In Wowis Welt

In Wahlkampfzeiten liegen die politische und die reale Welt oft weit auseinander. Mitte August zeigt sich das bei einem Besuch des Kurt-Schumacher-Hauses, der Parteizentrale der Berliner SPD. Knapp sechs Wochen sind es noch, bis die Berliner darüber abstimmen, wer sie in den kommenden fünf Jahren regieren wird. Von der heißen Phase des Wahlkampfs ist im Kurt-Schumacher-Haus wenig zu spüren. Zum Gespräch mit dem Wahlkampfmanager Rüdiger Scholz und dem Geschäftsführer der Lead-Agentur Butter, Frank Stauss, bitten die Sozialdemokraten in einen kühl wirkenden Raum in der ersten Etage des Bürogebäudes.
Scholz begrüßt die Gäste in einer schwarzen Outdoor-Jacke, Stauss trägt Anzug. An einer der Wände hängt ein Bild des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Schwarzweiß, sehr elegant. Der milde lächelnde Wowereit verleiht nicht nur dem kargen Besprechungsraum etwas Atmosphäre – er soll auch dafür sorgen, dass die SPD am 18. September einen souveränen Sieg erringen kann. Die Strategie scheint aufzugehen, denn die Sozialdemokraten liegen in allen Umfragen und Rankings klar vor den Grünen und der CDU.
Scholz und Stauss wirken während des Gesprächs dementsprechend gelassen. Dazu kommt, dass die beiden aus dem Vollen schöpfen können: Mit einem Budget von 1,7 Millionen Euro ist die SPD Spitzenreiter unter den Berliner Parteien. Zehn zusätzliche Mitarbeiter konnte Scholz, der auch SPD-Landesgeschäftsführer ist, für den Wahlkampf einstellen. 25 Sozialdemokraten arbeiten hauptamtlich daran, Wowereit eine vierte Amtszeit zu ermöglichen.
Scholz weist zusätzlich auf das Engagement der rund 16.000 SPD-Mitglieder in Berlin hin, „die was für die Partei machen wollen“. Rund 150 Mitglieder sind direkt in den Wahlkampf eingebunden. Hinzu kommen die Wahlkämpfer aus den zwölf Kreisbüros. „Wir hatten so viele Bewerber, dass wir gar nicht alle einbinden konnten“, sagt Scholz.
Der gebürtige Westfale hat bereits 2006 Wowereits Wahlkampf geleitet. Was hat sich seitdem verändert? „Bei der vergangenen Wahl haben wir von diesem Raum aus die Kampagne gesteuert“, sagt Scholz. Doch die „Kampa“-Zeiten seien vorbei. „Damals war es wichtig, die einzelnen Instrumente zusammenzuführen“, sagt Stauss. „Dank Internet und Smartphones kann mittlerweile jeder von seinem Platz aus arbeiten.“ Der „Grünen Botschaft“, der im Mai eröffneten Wahlkampfzentrale der Grünen, können beide nicht viel abgewinnen. „Zu viel Show, zu inszeniert“, sagt Scholz.
Auch nach zehn Jahren an der Regierung ist bei den Sozialdemokraten nichts von Politikmüdigkeit zu spüren. Das hänge vor allem mit dem Spitzenkandidaten zusammen, sagt Stauss. „Wowereit ist eine absolute Ausnahmeerscheinung: Wenn sie mit ihm durch die Stadt gehen, bleiben nur glückliche Leute zurück“, so der Butter-Chef. Der Bürgermeister stehe wie kein anderer Politiker für die Hauptstadt – das schlägt sich im Kampagnen-Slogan nieder: „Berlin verstehen“.
Ende Juli präsentierte die Partei das Motto der Öffentlichkeit. Die Aufmerksamkeit der Medien war der SPD gewiss. Denn mit ihren Plakaten vertraute sie ganz auf die Macht der Bilder. Vier Motive aus dem Berliner Alltag, dazu der Kampagnen-Slogan und das SPD-Logo. Die Kritik, die Plakate seien aussageschwach, lässt Stauss nicht gelten: „Nur mit Wowereit kommt so etwas glaubhaft rüber. Er ist der einzige Spitzenkandidat, der weiß, wie die Hauptstadt tickt.“
Das wird auch zwei Tage nach dem Gespräch mit Scholz und Stauss deutlich, als SPD-Landeschef Michael Müller mit Wowereit und den Bezirksbürgermeister-Kandidaten der Partei die zweite Plakat-Reihe vorstellt. Die dritte und letzte Reihe startet zwei Wochen vor der Wahl. Im 37. Geschoss eines Hotels am Alexanderplatz erklären die beiden Politiker die – natürlich schwarzweißen – Plakate. Auf ihnen ist dieses Mal vor allem einer zu sehen: der Spitzenkandidat. Wowereit in der Kita mit Stoffkrokodil im Gesicht, Wowereit auf dem Schulhof, Wowereit mit alter Dame und: Wowereit alleine. Dem Bürgermeister macht die Präsentation sichbar Spaß: Er lacht, posiert für die Fotografen. „Können wir das Kita-Motiv nicht einfach überspringen?“ Die große Wowi-Show.
Müller erklärt, was seine Partei für die restlichen fünf Wochen bis zur Wahl geplant habe. Neben einer „Kiez-Tour“ des Bürgermeisters veranstaltet die SPD täglich zwölf Aktionen in jedem Bezirk; über 400 werden es bis zum 18. September sein. Am Freitag vor der Wahl startet die SPD mit einer Kundgebung auf dem Potsdamer Platz in den Endspurt. „Powerplay“, sagt Müller – und fügt an, dass die „große Wahlparty“ in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg stattfinden werde.
Im Anschluss an die Plakatpräsentation gibt es Currywurst – und einen beeindruckenden Blick über die Dächer Berlins. Die Sonne scheint. Wowereit schäkert gut gelaunt mit den Journalisten, und Frank Stauss beisst genüsslich in eine Wurst. Die Wahlkämpfer blicken zufrieden auf ihre Smartphones: Auf den ersten Webseiten sind Meldungen über die neuen Plakate zu lesen.
Manchmal liegen in Wahlkampfzeiten die politische und die reale Welt doch nicht so weit auseinander. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Kampf ums Internet – Die Lobby der Netzbürger formiert sich. Das Heft können Sie hier bestellen.