Desinformation ist kein Meinungskampf

Kolumne

Wer sich gegen Desinformation einsetzt, wird früher oder später mit dem Vorwurf der Zensur konfrontiert. Die ungestörte und unwidersprochene Falschdarstellung von Fakten gehöre zur Äußerung der freien Meinung dazu, wer dies anfechte, wolle gleich die Meinungsfreiheit bekämpfen.

Das ist schlichtweg Unsinn. Desinformation ist kein Streitbeitrag mit anderer Perspektive. Sie folgt einer Strategie: gezielt, oft organisiert, wiederholt – mit dem Ziel, Vertrauen zu untergraben, Gesellschaft zu spalten oder politische Prozesse zu stören. Sie arbeitet nicht mit Argumenten, sondern mit Täuschung und emotionaler Aufladung. Abzugrenzen ist die Desinformation von der Misinformation. Misinformation entsteht oft unbeabsichtigt durch das Weitergeben falscher Informationen, während Desinformation hingegen gezielt irreführend ist und eine strategische Absicht verfolgt.

Dass es in der Praxis schwer ist, die Absicht hinter einer Aussage zweifelsfrei zu erkennen, ist ein berechtigter und oft angeführter Einwand. Absicht lässt sich nicht messen, Motive oft nur vermuten oder per Rückschluss belegen. Aber diese Grauzone darf nicht dazu führen, dass gar nicht mehr unterschieden wird oder dass jede Kritik an manipulativer Kommunikation als Zensurverdacht zurückgewiesen wird. Demokratische Gesellschaften müssen in der Lage sein, zwischen Irrtum und Instrument zu unterscheiden.

Freiheit schützt nicht vor Widerspruch

Im Koalitionsvertrag kündigen CDU/CSU und SPD schärfere Maßnahmen gegen gezielte Falschmeldungen und Informationsmanipulation an. Einige Kritiker warnen, dass staatliche Programme gegen Desinformation in die Meinungsfreiheit eingreifen könnten. Dieser Impuls ist nachvollziehbar: Der Vorschlag bewegt sich in einem Spannungsfeld. Die aktuelle Bundesregierung versucht, mit klareren Regeln auf eine real existierende Bedrohung durch gezielte Informationsmanipulation zu reagieren und gleichzeitig staatliche Wahrheitskontrolle zu vermeiden. Entscheidend ist, ob es gelingt, zwischen legitimer Meinungsäußerung und orchestrierter Irreführung zu unterscheiden.

Doch wer jede Form von Regulierung als Zensur auslegt, verkennt den Kern: Es geht nicht darum, Inhalte zu verbieten, sondern gezielte Täuschung sichtbar zu machen. Ein Blick auf Plattformen wie Youtube, Tiktok oder Instagram genügt, wie dringend diese Unterscheidung ist: Meinungsinfluencer erreichen dort mit Inhalten Hunderttausende, die von medizinischen „Ratschlägen“ ohne jegliche fachliche Grundlage bis hin zu politischen Untergangsszenarien und pauschaler Hetze reichen.

Nicht selten stecken Geschäftsmodelle dahinter: Ein Influencer bewirbt eine Wunderlösung, eine Influencerin verkauft ein Coaching. Man schafft ein Problem und bietet die Lösung dafür an. Das mag im Kapitalismus normal sein. Wo aber Entwurmung als Krebstherapie angepriesen wird oder die Behauptung, westliche Demokratien stünden kurz vor dem Kollaps verbreitet wird, wird es gefährlich. All das bleibt oft unwidersprochen und algorithmisch belohnt. Nicht, weil es wahr ist, sondern weil es klickt.

Das Ideal des mündigen Bürgers wird oft ins Feld geführt. Er solle sich selbst ein Bild machen. Aber selbst der kritischste Geist kann nur dann souverän urteilen, wenn er Zugang zu überprüfbaren Informationen hat – und genau das untergräbt professionelle Desinformation.

Demokratie braucht Unterscheidungsvermögen

Die Meinungsfreiheit lebt davon, dass viele Stimmen gehört werden. Aber sie lebt auch davon, dass wir Unterschiede nennen: zwischen Überzeugung und Taktik, zwischen Widerspruch und Irreführung, zwischen Meinung und Lüge. Wenn alles gleich behandelt wird – ob Satire, Falschmeldung, Journalismus oder orchestrierte Kampagne – entsteht keine offene Debatte, sondern Desorientierung.

Desinformation ist kein Randphänomen mehr. Sie ist Teil einer digitalen Infrastruktur, die gezielt genutzt wird und zwar oft mit politischen oder ökonomischen Interessen. Wer das mit freier Meinungsäußerung verwechselt, macht es schwierig, gezielte Angriffe auf unsere Debattenkultur überhaupt noch zu erkennen. Umso wichtiger ist es, die Begriffe präzise zu halten und die Unterschiede ernst zu nehmen. Nicht alles ist Meinung. Nicht alles ist Desinformation. Aber beides ernst zu nehmen, bleibt die Aufgabe unserer Gesellschaft.