„Meine Eltern sitzen abends vor dem Fernseher, schauen die Nachrichten und zu oft ist nach dem dritten Satz Schluss.“ Mein Kollege Simon Schütz sitzt mir in einem Berliner Dönerladen gegenüber, als er eines der größten Probleme unseres Berufsstandes beschreibt. Er spricht darüber, dass seine Eltern politisch interessiert sind, aber eben keine „Politik-Nerds“. Dass beide sich über das
Tagesgeschehen informieren wollen, die meisten Medienangebote sie aber nicht erreichen. Und er spricht auch darüber, dass das früher oder später zu einer riesigen Frustration führt. Diese Beschreibung passt auch auf meine Familie – und auf viele andere in Deutschland. Meine Angehörigen arbeiten in körperlich fordernden Berufen. In den Berufen, die systemrelevant sind. Von denen man Abends nach Hause kommt, nur noch auf die Couch fällt und keine Energie mehr hat.
Die Kluft zwischen Lebensrealitäten
Ich hingegen bin die Erstakademikerin der Familie. Meine Tage bestehen aus E-Mails, Meetings die E-Mails hätten sein können und dem ständigen Wechsel zwischen Stehtischen und ergonomischen Stühlen – um bloß nicht den Rücken zu ruinieren. Während wir in unseren Co-Working-Spaces darüber klagen, nicht verstanden zu werden, erinnere ich mich an Zuhause. An meine Mutter, die Interesse an Politik hat, aber einfach keine Kraft, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag durch komplizierte politische Debatten zu graben. Deren Alltag sich nicht am Rhythmus des politischen Berlins orientiert. Zwischen unseren Lebensrealitäten liegt eine tiefe Kluft. Sie zu schließen ist nicht die Aufgabe derjenigen, die uns zuhören. Es ist unsere. Kommunikation ist nicht nur, wie wir schreiben, sondern auch, was wir beschreiben. Die beste Politik bringt nichts, wenn sie niemand versteht. Das ist nicht neu. Dennoch glaube ich, dass wir diesen Leitsatz zu häufig nur auf die sprachliche Ebene beziehen. Niemand will ellenlange Sätze lesen. Oder sich mit unnötigen Füllwörtern herumschlagen. Oder mit Passivkonstruktionen langweilen. Die Liste der sprachlichen Fehler, die wir vermeiden sollen, ist lang. Ich möchte aber noch eine weitere Ebene einbeziehen. Kommunikation ist nicht nur, wie wir schreiben, sondern auch, was wir beschreiben – und was wir vielleicht nur unterschwellig implizieren. Massentaugliche politische Kommunikation zeichnet sich also nicht nur durch sprachliches Geschick aus, sondern auch durch logische Einfachheit.
Tax the rich! Und dann was?
Das lässt sich an einem bekannten Beispiel der Kampagnenarbeit schön veranschaulichen. Die Forderung „Tax the rich!“ („Besteuert die Reichen!“) wird vor allem in linken Kreisen dazu verwendet, eine stärkere Besteuerung der einkommensstärksten Bevölkerungsschichten zu fordern. Unabhängig davon, wie man selbst zu der Forderung steht, halte ich sie für
kommunikativ ungeschickt. Denn: Sie setzt enorm viel politisches Wissen voraus. Eine stärkere Besteuerung der oberen Einkommensschichten könnte durch ein entsprechendes Gesetz im Bundestag umgesetzt werden. Ab hier ergeben sich zahlreiche Fragen: Ab wann gehört man eigentlich zu den einkommensstärksten Deutschen? Bin ich womöglich auch mit „die Reichen“ gemeint? Im globalen Vergleich zählt Deutschland schließlich zu den wohlhabendsten Ländern. Ebenfalls zu bedenken ist: Aus einer stärkeren Besteuerung der einkommensstärksten Schichten ergibt sich noch keine politische Konsequenz. Wer „Tax the Rich“ fordert, setzt sich häufig auch für eine steuerliche Entlastung der unteren Einkommensschichten durch die steuerlichen Mehreinnahmen ein. Das bleibt aber zumeist unausgesprochen. Eine stärkere Besteuerung der Reichen – und dann was? Genau hier liegt der Fehler. Und auch eine mögliche Lösung. Dieses Problem könnte man ganz einfach dadurch umgehen, bei der gewünschten Auswirkung anzusetzen. „Untax me!“, also, statt „Tax the Rich!“. Man geht von denjenigen aus, denen Vorteile versprochen werden. Von der Lebensrealität der Zielgruppe. Die geplante Umsetzung dieses Vorhabens lässt sich anschließend erklären – mit viel Kontext und möglichst ohne Gedankensprünge.
Verständlich kommunizieren
Es geht übrigens auch umgekehrt: Die Kommunikation ist logisch einfach, aber durch eine hohe sprachliche Komplexität unzugänglich. Wir können dafür bei unserem Beispiel bleiben und uns die gleichnamige europäische Bürgerinitiative „Tax the Rich“ näher anschauen. Die Initiative setzt sich für eine Vermögenssteuer ein, die als neue Eigenmittelquelle der EU den Kampf gegen den Klimawandel und soziale Ungleichheiten finanzieren soll. Auf ihrer Website steht: „Wir wollen eine europäische Vermögenssteuer zur Finanzierung des sozialen und ökologischen Wandels und zur Unterstützung der vom Klimawandel betroffenen Länder.“ Wofür die steuerlichen Mehreinnahmen verwendet werden sollen, wird hier eindeutig benannt. Aber Hand aufs Herz: Wer bekommt beim Lesen schon Lust auf mehr? Ob aus Verantwortung oder Anforderung: Wir müssen uns anpassen. Einen Beruf zu haben, der sich tagtäglich mit Politik beschäftigt, ist eine Seltenheit. Wir müssen uns das vor jedem Text, jedem Skript und jeder Kampagne bewusst machen. Mit unserem Berufsstand tragen wir die Verantwortung, den politischen Diskurs für möglichst viele Menschen verständlich zu machen. Nicht jeder kann oder will tief in die Materie einsteigen, das müssen wir respektieren. Das bedeutet nicht nur, klare, einfache Sprache zu verwenden – keine langen Schachtelsätze,
keine unnötigen Fachbegriffe, keine Passivkonstruktionen. Es bedeutet auch, unsere Botschaften logisch nachvollziehbar zu gestalten. Gelungene politische Kommunikation verlangt nicht nur klare Worte, sondern auch eine klare inhaltliche Struktur. Und selbst wenn uns nicht die Verantwortung antreibt, sollte es der schlichte Bedarf tun: Wer gehört werden will, muss verständlich sprechen. Denn am Ende nützt es nichts, nur in den politischen Blasen verstanden zu werden. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir so kommunizieren, dass uns nicht nur Politik-Nerds in gentrifizierten Berliner Dönerläden folgen können.