Social Media? Gefällt mir nicht!

Nonliner im Bundestag

So social-media-affin war der Bundestag noch nie: Mehr als 95 Prozent der Parlamentarier nutzen soziale Netzwerke. 29 der 631 Bundestagsabgeordneten dagegen sind weder auf Facebook oder Twitter noch auf Google+ oder Youtube aktiv. Das wirkt heute fast schon anachronistisch. Wer meidet soziale Netzwerke und warum?

Wer ist offline?

Außer bei den Grünen gibt es in jeder Fraktion Nichtnutzer: bei den Linken einen, bei der SPD fünf und in der Unionsfraktion 23. Damit ist die Gruppe der Nichtnutzer mit 7,4 Prozent bei der CDU/CSU-Fraktion am größten, gefolgt vom Koalitionspartner SPD (2,6 Prozent) und der Linksfraktion (1,5 Prozent). Im gesamten Bundestag gibt es aktuell 4,6 Prozent Nichtnutzer.

Das Durchschnittsalter der Web 2.0-Abstinenzler liegt bei 57,5 Jahren. Damit sind die Nichtnutzer deutlich älter als der Bundestagsdurchschnitt, der bei der Wahl im September 2013 bei knapp 50 Jahren lag. Nur ein Offliner ist jünger als 40, ein weiterer jünger als 50 Jahre. Es entscheiden sich außerdem mehr Männer als Frauen gegen Social Media: 69 Prozent der Nichtnutzer sind Männer, im Bundestag liegt ihr Anteil dagegen bei 63 Prozent.

Viele der Nichtnutzer sind zudem „alte Hasen“ im Parlament: Im Schnitt sind sie seit mindestens vier Wahlperioden Mitglied des Bundestages. Interessanterweise befinden sich nur drei Bundestagsneulinge unter den Nichtnutzern. Somit verzichten nur 1,3 Prozent der 231 neuen Mitglieder auf soziale Medien. Für Neuparlamentarier gehören diese Kommunikationskanäle heute offenbar zum Standard.

Ein Blick auf die Funktionen der Abgeordneten zeigt außerdem, dass überdurchschnittlich viele prominente Politiker abstinent sind: So gehören zur Gruppe der Offliner zwei Bundesminister, zwei Staatsekretäre, eine Staatsministerin, mehrere Ex-Minister und Staatsekretäre, Fraktions- und Gruppenvorsitzende sowie Ausschussvorsitzende.

Die meisten Verweigerer kommen zudem aus den Flächenländern Nordrhein-Westfalen (neun), Bayern und Baden-Württemberg (jeweils fünf). In sechs meist kleineren Bundesländern nutzen alle Bundestagsabgeordneten Social Media. Demnach lässt sich der durchschnittliche Nichtnutzer in folgenden Stichworten umreißen: alt, männlich, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion, ländlicher Wahlkreis, Inhaber eines wichtigen politischen Amtes und seit mehreren Legislaturperioden Mitglied des Deutschen Bundestages.

Die Motive

Für die Nichtnutzung nannten mir die Abgeordneten drei Hauptmotive:

Keine Zeit: Um soziale Netzwerke authentisch und persönlich zu nutzen, fehlt vielen Politikern schlicht die Zeit. Aus diesem Grund haben sie sich gegen diese Kanäle entschieden. Das ist gerade bei Spitzenpolitikern nachvollziehbar und begrüßenswert – vor allem mit Blick auf die vielen schlecht gepflegten Profile von Abgeordneten.

Datenschutz: Einige der Nichtnutzer führen Daten- und Verbraucherschutzaspekte als Begründung an. Ich finde es konsequent, die Abstinenz mit der eigenen politischen Position gegenüber dem Geschäftsmodell der Netzwerke zu begründen. Zudem unterstreichen Politiker auf diese Weise ihre persönliche Haltung mit konkretem politischem Handeln.

Dialogkultur: Bei einzelnen Abgeordneten zeigten sich allerdings auch starke Kommunikationsdefizite: Sie wollten über ihr Kommunikationsverhalten keine Auskunft geben, lehnten ein Interview oder Statement zu diesem Thema ab oder antworteten gar nicht erst auf meine Anfrage. Gelebter Dialog sieht anders aus.

Im Gegensatz zu den ersten beiden Begründungen kann ich dieses Verhalten nicht nachvollziehen. Zur Politik gehört auch Politikvermittlung. Letztere ist heute sogar fast genauso wichtig, wie Politik zu gestalten. Denn Politik ist nichts wert, wenn Politiker nicht bereit sind, mit Bürgern zu kommunizieren.

Besonders skurril vor diesem Hintergrund: An vielen Dialogverweigerern gibt es ein großes Interesse im Web 2.0. So gefällt mehr als 5000 Menschen der von Facebook erstellte Standard-Eintrag zu Wolfgang Bosbach (CDU). Ronald Pofalla (CDU) besitzt – ungewollt – mehrere aktive inoffizielle Twitter-Accounts, unzählige Fragen bei Abgeordnetenwatch warten auf eine ­Antwort.

Fazit: Politiker müssen Social Media nicht nutzen. Es gibt im Einzelfall gute und nachvollziehbare Gründe dagegen. Kein guter Grund ist es allerdings, wenn ein Politiker es offenbar für irrelevant hält, mit Bürgern zu kommunizieren.

Ich habe überhaupt kein Verständnis für Politiker, die die Kommunikation mit dem Volk vernachlässigen und zum Beispiel auch acht Monate nach der Wahl noch immer keine eigene Webseite besitzen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Bonn – wo liegt das?. Das Heft können Sie hier bestellen.