„Obama war der perfekte Kandidat“

p&k: Frau Scola, auf Ihrer Webseite schreiben Sie, dass Sie Journalistin, Schriftstellerin und Bloggerin sind. Welche Aufgabe macht Ihnen am meisten Spaß?
Nancy Scola: Ich mag den Journalismus, weil ich gerne neue Dinge erfahre, mit Menschen rede und außerhalb meines Büros arbeite. Dabei spannende Geschichten zu entdecken, ist eine große Herausforderung.

Sie sind auch Mitherausgeberin des Politik-Blogs Techpresident.com. Wie kam es dazu?
Ich habe 2003 bei der Gründung der Organisation „Personal Democracy Forum“ mitgearbeitet. Mit einer jährlichen Konferenz in Manhattan und eigener Webseite wollten wir untersuchen, wie sich die Demokratie in den USA durch neue Technologien verändert und wie sich Wähler mit ihren Ideen in den politischen Prozess einbringen können. Drei Jahre später haben wir dann Techpresident.com gestartet, um uns ganz auf die Präsidentschafts- und Kongresswahlen zu konzentrieren. Nach dem 4. November haben wir beschlossen, den Namen beizubehalten und unsere Themen auf die neue Regierung und die US-Politik im Allgemeinen auszuweiten.

Auch bei den Präsidentschaftswahlen 2004 spielte das Internet schon eine große Rolle. Vor allem Howard Dean, der jedoch mit seiner Kandidatur bei den Demokraten scheiterte, machte mit einer Online-Kampagne auf sich aufmerksam. War Dean der erste „Techpresident“?
Dean hat das Internet damals in der Tat sehr gut eingesetzt. Er hatte das gleiche Potenzial wie Barack Obama und wollte die Art, wie in den USA traditionell Wahlkampf gemacht wird, verändern. Jedoch war seine Kampagne sehr lose organisiert und konnte dem hohen politischen Druck des Wahlkampfs nicht standhalten. Obamas Mannschaft zog daraus ihre Schlüsse und entwarf eine Kampagne, die zwar flexibel und abwechslungsreich war, aber auch im harten politischen Alltagsgeschäft bestehen konnte.

Das heißt, Obama ist der erste Internet-Präsident?
Ja, das würde ich so sagen. Man sollte aber nicht vergessen, dass auch seine Vorgänger das Internet wichtig genommen haben. Bill Clinton war der erste Präsident mit einer eigenen Webseite. George W. Bush hat Videos und Chats eingeführt. Obama kann man nun als Präsident der sozialen Netzwerke bezeichnen.

Die Obama-Mannschaft hat seit ihrem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen eine ganze Reihe neuer Webseiten gestartet. Es gab Change.gov für die Zeit des politischen Übergangs, das Weiße Haus hat einen neuen Internetauftritt bekommen, auf Recovery.gov können sich die Bürger online über den milliardenschweren Rettungsplan informieren …
Vergessen Sie nicht, dass es auch Webseiten über die anstehende Gesundheitsreform und die Stärkung des Mittelstands gibt …

Hat Obama mit den Webseiten sein Versprechen wahr gemacht, das Weiße Haus zu öffnen?
Es ist noch zu früh, um das angemessen beurteilen zu können. Die neue Regierung hat zurzeit technische Probleme, ihre Online-Pläne in die Realität umzusetzen. Sie muss mit den Programmen arbeiten, die die Vorgängerregierung benutzt hat. Was ich an Recovery.gov ermutigend finde, ist, dass die amerikanische Öffentlichkeit damit nachverfolgen kann, was die Regierung mit dem Steuergeld macht. Auch mit Change.gov verfolgte Obama einen neuen Ansatz. Damit gelang es ihm, Menschen in den politischen Übergangsprozess einzubinden. Sie konnten sich online um Arbeitsplätze bewerben sowie Fragen einschicken und bewerten. Ein Mitglied der Kampagne beantwortete die Fragen, die Nutzer am höchsten eingestuft hatten. Populär waren auch Videos, die die Kampagne von einigen Sitzungen anfertigen ließ.

Warum setzt Obamas Team diese Mittel nicht bei der neuen Webseite des Weißen Hauses ein?
Das liegt daran, dass Change.gov eine Art Spielplatz für die Obama-Mannschaft war. Dort konnten sie Dinge ausprobieren, ohne auf die technischen Einschränkungen, die es im Weißen Haus nun einmal gibt, Rücksicht zu nehmen. Die Frage ist, ob die neue Regierung einfach noch nicht dazu gekommen ist, die guten Online-Ansätze aus der Übergangszeit zu übernehmen, oder ob sie glaubt, dass das nicht notwendig ist. Eine Personalentscheidung, die Obama vor kurzem getroffen hat, macht mir jedoch Mut. Anfang Februar hat er Katie Jacobs Stanton, eine Google-Mitarbeiterin, zur neuen Direktorin für Bürgerbeteiligung ernannt. Bei Google entwickelte sie unter anderem eine Software, die im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielte.

Wie geht es weiter mit der neuen Webseite des Weißen Hauses?
Ich denke, dass Whitehouse.gov in vielen Bereichen noch ein Platzhalter ist. Die Obama-Mannschaft hat noch nicht entschieden, was sie damit anstellen will.
Gut möglich, dass die Mitarbeiter erst einmal die grundlegenden Dinge regeln wollten, bevor sie sich um die richtig spannenden Projekte kümmern können.

Warum die zeitliche Verzögerung?
Aus meiner eigenen Erfahrung auf „Capitol Hill“ kann ich sagen, dass für diese Projekte oft Zeit und Ressourcen fehlen. Man sollte auch etwas Nachsicht haben: Es ist eine sehr junge Mannschaft, die ins Weiße Haus gezogen ist, und sie muss unter einem sehr hohen Druck arbeiten.

Wie sehr bremsen datenschutzrechtliche Vorlagen die Online-Aktivitäten der neuen Regierung?
Ich bin mir nicht sicher, ob man in diesem Zusammenhang von bremsen reden kann. Es ist ein interessanter Konflikt, der sich zurzeit entwickelt. Denn die US-Bürger verfügen über das Recht, genau zu wissen, mit wem der Präsident während seiner Amtszeit, auch als Privatperson, schriftlichen und telefonischen Kontakt aufnimmt. Das schützt sie davor, dass der Präsident sein Amt missbraucht. Die Frage ist nun, wie sich dieses Recht auf Youtube-Videos, Blogs und Online-Kommentare auswirkt.

All diese Beschränkungen gelten nicht für Obamas ehemalige Kampagnenwebseite.Welche Rolle spielt sie noch?
Aus „Obama for America“ wurde nach dem 4. November „Organizing for America“. Die Webseite gehört nun der Demokratischen Partei. Ihre Aufgabe ist es, die Armee von 13 Millionen Unterstützern, die Obama während der Kampagne gewonnen hat, für die Umsetzung seiner politischen Agenda einzusetzen. Ich bin sehr gespannt, ob es „Organizing for America“ gelingt, diese Masse von Menschen ohne den Hintergrund eines Wahltermins zu mobilisieren.

In Deutschland stehen im September Bundestagswahlen an. Viele deutsche Politiker versuchen, Obamas Online-Wahlkampf zu kopieren. Was raten Sie ihnen?
Wenn man neue Technologien in der Politik einsetzt, muss man zunächst festlegen, was man erreichen und welche Mittel man einsetzen will. Obama war der perfekte Kandidat für den Wahlkampf 2008, weil er an die sozialen Netzwerke glaubte. Es wäre eine alberne Idee, ihn einfach kopieren zu wollen. Ein Beispiel dafür war Benjamin Netanjahu, der während des israelischen Wahlkampfs Obamas Web-seite fast identisch nachbauen ließ.

Deutschland rätselt noch, welche Rolle Twitter spielen wird. Warum spielt der Blogging-Dienst in den USA eine so große Rolle?
Nach den Präsidentschaftswahlen spielt Twitter heute vor allem auf Kongress-ebene eine Rolle. Ich glaube, dass es für viele Politiker eine gute Möglichkeit ist, menschlicher und erreichbarer zu wirken. Das liegt daran, dass man die Nachrichten in kurzer Zeit schreiben und kommentieren kann. Mittlerweile twittert sogar John McCain – und wir wissen, dass er seine Nachrichten selbst schreibt.

Twittern Sie eigentlich?
Ja, sehr gerne sogar.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die Meinungsmacher. Das Heft können Sie hier bestellen.