestehen, egal wie beeindruckend der Lebenslauf ist. Das Syndrom ist eine individuelle Erfahrung, wird aber nicht als psychische Störung klassifiziert. Und internationale Erhebungen belegen, dass Beschäftigte in den Bereichen Medien, PR, Marketing und Werbung besonders häufig unter ihm leiden.

Die Studie „PR und Kommunikation in Deutschland 2025“ hat über 200 Fachleute zwischen 18 und 80 Jahren befragt. Dabei kam raus: Rund 60 Prozent der Befragten erleben die Symptome eines Imposter-Syndroms monatlich oder häufiger. 33 Prozent einmal oder mehrmals wöchentlich. Tag für Tag? Satte 14 Prozent. Die Auswirkungen am Arbeitsplatz fallen dabei vielfältig aus. 11 Prozent reissen Fristen, weil sie das Gefühl haben, die eigene Arbeit sei nie gut genug. 15 Prozent teilen Ideen und Reflexionen nicht mit Vorgesetzten oder Kollegen. 22 Prozent leiden unter allgemeinem Stress und Angstempfinden. Und wie wird damit umgegangen? 27 Prozent der Betroffenen tun – nichts. Sie halten es einfach aus. Weil es alle so machen?

Wer erfolgreich will, muss nicht nur andere positionieren können, sondern auch sich selbst

Das Imposter-Syndrom ist eine besonders undankbare Angelegenheit, wenn man in einer Branche arbeitet, die eine gelungene Selbstinszenierung belohnt. Wer erfolgreich sein will, muss nicht nur andere positionieren können, sondern auch sich selbst. Und wie sollen Unsicherheiten schon zum eigenen Branding passen?

Also wird geschwiegen. Um Vorgesetzten, Kollegen und potenziellen Arbeitgebern zu imponieren. Gezeigt werden nur die erfolgreichen Projekte und glänzenden Erfolge, ohne die Momente des Zweifelns, die dazugehören, zu offenbaren. Dass das ein rundes Bild ergibt, ist klar. Wo liegt also das Problem?

Während ein solches Auftreten kurzfristig vorteilhaft sein kann, hat es nachhaltige Folgen – von den operativen Teams bis zum Topmanagement und von der individuellen Ebene bis zur Arbeitskultur. Wer sich ausschließlich über Erfolge definiert und Unsicherheiten nicht zulässt, setzt sich selbst unter einen enormen Druck. Und wenn niemand darüber spricht, verfestigt sich beim Einzelnen das Gefühl, unzulänglich zu sein. Das verstärkt das Imposter-Syndrom.

as Ergebnis: Nachwuchstalente halten sich zurück. Aus der Angst heraus, nicht gut genug zu sein, vermeiden sie Risiken, stellen keine Gehaltsforderungen und bleiben in Meetings still. Zumeist werden so nicht die Besten sichtbar, sondern die Lautesten.

Und auch Führungskräfte spüren den Druck: Wer selbst zweifelt, kann schwer als Vorbild vorangehen. Teams, in denen Unsicherheiten verheimlicht werden, bremsen sich selbst aus. Diskussionen werden vermieden, Ideen bleiben unausgesprochen und Potenziale ungenutzt. Muss das sein?

Wir brauchen einen produktiven Umgang mit Selbstzweifeln

Zweifel gehören zur Natur des Menschen. Egal ob im Bezug auf unsere eigene Karriere, die tagtägliche Arbeit oder das nächste große Projekt. Und egal ob wir Berufsanfänger, frischgebackener Teamlead oder Topmanager sind: Wir können sie zeitweise verbergen, aber nicht verdrängen.

Mitunter ist es sogar sinnvoll, Bedenken auszublenden! Etwa beim großen Pitch vor dem wichtigen Kunden, in der riskanten Gehaltsverhandlung oder im alles entscheidenden Bewerbungsgespräch. Aber damit uns ein produktiver Umgang mit Selbstzweifeln gelingt, brauchen wir eine Arbeitskultur, die den nötigen Raum dafür schafft.

Denn Exzellenz steht nicht im Widerspruch zu Zweifeln. Im Gegenteil: Sie hat das Potenzial, ein Motor für persönliches Wachstum zu sein. Dafür spricht übrigens auch die Studie „PR und Kommunikation in Deutschland 2025“: 18 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen das Imposter-Syndrom hilft, sich weiterzuentwickeln.

Imposter-Syndrom, produktive Selbstzweifel, persönliches Wachstum, 60 Prozent: An all das muss ich mich erinnern, wenn ich im nächsten Meeting sitze und mal wieder keinen geraden Satz herauskriege. Daran, dass es nicht nur mir so geht. Daran, dass die Zweifel kein Hinweis auf meine Qualifikation sind. Und muss mich daran erinnern, was ich stattdessen will: Bloß keine perfekte Selbstinszenierung – weder will ich sie beobachten, noch selbst leisten müssen.

Ich will ausgesprochene Selbstzweifel. Ich will Fuckups teilen, ohne mich dafür zu schämen. Ich will durch die Fuckups anderer aufatmen. Ich will unter Führungskräften arbeiten, die nicht nur wissen, wo sie angefangen haben, sondern auch heute über ihre Schwächen sprechen. Und: Ich will, dass wir uns trauen, zu zweifeln.