Prüfe, wer sich bindet

Kolumne

Gut zwei Monate nach der Bundestagswahl und ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampel-Koalition hat sich die neue Bundesregierung formiert. CDU/CSU und SPD bilden erneut eine Koalition – nach der letzten „GroKo“ von 2017 bis 2021 bereits die fünfte Auflage dieser Konstellation.

Der nach knapp vier Wochen Verhandlungen vorgestellte Koalitionsvertrag trägt einen nüchternen Titel: „Verantwortung für Deutschland“ will Schwarz-Rot übernehmen. Der Koalitionsvertrag dient als politische Leitlinie und Arbeitsgrundlage für die Regierung. Er formuliert inhaltliche Ziele und Vorhaben der Koalitionspartner für die Legislaturperiode. Spätere Streitigkeiten sollen vermieden und Transparenz für die Öffentlichkeit geschaffen werden.

Rechtliche Bindungswirkung entfaltet der Koalitionsvertrag nicht – er ist weder einklagbar noch besitzt er unmittelbare Wirkung. Er soll die Koalitionäre auf Grundlage politischer Verlässlichkeit und Koalitionsdisziplin binden. Das heißt aber auch, dass die Vereinbarungen nicht in Stein gemeißelt sind, sondern im Laufe der Regierungszeit neu ausgehandelt werden können. Der SPD-Generalsekretär Matthias Miersch bezeichnete die Vorhaben als „Absichtserklärungen“, der Vertrag sei „nicht die Bibel und auch kein Gesetz“.

Auslegung uneindeutig

Ähnlich wie bei manchem Bibeltext oder Gesetzeswortlaut ist die Auslegung des Koalitionsvertrages schon jetzt uneindeutig, obwohl die Tinte der Unterschriften kaum trocken ist. So gibt es bereits unterschiedliche Interpretationen zu Migration, Mütterrente oder Mindestlohnerhöhung.

Im Vergleich zur Vorgängerregierung attestiert eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung der Regierung Merz einen „weniger ambitionierten und weniger klar“ formulierten Koalitionsvertrag. Eine geringere Detailtiefe entsteht auch, weil manche Kompromisse im Koalitionsvertrag abstrakt getroffen wurden, während die konkrete Ausbuchstabierung aufgeschoben wurde.

Der neue Koa-Ausschuss

Für die Kursbestimmung im Regierungsbetrieb soll eine organisatorische Neuheit dienen: die (neue) Rolle des Koalitionsausschusses. Durch ihn soll eine neue Flexibilität einziehen. Das ist wohl eine Lehre aus der Ampel-Regierung, die ihren Koalitionskompromiss trotz mehrerer Krisen kaum anpasste. Bisher als unregelmäßig tagendes Krisengremium bekannt, ist der Ausschuss jetzt im Koalitionsvertrag verankert. Er verleiht den Parteispitzen mehr Macht – auch jenen, die nicht in Bundestag oder Regierung sitzen. Markus Söder wird quasi am Kabinettstisch sitzen, statt nur aus Bayern zu kommentieren. Der Ausschuss soll „grundsätzlich monatlich“ tagen, zusätzlich auf Wunsch eines Koalitionspartners. Bei diesen Gesprächen werden „Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung“ besprochen und „Konfliktfälle“ geschlichtet.

Entscheidend für die Umsetzung sämtlicher Vorhaben wird der Finanzierungsvorbehalt sein: Welche Maßnahmen tatsächlich kommen, hängt von den finanziellen Prioritäten der Regierung ab. So bleibt reichlich Potential für Koalitionszoff – zumal im Jahr 2025 zwei Haushalte zu schmieden sind. Der neue Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn nennt in diesem Zusammenhang den Aufschwung der Wirtschaft als „Voraussetzung für alles andere“.

Der Fokus der frisch gebackenen Koalitionspartner dürfte in den ersten 100 Tagen bis zum Sommer darauf liegen, die deutsche Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. Im Mittelpunkt stehen der „Investitions-Booster“ für die Wirtschaft mit Steuerentlastungen und Bürokratieabbau, die Vorlage des Haushalts für 2025, Änderungen des Gebäudeenergiegesetzes und eine „Politikwende“ bei der Migration.