Wege aus der „Dagegen-Falle“

Das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ hat die Republik verändert: Monatelang diskutierte Deutschland über eine angeblich neue Protestkultur, das Wort vom „Wutbürger“ machte die Runde, und der andauernde Streit um den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs half den Grünen bei ihrem spektakulären Erfolg bei der Landtagswahl Ende März. Wenn sämtliche an „S 21“ beteiligten Akteure sich auf eine gemeinsame Lehre aus dem Konflikt verständigen sollten, so wäre es wohl diese: Deutschland braucht einen Mentalitätswandel bei der kommunikativen Begleitung großer Infrastrukturvorhaben. Zu deutlich waren die Defizite der Projektverantwortlichen, als es darum ging, den Nutzen des Umbaus zu vermitteln und die Bürger miteinzubeziehen. Doch bereits bei der Frage, wie die Planer solcher Großvorhaben in Zukunft ähnliche Eskalationen vermeiden können, scheiden sich die Geister. Dabei ist klar, was die Bürger fordern: Sie wollen rechtzeitig und ehrlich einbezogen werden und auf Augenhöhe mit den Verantwortlichen agieren.
„S 21“, Castor-Transporte, umstrittene Flugrouten: Politik und Wirtschaft hierzulande sind derzeit auf der Suche nach Modellen, wie sie künftig wieder einen stärkeren gesellschaftlichen Konsens bei Großprojekten erreichen. Ein Blick nach Skandinavien verdeutlicht, wie es gehen könnte: Bei großen Bauvorhaben beziehen die dortigen Planer die lokale Bevölkerung, Behörden und Nichtregierungsorganisationen frühzeitig ein und setzen vor und während der Bauphase auf Dialog und Transparenz. Das Beispiel der deutsch-dänischen Fehmarnbeltquerung zeigt, dass dieser skandinavische Ansatz auch in Deutschland Aussicht auf Erfolg hat – trotz unterschiedlicher Planungsverfahren.
Die folgenden vier Thesen stehen für einen solchen neuen Ansatz bei der Kommunikation von Großprojekten in Deutschland:

1. Es gibt keine rein technischen Großprojekte

Kommunikation spielt eine Schlüsselrolle, wenn die Bevölkerung große Infrastrukturprojekte akzeptieren soll. Nur wer es schafft, den Nutzen eines Vorhabens glaubhaft zu vermitteln, kann die Öffentlichkeit überzeugen und Widerstände vor Ort abbauen. Daher muss die Kommunikation bei Großprojekten von Anfang an und auch finanziell als gleichrangiger und zentraler Bestandteil in die Gesamtstrategie integriert werden – neben Planung und Bau. Sinnvoll ist zudem, auch die technischen Experten der Planer aktiv in die Kommunikation einzubeziehen: Diese stehen für Glaubwürdigkeit und Authentizität. Eine Unternehmenskommunikation mit Monopolanspruch dagegen hilft bei solchen Großprojekten nicht weiter.

2. Das Ziel lautet Vertrauen, nicht Konsens

Um die Bürger für Großprojekte gewinnen zu können, muss ein gewisses gegenseitiges Grundvertrauen vorhanden sein. Nur wenn die Kritiker darauf bauen können, dass die Projektträger kompetent und auch willens sind, ihre Anliegen ernst zu nehmen und konkrete Verbesserungsvorschläge zu berücksichtigen, wird ein sachlicher Dialog entstehen. Wer dagegen nicht glaubt, dass sein Gegenüber etwas Sinnvolles beizutragen hat, wird gar nicht erst mit ihm sprechen wollen. Auch wenn einige das anders sehen mögen: Betroffene Bürger und Umweltverbände können mit ihren Ideen ein Projekt manchmal voranbringen.
Natürlich erfordert ein solcher Vertrauensaufbau viel Geduld – und Ressourcen: Die Projektverantwortlichen müssen vor Ort in Infocentern, Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden auf gleicher Augenhöhe mit den Bürgern sprechen und während der gesamten Planungs- und Bauphase transparent über das Projekt informieren. Das zahlt sich aus: Nur so lassen sich emotionale Debatten frühzeitig versachlichen und Kritiker einbeziehen. Ziel muss es sein, Vertrauen aufzubauen, und nicht, wie häufig erwartet, Konsens zu schaffen, denn dafür liegen die Positionen oft zu weit auseinander.

3. Gesetzestreue allein reicht nicht aus

Aktuell wird in Deutschland darüber diskutiert, das Planungsrecht bei Verkehrsinfrastrukturprojekten zu reformieren und mehr Bürgerbeteiligungen bei Planungsverfahren zu ermöglichen. Wichtiger als diese Neuregelungen ist jedoch der Mentalitätswandel auf Seiten der Projektträger.
Gesetzliche Vorgaben gelten stets nur für den rechtlichen Planungsprozess. Starten die Planer eines Projekts die Kommunikation rund um ihr Bauvorhaben erst dann, wenn sie die Planfeststellungsunterlagen einreichen, ist es meist schon zu spät. Denn zu diesem Zeitpunkt sind Änderungen nur noch schwierig zu integrieren, und auch die Kosten dafür sind hoch. All das führt dazu, dass die Projektträger immer weniger bereit sind, sich auf die Wünsche betroffener Bürger und Umweltverbände einzulassen. Oft folgt daraus eine Konfrontation, die vor Gericht endet und viel Zeit und Geld kostet. Ein aktiver Dialog, der möglichst früh im Planungsprozess ansetzt, kann ein solches Risiko verringern: Je früher alle Beteiligten über Einwände Bescheid wissen, desto einfacher können sie gemeinsame Lösungen finden und in die Planungen integrieren.

4. Mit vielen Zwischenschritten zum Ziel

Die lange Dauer vieler Planungs- und Genehmigungsverfahren stellt deutsche Projektverantwortliche nicht nur vor planerische und wirtschaftliche, sondern auch vor kommunikative Herausforderungen. Als in Stuttgart die ersten Bagger anrollten, lag der Abschluss des vierjährigen Planfeststellungsverfahrens bereits fünf Jahre zurück. Das war der Grund, warum die Bürger so überrascht reagierten, als der Umbau des Bahnhofs „plötzlich“ losgehen sollte. Kontinuierliche Kommunikation ist daher entscheidend, um das Projekt im Bewusstsein der Menschen zu halten und böse Überraschungen zu vermeiden. Darüber hinaus schafft sie Transparenz – die Basis für Vertrauen.
Ein wichtiger Beitrag zu dieser Transparenz ist die in Deutschland eher unübliche Kommunikation von Zwischenschritten. Wenn hierzulande technische Pläne oder Ergebnisse veröffentlicht werden, dann in der Regel erst, wenn klar ist, dass sich daran nichts mehr ändern wird. In Skandinavien dagegen ist es üblich, dass Zwischenstände bei der Planung mit kommuniziert werden. Diese Praxis überrascht in Deutschland und erfordert einiges an Mut – vor allem, weil die Öffentlichkeit Veränderungen lieber als Korrektur vorheriger Fehler statt als natürlichen Teil einer optimierten Planung ansieht. Doch dieser Mut lohnt sich: Denn nur mit solcher Transparenz kann das oft bestehende Misstrauen gegenüber den Projektverantwortlichen verringert oder sogar überwunden werden.

Die Einstellung zählt

Nicht die Instrumente sind entscheidend für die erfolgreiche Kommunikation von Großprojekten. Es ist die Einstellung, mit der die Projektverantwortlichen sie einsetzen. Wer die beteiligten Akteure und ihre Positionen respektiert, dem muss es wichtig sein, sie früh und umfassend zu informieren und in den Planungsprozess einzubinden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Obama schlagen – Geht das? Die US-Kampagnentrends. Das Heft können Sie hier bestellen.