Koalition neuen Stils?

Mit der vielzitierten Aussage „Es reicht“ versuchte Vizekanzler Wilhelm Molterer im Juni den Befreiungsschlag aus knapp zwei Jahren zäher Koalitionsarbeit und täglichem Hick-Hack zwischen den Regierungspartnern. Schlussendlich reichte es dann jedoch nicht – weder für den Juniorpartner noch für die Kanzlerpartei. Mit einem Stimmenanteil von 29 Prozent musste die SPÖ ein Minus von sechs Prozentpunkten verzeichnen. Die ÖVP verlor sogar acht Prozentpunkte und landete damit auf einem historischen Tiefstand von 26 Prozent.
Neben einer Koalition mit den beiden rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ, den beiden großen Gewinnern der Wahl, war keine andere – politisch logische – Koalitionsform möglich. Um liberale SPÖ-Wähler zu halten, hatte SPÖ-Spitzenkandidat Werner Faymann diese Variante bereits vor der Wahl ausgeschlossen, die ÖVP verabschiedete sich spätestens nach Jörg Haiders Tod von diesem Gedanken. Somit blieb neben einer Minderheitsregierung nur wieder die alte, ungeliebte Partnerschaft übrig.
In Österreich heißt es immer, eine Große Koalition, die ja nun wahrlich nicht mehr groß ist, braucht große Themen. Und davon gibt es ausreichend. Neben einem bereits paktierten Konjunkturpaket für die schwer ramponierte Wirtschaft und einer Steuerreform bleiben noch weitere große Themenkomplexe wie Reformen bei Gesundheit, Bildung, Pensionen und Staat beziehungsweise Verwaltung. Was werden die beiden Traditionsparteien also tun?

SPÖ kämpft um Arbeitnehmer

Die SPÖ wird sich vor allem für die Sicherung von Arbeitsplätzen in die Bresche werfen. Die Partei stellt Anspruch auf das Sozialministerium (inklusive Arbeitsmarktagenden) sowie das Infrastrukturministerium. Die Partei kündigte bereits an, den Arbeitsmarkt durch vorgezogene Infrastrukturmaßnahmen zu stützen. Das bringt den Vorteil, schneller und eingängiger mit der Bevölkerung kommunizieren zu können. Auch kann die Kernzielgruppe Arbeiterschaft, die der Partei in den letzten Jahren mehr und mehr abhanden kam, zufriedengestellt werden. Wie man das macht, hat Faymann bereits beim möglichen Stellenabbau der Österreichischen Post vorgemacht. Obwohl dem Infrastrukturminister seit März bekannt war, dass Postfilialen geschlossen würden, griff er nun das Postmanagement heftig an und sicherte zu, alles Mögliche zu tun, um die Arbeitsplätze zu erhalten.
Die ÖVP gibt wie so oft den Hüter von Budget, Wirtschaft und Europa. Alles Themen, die in Österreich derzeit nicht en vogue sind. Welchen Wähler interessieren in Zeiten wie diesen die Maastricht-Kriterien? Die Volkspartei hat derzeit sicher nicht die mediale Öffentlichkeit hinter sich und versucht daher, ihre Stammwählerschaft zufrieden zu stellen. Das heißt, bei klassisch konservativen Themen wie der Ablehnung der Gesamtschule wird nicht allzu viel Bewegung zu erwarten sein.
Die bereits verfasste Steuerreform wird – nach den Versprechen vor der Wahl – geringer ausfallen als notwendig wäre. Hier wird man sich wohl auf einen Kompromiss zwischen den traditionellen Schwerpunkten Entlastung der Kleinverdiener versus Steuersenkungen für obere Einkommensgruppen einigen, bei dem letztlich ein breites Spektrum an Steuerklassen ein Stück vom Kuchen bekommt. Die Steuerreform hat jedoch den Vorteil, schneller und klarer kommunizierbar zu sein.
Langfristige Themenkomplexe werden jedoch in den Regierungsverhandlungen eher auf die lange Bank geschoben. So ist etwa im Bereich Staatsreform wenig Veränderungseifer zu erwarten. Denn das würde Konflikte mit den Ländern bedeuten und das Misstrauen zwischen den Regierungsparteien scheint zu groß, um sich auf ein gemeinsames Durchhalten der Linie zu verständigen. Beiden Parteien ist klar: Das Thema gilt in der Öffentlichkeit als schwer vermittelbar.
Auch für die anstehende Gesundheitsreform gibt es keine konkreten Pläne. Interessengruppen haben sich erfolgreich gegen den letzten Vorstoß in diese Richtung zur Wehr gesetzt, der ehemaligen Gesundheitsministerin schadete die öffentlich geführte Debatte. In ihre Fußstapfen wird wohl so schnell niemand treten wollen. Wer möchte schon der Überbringer schlechter Nachrichten wie Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen sein? Man begnügt sich damit, den Gesundheitssektor finanziell über Wasser zu halten und vertagt eine weitreichende strukturelle Reform.
Ähnlich verhält es sich mit den Pensionen. Die in der letzten Legislaturperi­ode fast beschlossene Pensionsautomatik kam unter Druck der Gewerkschaften nicht zu Stande, eine dauerhafte Lösung ist nicht in Sicht. Zudem wurde die sogenannte „Hacklerregelung“, die es ermöglicht, nach langer Versicherungsdauer ohne Abschläge in die Frühpension zu gehen, vor der Wahl um drei Jahre verlängert. Auch hier will niemand unerfreuliche Kunde überbringen.
In der Bildungsfrage wird man sich voraussichtlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen: Die Gesamtschule wird vorerst nicht auf weitere Standorte ausgebaut, dafür werden auch die Studiengebühren nicht wieder eingeführt. Große Umwälzungen oder Investitionen im Schul- und Universitätsbereich, die das Land als „Wissensgesellschaft“ profilieren und die Wirtschaft langfristig sichern könnten, sind bis auf weiteres nicht absehbar.

Wer sich bewegt, verliert

Es zeichnen sich also keine großen Reformbemühungen ab. Ein weit dynamischeres Bild zeigt sich allerdings, wenn man die Frage, was von der neuen Regierung zu erwarten ist, aus dem Blickwinkel der politischen Kommunikation betrachtet. So präsentieren beide Seiten bereits jetzt Lösungen, die medial gut zu kommunizieren sind. Die SPÖ tut sich da im Windschatten ihr nahestehender Boulevardmedien leichter.
Der „neue Stil“ wird sich wohl darauf beschränken, den möglichen Koalitionspartner medial nicht so anzugehen, dass dadurch eine gemeinsame Regierungsarbeit und damit auch die eigene Partei Schaden trägt. Man hat den Eindruck, beide Seiten konzentrieren sich darauf, keinen Fehler zu machen, sich bei heiklen politischen Themen nur ja nicht als Erster zu bewegen – auch, wenn sich dadurch schlussendlich gar nichts mehr bewegt.
Ob auf diese Weise jedoch verlorene Wähler wieder für die ehemaligen Großparteien begeistert werden können, bleibt fraglich.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Politiker des ­Jahres – Peer Steinbrück. Das Heft können Sie hier bestellen.