Mit der Bundestagswahl 2025 hat sich das sicherheitspolitische Koordinatensystem in Deutschland spürbar verschoben. Die neue Koalition unter Bundeskanzler Friedrich Merz macht deutlich: Verteidigungsfähigkeit ist Staatsaufgabe. In seiner ersten Regierungserklärung betonte Merz, der Krieg in der Ukraine entscheide über den Fortbestand von Recht und Freiheit in Europa. Umso wichtiger ist es nun, dass Politik und Industrie gemeinsam Verantwortung übernehmen, transparent handeln und den öffentlichen Dialog stärken – um eine belastbare, demokratische Sicherheitsarchitektur zu gewährleisten. Für die Rüstungsindustrie bedeutet das: Mehr Spielraum – und mehr Verantwortung.
Staatsauftrag Sicherheit
Ambitioniert geht das neue Regierungsbündnis seine sicherheitspolitische Agenda an: Das NATO-2-Prozent-Ziel soll dauerhaft im Bundeshaushalt abgesichert werden, flankiert von einem Milliardenpaket für die Ukraine, der Reform der Schuldenbremse und der Absicherung zusätzlicher Mittel für die Bundeswehr. Ziel ist nichts weniger als der Aufbau der stärksten Armee Europas – modern, einsatzfähig, zukunftssicher. Dafür sollen marode Strukturen saniert, Beschaffung und Digitalisierung beschleunigt und Rüstungskooperationen strategisch ausgebaut werden.
Die geopolitische Bedrohungslage wächst, das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung ist hoch, und die Erwartung an Europas Eigenverantwortung steigt. Deutschland sieht sich mit einem neuen Führungsanspruch konfrontiert – innerhalb der EU, aber auch gegenüber seinen Bündnispartnern. Die transatlantische Partnerschaft wird fragiler, gleichzeitig rücken aber militärische Fähigkeiten, Resilienz und Abschreckung vermehrt ins Zentrum politischer Debatten.
In diesem Umfeld muss die Bundesregierung sicherheitspolitisch liefern: schneller, glaubwürdiger, transparenter. Die Rüstungsindustrie hat in dieser sicherheitspolitischen Zeitenwende eine neue Bedeutung erlangt – nicht nur als Lieferant, sondern als strategischer Partner des demokratischen Gemeinwesens. Wer heute zur sicherheitspolitischen Resilienz Europas beiträgt, handelt nicht länger nur im eigenen wirtschaftlichen Interesse, sondern gesellschaftlich relevant.
Dieses neue Momentum verlangt ein anderes Selbstverständnis: Die Unternehmen müssen der Verantwortung, die ihnen nun zugesprochen wird, auch gerecht werden – mit Haltung,
Transparenz und dem Willen zur Mitgestaltung. Deshalb müssen sie heute mehr leisten als die Entwicklung und Bereitstellung von Technologien und Know-How. Sie müssen Impulsgeber für pragmatische Lösungen sein, Dialogpartner auf Augenhöhe und – wo nötig – auch Kritiker und Korrektiv.
er in einem komplexen Umfeld operiert, darf sich nicht nur als Teil der Lösung verstehen, sondern muss auch aktiv zur breiten gesellschaftlichen Akzeptanz und der Gestaltung des politischen Rahmens beitragen. Denn die Zukunft der europäischen Sicherheit entsteht nicht allein in Ministerien oder Werkhallen – sie entsteht im Zusammenspiel beider.
Industrie muss auch kommunizieren
Erst die Erschütterung durch den russischen Angriffskrieg 2022 hat das gesellschaftliche Momentum geschaffen, in dem Rüstung wieder als legitimer und notwendiger Teil der Sicherheitsarchitektur verstanden wird – ein Momentum, das bis heute anhält, aber nicht selbstverständlich bleibt. Hinzu kommen geopolitische Unsicherheiten – etwa ein Kurswechsel in Washington, eskalierende Spannungen im Nahen Osten, das fragile Gleichgewicht zwischen Indien und Pakistan sowie die anhaltende Taiwan-Frage.
Doch auch dieses Fenster schließt sich: Während die Debatte über den Bundeshaushalt an Schärfe gewinnt und die ständige Präsenz von Kriegsbildern zu einer gewissen Abstumpfung führt, schwindet auch das gesellschaftliche Verständnis für sicherheitspolitische Maßnahmen – schleichend, aber unaufhaltsam. Wer als Teil der betroffenen Industrien jetzt nicht transparent und erklärend handelt, riskiert, wieder im altbewährten Rechtfertigungsmodus zu enden. Mit dem Rückenwind der noch anhaltenden öffentlichen Unterstützung wächst aber auch der Erwartungsdruck: Wer heute Waffen baut, muss morgen Antworten geben – auf Fragen nach Ethik, Nachhaltigkeit, Transparenz.
Die Rüstungsindustrie muss reagieren: Es bedarf dringend öffentlichkeitswirksamer Kommunikations-Kampagnen, die ihren Beitrag zum Schutz von Demokratie und Bevölkerung in den Vordergrund stellen. Unternehmen müssen sich öffnen und Einblicke in Produktions- und Entscheidungsprozesse geben.
Gerade jetzt kommt es darauf an, politische Kommunikation nicht länger nur als Krisenbewältigung zu verstehen, sondern als strategisches Werkzeug für Stabilität, Legitimität und Vertrauen. Wer heute erklärt, bevor er kritisiert wird, behält die Deutungshoheit über das eigene Handeln. Wer öffentlich Haltung zeigt, schafft Anschlussfähigkeit und Resilienz. In diesem neuen Kommunikationsklima steht auch die Rüstungsindustrie an einem Wendepunkt.
Mit der neuen Regierung ist der Branche – ob bewusst oder nicht – ein deutliches politisches Mandat erteilt worden: mehr Investitionen, schnellere Prozesse, klare Priorisierung. Aber dieses Mandat darf nicht nur technisch erfüllt werden. Es muss kommunikativ verantwortet und gesellschaftlich verankert werden.
Diese kommunikative Repositionierung verlangt Mut zur Klarheit. Wer Vertrauen will, muss sichtbar werden, auch außerhalb der Verteidigungs-Bubble. Nicht durch Hochglanzwerbung, Fachmessen und Konferenzen, sondern durch glaubwürdige, kontinuierliche und dialogorientierte Ansprache einer breiten und interessierten Öffentlichkeit. In einer zunehmend
sicherheitspolitisch geprägten Gesellschaft reicht es nicht mehr, sich hinter Protokollen und Exportlisten zu verstecken.
Unternehmen sollten aktiv aufzeigen, welche ethischen Maßstäbe sie sich selbst setzen, wie sie mit sensiblen Technologien umgehen und wo sie ihre eigenen Grenzen ziehen (wie zum Beispiel durch eigene Technologien zur Endverbleibskontrolle). Gleichzeitig braucht es Formate, die nicht nur informieren, sondern Beteiligung ermöglichen: Townhall-Gespräche, Social-Media-Dialoge, gezielte Partnerschaften mit Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Führungskräfte sollten kommunikative Verantwortung übernehmen – nicht als Reaktion auf Kritik, sondern als Ausdruck eines proaktiven gesellschaftlichen Gestaltungswillens. Das kommunikative Selbstbild muss sich ändern: weg von der Rechtfertigung, hin zur souveränen Vermittlung von Verantwortung und Relevanz.
Große Koalition, große Erwartungen
Die sicherheitspolitische Zeitenwende darf sich nicht in Budgetzahlen und Beschaffungslisten erschöpfen. Von der neuen Koalition wird zu Recht mehr erwartet: Eine Regierung, die Sicherheitspolitik zur öffentlichen Sache macht – nicht nur zur exekutiven. Die Herausforderung liegt nicht nur in der militärischen Modernisierung, sondern in der politischen Vermittlung. In einem Land mit historisch bedingter Zurückhaltung gegenüber militärischer Macht braucht es nicht bloß neue Systeme – es braucht ein neues Sicherheitsnarrativ.
Konkret bedeutet das: Die Regierung muss den Mut aufbringen, die Verteidigungspolitik aus der Nische zu holen, in der sie jahrelang politisch geduldet, aber gesellschaftlich verdrängt wurde. Sicherheit muss als demokratischer Wert und gemeinsames Projekt erklärt werden – als etwas, das mit ethischer Klarheit, rechtlicher Transparenz und internationaler Einbettung gestaltet wird. Ministerien müssen Sicherheitspolitik nicht technokratisch abwickeln, sondern in einem gemeinsamen Werteverständnis verankern – auch und gerade in der Zusammenarbeit mit Industrie, Zivilgesellschaft und internationalen Partnern.
Gleichzeitig muss die Regierung anerkennen, dass Vertrauen kein Nebenprodukt guter Rüstungsentscheidungen ist – sondern Voraussetzung. Nur wenn Prozesse nachvollziehbar, Entscheidungen gut begründet und Interessenkonflikte offen benannt werden, kann ein gesellschaftliches Mandat für Wehrhaftigkeit entstehen. Wer heute Verantwortung für Sicherheit übernimmt, muss auch vermitteln können, was auf dem Spiel steht – und sich der öffentlichen Debatte mit Klarheit und Haltung stellen. Denn in einer Zeit, in der Abschreckung wieder Teil der Realität ist, ist politische Sprache nicht Beiwerk, sondern Teil der Verteidigung. Das ist die kommunikative Verantwortung, der sich die neue Bundesregierung, aber auch die Rüstungsindustrie, jetzt stellen müssen.
„Gut gerüstet“ zu sein, heißt heute mehr denn je: kommunikativ, ethisch und politisch souverän aufzutreten. Die Kommunikation ist Teil eines sicherheitspolitischen Narrativs, das nicht nur von Bedrohung spricht – sondern von Schutz, Bündnisfähigkeit und Verantwortung in einer instabilen Welt. Die Chance, Vertrauen zu gewinnen, war selten größer – und nie zuvor notwendiger.