„Manch Liberaler würde sich nie mit einem Linken zusammensetzen“

Dietmar Bartsch, 55, steht zuerst in der Tür. Hoch aufgeschossen, fast ein wenig schlaksig. Dann kommt Jürgen Koppelin, 67: Groß auch er, kräftig, volles weißes Haar. Zusammen rutschen sie auf das Sofa in Koppelins Büro. Bartsch hat es eilig: Wie lange dauert das, worüber sprechen wir? Ach so, Freundschaft. Bartsch beginnt von einer gemeinsamen Delegationsreise nach China zu erzählen. Koppelin ergänzt. Auf Fragen warten die beiden nicht. Die Stichworte liefern sie sich meist selbst. Der Zeitdruck? Offenbar vergessen. Nach einer Minute das erste dröhnende Lachen.

Herr Koppelin, Herr Bartsch – wie haben Sie sich eigentlich besser kennengelernt? Gab es ein bestimmtes Ereignis?
Koppelin: War das nicht, als mich die Linken erschießen wollten …
Bartsch: … und ich Dich gerettet habe? (lacht laut)
Koppelin: Du hast meine Begnadigung unterschrieben! (lacht auch)
Bartsch: Nein, im Ernst, so eine Freundschaft entwickelt sich mit der Zeit. Wir sind ja beide im Haushaltsausschuss und Mitberichterstatter für den Etat des Bundespräsidenten …
Koppelin: … und für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Bartsch: Genau, den Niebel-Etat. Da haben wir einen sehr guten Draht zueinander.
Was verbindet Sie noch? Sie kommen beide aus Norddeutschland …
Koppelin: Wir haben einfach die gleiche Mentalität, den gleichen Humor. So eine Art englischen Humor.
Bartsch: Manchmal tut dieser ein bisschen weh. Man darf nicht zu dünn besaitet sein. Meistens bin ich deshalb vorsichtig, was ich sage – aber mit Jürgen Koppelin geht das.
Koppelin: Wenn ich zum Beispiel mit ein paar FDP-Freunden unten im Keller der Parlamentarischen Gesellschaft zusammensitze und du kommst vorbei …
Bartsch: … dann sag ich so etwas wie: ‚Aha, die Blockfreunde haben wieder den ganzen Tisch okkupiert‘. Jürgen kann dann lachen, manch andere gucken …
Koppelin: … stinkig. Die würden sich nie mit einem Linken zusammensetzen, habe ich den Eindruck.

Plötzlich eine Lautsprecherdurchsage: „Die Mitglieder der Fraktion werden gebeten, die Plätze im Plenum zu verstärken.“ Die beiden scheinen die Aufforderung gar nicht zu hören, reden angeregt weiter.

Was mögen Sie an Herrn Bartsch, Herr Koppelin?
Koppelin: Er ist nicht so verbissen wie einige in seiner Partei. Der andere ist kein Gegner für ihn, er versucht ihm seinen Standpunkt auch mit Witz nahezubringen. Ich höre ihm gern zu. Er kommt zwar aus einer anderen politischen Richtung, aber ich verstehe ihn. Außerdem ist Dietmar immer für Überraschungen gut. Letztens habe ich ihm erzählt, dass ich mich mit dem Kulturstaatsminister zusammensetze, und ihn gefragt, ob in seinem Wahlkreis ein Denkmal zu restaurieren sei. Ich dachte, jetzt lässt er bestimmt das Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft renovieren, aber nix da, er hat mir eine Kapelle vorgeschlagen!
Und umgekehrt, Herr Bartsch, was mögen Sie an Herrn Koppelin?
Bartsch: Mich hat beeindruckt, dass sich Jürgen als Mitglied der Koalition nicht anders verhält als in der Opposition. Da habe ich bei anderen schon 180-Grad-Wendungen erlebt: Erst kämpfen sie für die Rechte der Abgeordneten und der Opposition – aber an dem Tag, an dem ihre Fraktion die Regierung stellt, hat sich das erledigt. Da ist Jürgen anders. Außerdem gefällt mir, dass er zu seiner Position steht. Vielen ist die Parteiräson wichtiger ist als das Mandat. Ihm nicht. Natürlich verteidigt er diese Regierung – völlig zu Unrecht, wie ich finde. (grinst)
Koppelin: (gespielt ernst) Das weise ich ohne Begründung zurück.
Bartsch: Aber er ist dennoch eigenständig. Klar, dass er in der Debatte den politischen Gegner angreift, das mache ich auch. Außerhalb des Plenums ist Jürgen aber einer, der auf Argumente eingeht. Und: Er kommt aus einem besonderen Landesverband, der FDP Schleswig-Holsteins!
Koppelin: (lachend) Ich bin neben Wolfgang Kubicki der zweite „Quartalsirre“?
Bartsch: Das sagen andere.
Koppelin: Stimmt.
Bartsch: Mein Landesverband, Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern, wird auch von dem einen oder anderen kritisch gesehen. Außerdem haben wir beide schon mit den Parteifreunden heftige Kontroversen gehabt.
Stärken Sie sich in solchen Situationen gegenseitig den Rücken?
Bartsch: Ich erinnere mich an eine Situation nach der Bundestagswahl 2009: Jürgen war als Parlamentarischer Geschäftsführer nicht bestätigt worden. Da habe ich zu ihm gesagt: ‚Menschenskinder, denen ist wohl der Erfolg zu Kopf gestiegen!‘ Es gibt eben manche in der FDP, denen nicht passt, dass Jürgen auch mal Positionen vertritt, die in der Fraktion nicht mehrheitsfähig sind. Da hilft es, wenn man sich auf die Schulter klopft und sagt: ‚Die wissen nicht, was sie tun.‘
Herr Koppelin, wie haben Sie den Parteitag 2012 erlebt, als Herr Bartsch vergeblich als Parteivorsitzender der Linkspartei kandidiert hat?
Koppelin: Es kommt ja eher selten vor, dass ich Parteitage der Linken verfolge, aber dieser hat mich interessiert. Ich habe extra im Internet geguckt, wie die Abstimmung gelaufen ist – und sehr bedauert, dass er nicht gewählt wurde. Ein Fehler, wie ich finde. Die Linke hätte profitiert, wenn er Vorsitzender geworden wäre.
Bartsch: Als meine Partei 2002 an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist und nicht mehr als Fraktion in den Bundestag einziehen konnte, brachte das für mich den völligen Neustart: Ich war nicht mehr Bundestagsabgeordneter, nicht mehr Bundesgeschäftsführer, nicht mehr Wahlkampfleiter – ich war nur noch einfaches Mitglied. In dieser Situation bekam ich damals von Jürgen einen handgeschriebenen Brief. Das hat mich beeindruckt.
Herr Bartsch, wie finden Sie eigentlich Reinhard Mey?
Bartsch: (stutzt) Ich weiß nicht, Jürgen, den kennst du besser als ich.
Koppelin: Ja, das ist ein Freund von mir.
Er hat ein Lied über die Freundschaft geschrieben. Darin heißt es: ‚Habt Dank für die Zeit, die ich mit euch verplaudert hab, und für eure Geduld, wenn’s mehr als eine Meinung gab, dafür, dass ihr nie fragt, wann ich komm oder geh, für die stets offene Tür, in der ich jetzt steh.‘
Koppelin: Das ist aus dem Lied „Gute Nacht, Freunde“.
Ist Ihre Freundschaft auch so?
Bartsch: Nein, man muss es nicht übertreiben. Wir fahren ja nicht zusammen in den Urlaub.
Koppelin: Im Vordergrund steht bei uns die Wertschätzung.
Aber reden Sie auch über Privates?
Koppelin: Wenn man auf Delegationsreise ist, dann erzählt man sich schon das eine oder andere über die Familie. Kürzlich waren wir in Kuba, allerdings ohne ­Dietmar.
Bartsch: Mein Vater wurde 80. Deshalb konnte ich leider nicht mitfahren.
Koppelin: Schade eigentlich, wärst du dabei gewesen, dann hätte ich im Politbüro in Havanna gleich die richtigen Leute getroffen. (lacht)

Wieder eine Lautsprecherdurchsage: „Es folgt noch einmal ein Rundruf aus dem Fraktionsbüro. Die Mitglieder der Fraktion werden dringend gebeten, die Plätze im Plenum zu verstärken.“

Bartsch: Bei mir ist die Lautsprecheranlage leider kaputt gegangen. (grinst)
Gehen Sie denn ab und zu gemeinsam ein Bier trinken?
Bartsch: Also, wenn man im Haushaltsausschuss heftige Auseinandersetzungen hatte, dann gehört es dazu, hinterher ein Bier trinken zu gehen.
Koppelin: Und dann lästern wir ein bisschen. Das kann ich mit ihm gut, denn ich weiß, dass er nichts weitertragen würde.
Bartsch: Wir können uns durchaus auch Kritisches über Kollegen in der eigenen Fraktion erzählen, ohne dass es hinterher im „Spiegel“ steht.
Freundschaft setzt ja eine Geistesverwandtschaft voraus. Geht das denn, wenn man politisch solch unterschiedliche Positionen vertritt wie Sie?
Koppelin: Ich sehe es so: Dietmar engagiert sich für Menschen, die auf der Schattenseite stehen, für Gerechtigkeit. Wenn Liberale ihre Aufgabe ernstnehmen, dann müssen sie das genauso tun.
Sie könnten also auch in der gleichen Partei sein?
Bartsch: Das nun nicht gerade. Es gibt aber Werte, die uns verbinden, Solidarität und Freiheit. Natürlich betont die FDP nicht die Solidarität und Die Linke nicht die Freiheit. Beides geht aber letztlich nur zusammen. Die Differenzen beginnen bei viel irdischeren Problemen. Zum Beispiel der Frage des Spitzensteuersatzes….
Ist eigentlich bekannt, dass Sie so gut miteinander können?
Koppelin: Nein, wir laufen ja nicht Reklame.
Ist das hier dann eine Art Outing?
Bartsch: Die, die mich nicht leiden können, werden sagen: ‚Hab ich es doch gewusst. Eigentlich müsste er in der FDP sein.‘ Das stört mich aber nicht, spricht nicht für diejenigen.
Koppelin: Es gab schon Leute aus meiner Fraktion, die gesagt haben: ‚Wie kannst du nur mit so einem Linken …‘
Haben andere Abgeordnete mehr Probleme als Sie, öffentlich zu zeigen, dass sie sich mit Kollegen aus anderen Fraktionen gut verstehen?
Koppelin: Als Gregor Gysi vor Kurzem seinen 65. Geburtstag gefeiert hat, bin ich natürlich hin. Das war für mich selbstverständlich. Aber von den anderen Parteien war niemand da.
Bartsch: Von den Sozialdemokraten kam sehr spät jemand, als die Medien weg waren. Das ist unsouverän. Ich finde es schrecklich, wenn auch das Persönliche streng nach Parteien getrennt ist. Manche erwarten das vielleicht. Aber dann müssen wir eben zeigen, dass die politische Auseinandersetzung nicht ausschließt, dass man ansonsten normal miteinander umgeht.
Der Haushaltsausschuss, dem Sie beide angehören, ist als Hüter des Budgetrechts des Parlaments wohl der mächtigste Ausschuss im Bundestag. Kann es sein, dass sich hier überparteiliche Freundschaften leichter entwickeln, weil man gemeinsam die Begehrlichkeiten der Regierung abwehren muss?
Bartsch: Abwehren, darum geht es nicht. Wir entscheiden!
Koppelin: Und das Kabinett sitzt draußen und muss warten.
Aber es könnte ja sein, dass die FDP die eigenen Minister schont. Allerdings: Mit Dirk Niebel haben Sie das bei den letzten Haushaltsberatungen nicht gemacht.
Bartsch: Es sind schon andere Minister gerupft worden. Das gab es zu allen Zeiten.
Koppelin: Gestern erst habe ich wieder einen gerupft! Ich habe den Staatssekretär des Bundespresseamtes herzitiert. Bedauerlicherweise musste er auch noch draußen warten.
Wie lange?
Koppelin: Eine Stunde. Und eine Stunde kann sehr lang sein, wenn man viele Termine hat.
Bartsch: Es hat schon Ministerinnen gegeben, die vier oder fünf Stunden warten mussten …
Koppelin: Und dann haben wir sie nach Hause geschickt. Das sind erzieherische Maßnahmen.
Bartsch: Vor allem ist es die Gesetzeslage: Das Parlament entscheidet! Das Falscheste, was man als Minister tun kann, ist, sich mit den Haushältern anzulegen. Das kann böse Auswirkungen haben.
Koppelin: Und sei es nur, dass man nachts um zwei im Ausschuss erscheinen muss.

Erneute Unterbrechung, Lautsprecherdurchsage: „Es folgt der dritte Rundruf aus dem Fraktionsbüro. Wir brauchen dringend Verstärkung im Plenum. Die FDP-Fraktion ist schlecht besetzt!“

Bartsch: (lachend) Das ist ja ein Ding. Vielleicht sollten die mal was zur Linken sagen, die ist vielleicht auch dünn besetzt!
In vier Monaten ist Bundestagswahl. Herr Koppelin, Sie treten nicht mehr an. Sind Sie froh, dass Sie nicht mehr Wahlkampf machen müssen?
Koppelin: Ich mache Wahlkampf, volles Programm! Geht gar nicht anders.
Und Sie, Herr Bartsch, als ehemaliger Wahlkampfleiter: Freuen Sie sich schon auf die kommenden Monate?
Bartsch: Ich bin auch diesmal in die strategischen Planungen innerhalb meiner Partei eingebunden. Aus meiner Sicht ist die Wahlkampfzeit doch die spannendste.
Wie lautet Ihr Tipp – wie werden FDP und Linke abschneiden?
Koppelin: Die FDP wird ein besseres Ergebnis einfahren, als die Leute denken. Die Koalition wird weiter bestehen.
Bartsch: Das sehe ich anders. Die FDP wird zwar im nächsten Bundestag vertreten sein. Aber für Schwarz-Gelb reicht es nicht.
Und Die Linke?
Koppelin: Die holt 7 oder 8 Prozent.
Bartsch: Wir laufen vor der FDP ein.
Nach der Wahl trennen sich Ihre Wege. Werden Sie sich vermissen?
Koppelin: Ich werde noch oft in Berlin sein. Da trinken wir sicher ein Bier zusammen.
Bartsch: Natürlich wird mir Jürgen dann erklären, wie schlecht wir das alles im Bundestag machen und dass früher alles besser war. Auf den Vortrag freue ich mich jetzt schon!

Eine gute Stunde ist verplaudert, auf Jürgen Koppelin wartet sein nächster Termin. Auch Dietmar Bartsch muss los und eilt davon. Koppelin geht seelenruhig nach nebenan, man hört ihn fröhlich einen Besucher begrüßen und ahnt: Seine Fraktionskollegen im Plenum werden weiterhin ohne ihn auskommen müssen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Na, Klassenfeind? Ein Linker und ein Liberaler über Freundschaft zwischen politischen Gegnern. Das Heft können Sie hier bestellen.