Am 23. Februar wählt Deutschland, doch die Schlacht um die Deutungshoheit tobt schon längst. Das Buhlen um Wählerstimmen zeigt, wie stark Desinformation die politischen Debatten beeinflusst – in Deutschland ebenso wie international. Erinnert sei an Donald Trump und die US-Wahl 2024 vor wenigen Wochen: Noch während die Auszählung lief, sprach Trump erneut von „gestohlenen Stimmen“. Unterstützer verbreiteten absurde Behauptungen über „chinesische Thermostate“, die angeblich Wahlergebnisse manipulierten. Und noch immer haben sicherlich viele Menschen das in unzähligen Memes verarbeitete „They’re eating the dogs. They’re eating the cats“ in ihren Ohren. Diese Mythen fanden Millionen Anhänger, obwohl sie leicht zu widerlegen waren.
Donald Trump hat in den USA vorgemacht, wie Desinformation und sogar die blanke Lüge als politische Werkzeuge funktionieren. „Stop the Steal“, eine Kampagne rund um die US-Wahl 2020, ist ein Lehrstück: Ohne Beweise wurden Wahlfälschungen behauptet, zuerst auf Twitter – heute X –, dann von konservativen Medien. Der Effekt? Misstrauen in das Wahlsystem wurde zu einem zentralen Narrativ für Millionen Menschen – so sehr, dass es am 6. Januar 2021 mit dem Sturm des Kapitols in Gewalt mündete.
Der Fall Rumänien ist ein Weckruf
Das Muster ist einfach: Es reicht, Zweifel zu säen. Je mehr Menschen glauben, dass die Wahrheit verhandelbar ist, desto leichter lassen sie sich politisch lenken. Konsequenzen für das Handeln gibt es keine. Das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Führungsrolle wird auch durch nachgewiesene Lügen nicht geschwächt. Nein, der Lügner ist sogar mehrheitlich gewählter Präsident.
In Europa hingegen scheint es noch Konsequenzen zu geben. Im Dezember 2024 wurde in Rumänien erstmals in der EU eine Wahl wegen ausländischer Einflussnahme und massiver Desinformation für ungültig erklärt. Der Vorwurf gegenüber der Plattform Tiktok, sie spiele eine zentrale Rolle bei der Verbreitung falscher Informationen und intransparenter politischer Werbung, zeigt, wie stark soziale Medien für solche Zwecke verwendet werden. Dieser Fall ist ein Weckruf für uns alle: Die systematische Manipulation von Wahlen bedroht nicht nur Rumänien, sondern ganz Europa. Und doch schlummern wir weiter, statt den Weckruf zu hören.
Fake-News im Bundestagswahlkampf
Auch hierzulande ist der Wahlkampf schon längst kein Ort reiner Tatsachen mehr. Der Bundestagswahlkampf 2025 folgt ähnlichen Prinzipien, wenn auch noch meist subtiler. Ein Beispiel: Fake-News-Videos, die angeblich Grünen-Politiker bei „elitärer Arroganz“ zeigen, stellen in Wahrheit manipulierte Clips aus Kontexten wie Parteitagen dar. Oder eine Grafik, die von der AfD über soziale Medien geteilt wird, suggeriert, dass Deutschland „ganz allein“ für EU-Klimaziele zahle – was schlicht falsch ist. Die FDP warne vor „steuerlichen Monstrositäten“, während die Union mit Horrorvisionen über „völlig unkontrollierte Migration“ Wähler mobilisieren wolle. Zeitgleich verbreiten sich Meldungen, Friedrich Merz habe angekündigt, eine Wehrpflicht für Rentner zu diskutieren.
Alles ist skandalös und macht wütend. In den sozialen Medien finden diese Narrative mit schlichter Sprache und dramatischen Bildern ihr Publikum – präzise zugeschnitten auf emotionale Reaktionen. Desinformation funktioniert, weil sie Emotionen anspricht: Angst, Wut, Empörung. Die AfD ist darin besonders geschickt. Ihre Erzählung von einem „unterdrückten Volk“ und einem „System, das Bürger übergeht“, zielt direkt auf das Bedürfnis vieler ab, einfache Antworten auf komplexe Probleme zu finden und die Angst, vergessen oder übergangen zu werden.
Soziale Medien verschärfen das Problem. Der Algorithmus belohnt Inhalte mit hoher Interaktionsrate. Ein sachliches Video über Haushaltsüberschüsse wird kaum geklickt, ein emotionalisierter Clip über vermeintliche „Steuerverschwendung“ dagegen hunderttausendfach geteilt. Selbst Faktenchecks erreichen oft nur einen Bruchteil des Publikums, das die ursprüngliche Falschmeldung gesehen hat und Versuche von Politikern, komplexe Inhalte in einfache Sprache zu übersetzen, münden oft in Cringe.
Medienkompetenz ist entscheidend
Um der Flut an Desinformation zu begegnen, braucht es Lösungen auf mehreren Ebenen. Wir müssen wieder lernen, Quellen zu hinterfragen und uns nicht von viralen Narrativen mitreißen zu lassen, auch und vor allem, wenn uns gefällt, was wir lesen. Medienkompetenz ist ein entscheidender Schlüssel. Auch müssen Politik und Plattformen klare Regeln schaffen. Transparenz über Algorithmen und ein zügiges Eingreifen bei offensichtlicher und schädlicher Desinformation sind überfällig. Kampagnen wie „Politik & Anstand“, die am 12. Dezember ausgestrahlt wurde oder auch das Fairness-Abkommen vom 22. Dezember zeigen, wie man konstruktiven Diskurs fördern kann. Initiativen dieser Art sind wichtiger denn je, um den Zusammenhalt zu stärken, aber auch nur, wenn man sich daran hält. Dies blieb zumindest wenige Tage nach dem 12. Dezember direkt aus.
Die Bundestagswahl 2025 wird ein Prüfstein dafür sein, wie robust unsere Demokratie gegenüber Manipulationsversuchen bleibt. Sie zeigt, ob wir als Gesellschaft in der Lage sind, Fakten von Fiktion zu trennen und die Lüge als solche zu entlarven. Der Blick in die USA gibt eine düstere Vorbotin: Dort ist das Vertrauen in demokratische Institutionen durch gezielte Desinformation dauerhaft beschädigt. Noch können wir in Deutschland gegensteuern. Doch es braucht jeden Einzelnen – als kritischen Leser, als wachsamen Wähler, als Verteidiger der Wahrheit. Denn Demokratie lebt von der Wahrheit. Und sie stirbt mit der Lüge.