Gottes Werk und Staates Beitrag

Am Tag, als im Vatikan erstmals seit mehr als 700 Jahren ein Papst freiwillig den Stuhl Petri verlässt, debattiert der Bundestag wieder einmal über das liebe Geld. Genauer gesagt über die Summe, die der Staat jedes Jahr an die evangelische und katholische Kirche zahlt. Die Fraktion der Linken hat einen Antrag eingebracht, die jahrhundertealten Entschädigungszahlungen für enteignete Klöster und Residenzen abzulösen – durch eine Einmalzahlung, summa summarum 4,75 Milliarden Euro.
Der Ansatz ist nicht neu. Schon 1918, mit dem Ende des Kaiserreichs, sollte mit den Staatsleistungen eigentlich Schluss sein. Auch im Grundgesetz findet sich dieser Ablösungsauftrag wieder. Trotzdem fließen jährlich rund 460 Millionen Euro von den Ländern- in die Kirchenkassen.
Insgesamt dauert die Debatte keine halbe Stunde, mehrere Redner wie der CSU-Haudegen Norbert Geis haben ihre Reden zu Protokoll gegeben. Für sie gibt es Wichtigeres: den Gottesdienst in der Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale zu Ehren des scheidenden Papstes Benedikt XVI.
Die wenigen Parlamentarier im Bundestag lehnen zur gleichen Zeit erwartungsgemäß den Antrag der Linken ab. So einfach wie in dieser Plenarsitzung hatte es die katholische Kirche in den vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit nicht immer. Die Frage nach dem nächsten Pontifex Maximus wurde in Rom zwar schnell entschieden, doch die Probleme der Weltkirche bleiben.

Sonderstatus im Arbeitsrecht  

In Deutschland geriet vor allem die katholische Kirche in den vergangenen Wochen in ernste Erklärungsnöte. Gerade ihr Sonderstatus beim Arbeitsrecht steht zunehmend in der öffentlichen Kritik. Anders als normale Unternehmen darf die Kirche ihre Mitarbeiter darauf verpflichten, sich der christlichen Lehre gegenüber loyal zu verhalten. Die Folgen dieses Privilegs sind mitunter skurril. So wurde vor einem Jahr der Leiterin eines katholischen Kindergartens in Königswinter wegen „Ehebruchs“ gekündigt. Durch ihre Scheidung sei sie zu einem „schädlichen Ärgernis“ geworden, so der Pfarrer, dem sie die Trennung von ihrem Mann anvertraute. Ihre Geschichte dokumentiert die WDR-Journalistin Eva Müller in ihrem aktuellen Buch „Gott hat hohe Nebenkosten“.
 Die Politik lässt sich trotz der öffentlichen Kritik am Sonderstatus der Kirchen, die angesichts solcher Vorfälle immer lauter wird, viel Zeit mit ihren Antworten. „Unter Drei“ ist von den Abgeordneten zu hören, dass man es sich mit den Gotteshäusern nicht verscherzen sollte.
Wie schaffen es die Kirchen bloß, ihre Macht zu wahren?
Einer, der genau dafür Sorge trägt, hat sein Büro im modernen Flachbau der Deutschen Bischofskonferenz unweit der Berliner Charité. Prälat Karl Jüsten ist von der Jobbeschreibung her Seelsorger und „Lobbyist für Gott und die Menschen“. Er vertritt in Berlin seit nunmehr 13 Jahren die Interessen der katholischen Kirche in Deutschland. Dabei helfen ihm sechs Referenten, deren Aufgabenbereiche sich spiegelbildlich zu den Ministerien aufteilen. Hier im Katholischen Büro trafen sich vor eineinhalb Jahren Angela Merkel und Papst Benedikt während seines Deutschlandbesuches zu Gesprächen. Jüsten leugnet nicht, dass für seine Arbeit persönliche Kontakte die wichtigste Währung sind. In dringenden Fällen wisse er die Bundeskanzlerin zu erreichen, das sei auch schon bei Gerhard Schröder so gewesen und, sofern es der Wähler wolle, werde das auch bei Peer Steinbrück wieder so sein.

Strategische Ökumene  

Jüsten ist kein verklemmter Kirchentheoretiker. Seine lockere Art und sein rheinischer Humor kommen bei den Abgeordneten gut an. Zusammen mit seinem evangelischen Pendant, Prälat Bernhard Felmberg, bildet er in Berlin ein perfektes Tandem. „Ökumenische Zusammenarbeit ist selbstverständlich und prägt unsere tägliche Arbeit wie wohl kaum woanders“, sagt der Kirchenmann amüsiert. Aber hat das harmonische Bündnis nicht auch strategische Gründe? Jüsten relativiert: „Nein, wir arbeiten aus innerer Überzeugung zusammen, aber natürlich sind wir nur glaubwürdig, wenn wir gemeinsam unsere Sicht vortragen.“ In ein Lobbyregister würde sich der Statthalter des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch aber nicht eintragen. Die Kirche vertrete keine Einzelinteressen, sondern habe die gesamte gesellschaftliche Agenda im Blick.
Andere Kirchenlobbyisten sind da pragmatischer. Wer den Status quo sichern will, dreht nicht mehr das große Rad, sondern macht nüchterne Public Affairs wie Mario Junglas, Direktor des Caritas-Büros in Berlin. Lediglich in Kernfragen wie dem kirchlichen Arbeitsrecht stimmt er sich mit Jüsten ab. Junglas befürwortet ein Lobbyregister in Deutschland und würde sich dort selbst eintragen. Seit gut zwei Jahren haben das Caritas-Netzwerk und die Diakonie einen Transparenzkodex, der einen offenen Haushalt vorsieht.
Auch Brüssel wird für das Status-quo-Lobbying des katholischen Wohlfahrtsverbandes wichtiger. Auf EU-Ebene will die Caritas das sogenannte „sozialrechtliche Dreiecksverhältnis“ wahren. Dahinter verbirgt sich das typisch deutsche Modell einer engen Kooperation von Staat und freien Trägern, zu denen auch die Caritas-Einrichtungen gehören.
Die EU-Kommission dagegen ist bekannt für ihre Vorliebe zu marktliberalen Lösungen. Laut Junglas fordern deutsche Kommunen immer wieder die Ausschreibung sozialer Dienstleistungen. Die Caritas will die Europäische Union aber davon überzeugen, dass die deutsche Variante „gleichwertig“ ist. Für Junglas ist klar: „Wir müssen die deutsche Lösung in Brüssel noch mehr bewerben.“ Während ihr Sozialverband in Brüssel eifrig selbst lobbyiert, ist die katholische Kirche Deutschlands auf Absprachen angewiesen. Ihr EU-Lobbying läuft über die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft. Hier ist der deutsche Vertreter nur einer von 24 Bischöfen aus den Unionsländern. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat dagegen ein eigenes Büro in Brüssel.
Zur Strategie des Machterhalts der beiden großen Kirchen gehört auch das Werben für andere Religionsgemeinschaften. In Zeiten, in denen sich immer weniger Menschen zu einer Glaubensrichtung bekennen, gilt: Gläubige, egal welcher Konfession, sollten zusammenhalten. So helfen die „Staatsprotestanten“ der EKD ihren kleinen Brüdern, den Freikirchen, bei deren Lobbying.

 

Huckepack-Verfahren

Peter Jörgensen nennt das „Huckepack-Verfahren“. Der Baptistenpastor mit Gemeinde im Wedding ist Interessenvertreter der Vereinigung Evangelischer Freikirchen in Berlin. Der höfliche Mann im Maßanzug empfängt am Pariser Platz, Hausnummer 6 a. Schon die edle Adresse ist Teil der Lobbyhilfe. Alleine könnten sich die Freikirchen die Räumlichkeiten sicher nicht leisten. Sie gehören der Stiftung für Grundwerte und Völkerverständigung, die es sich laut ihrer Webseite zum Ziel gesetzt hat, „das Bewusstsein für die Verantwortung vor Gott und den Menschen und die Völkerverständigung in der Welt durch die Besinnung auf Gott zu fördern“. Diese ist aus dem überkonfessionellen Gebetsfrühstück im Bundestag entstanden, bei dem sich Abgeordnete aller Fraktionen und Glaubensrichtungen regelmäßig treffen, um sich in privater Atmosphäre auszutauschen.
Mit Prälat Felmberg trifft sich Jörgensen einmal im Monat zur Teamsitzung. Bei der nächsten könnte der Rundfunkrat des SWR Thema sein. Hier drohen die Freikirchen ihren Platz zu verlieren. Ab 2014 soll diesen ein muslimischer Vertreter besetzen, so der Plan von Winfried Kretschmann, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Jörgensen hat ihm einen Brief geschrieben. Die Freikirchen wollen ein Proporzsystem, das alle Religionen, also auch die Freikirchen, berücksichtigt. Seine Hoffnungen ruhen zudem auf Markus Bräuer. Der ist Medienbeauftragter der EKD und macht den Job auch für die Freikirchen. „Er ist hier der Fachmann mit den nötigen Verbindungen“, so Jörgensen. Prälat Felmberg wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern, ob er die Freikirchen bei ihrem Kampf um einen Platz im Rundfunkrat unterstützt.

Argumente statt Predigten

Die Art und Weise, wie die Kirchen ihr Lobbying betreiben, hat nichts mehr mit Moral und erhobenem Zeigefinger zu tun. Heute heißt es: Argumente statt Predigten. Die neue Demut der Kirchen hat ihren Grund: Anders als früher haben ihre Mitglieder heute ihren eigenen Kopf oder treten gleich ganz aus der Kirche aus. Im Erzbistum Berlin ist die Lage für die katholische Kirche besonders dramatisch: In der Hauptstadt sind nur neun Prozent der Einwohner katholisch, in Brandenburg ist die Zahl noch niedriger. Die Folge der zunehmenden Kirchenferne vieler Bürger kann derzeit auf Ebay besichtigt werden: Auf der Auktionsplattform bietet die katholische Kirche die St.-Bernhard-Kirche in Brandenburg an der Havel zum Verkauf an, zum Preis von 120.000 Euro. Die Versteigerung ist kein Einzelfall: Auf ähnliche Weise kamen in den vergangenen zwölf Jahren rund zwei Dutzend Gotteshäuser unter den Hammer.
Vorbei die Zeiten, in denen Politiker Angst haben mussten, die Kirchen könnten beim sonntäglichen Gottesdienst die Wähler gegen sie aufwiegeln. Trotzdem gibt es bisher keine Partei im Bundestag, die ernsthaft an dem engen Miteinander von Staat und Kirche rütteln will. Selbst Raju Sharma von den Linken bekennt: „Wir sind keine Kirchengegner.“ Und die Grünen werden in einigen Medien schon als neue „C-Partei“ tituliert, so viel inhaltliche Nähe gibt es zwischen ihnen und der Kirche etwa in ethischen Fragen.
Religion scheint im Parlament nach wie vor en vogue zu sein. Ob überdimensionale Kruzifixe oder Bilder vom Besuch beim deutschen Papst in Rom – in immer mehr Abgeordnetenbüros sind derartige Glaubensbekenntnisse zu finden.

Neue Frömmigkeit der FDP

Am deutlichsten zeigt sich der Sinneswandel bei den Liberalen. 2009 gründete sich in der Bundestagsfraktion ein christlicher Arbeitskreis, dem heute fast die Hälfte der Fraktion angehört. Dabei sind die katholische Kirche und die Liberalen aus dem Verständnis der Aufklärung heraus traditionelle Gegenspieler. Die Liberalen pflegten zu den Kirchen lange ein Nichtverhältnis, auch um sich vom bürgerlichen Lager abzugrenzen.
Wie ist diese neue Frömmigkeit der FDP zu erklären?
Die Antwort liefert ein Religionsforscher aus dem schweizerischen Luzern. „Das Wählerklientel der FDP rekrutiert sich immer stärker auch aus dem Unionslager“, analysiert Antonius Liedhegener. Der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker hat sich in seinen Arbeiten intensiv mit dem katholischen Milieu in Deutschland beschäftigt. In der FDP, so Liedhegener, ist seit den 1990er Jahren die Annäherung an die Kirchen vorangetrieben worden. Programmatisch wurde die neue religionsfreundliche Linie 2007 vom Parteipräsidium festgezurrt. Die aktuellen liberalen Leitlinien atmen einen völlig anderen Geist als die sehr kritischen Kirchenthesen von 1974.
Personell wurde die neue Liaison vor allem von Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle in die Wege geleitet. Ein Erbe, das der Katholik Philipp Rösler nun nahtlos fortsetzt.
Auch in der SPD geben in der Parteiführung bekennende Christen wie Sigmar Gabriel und Andrea Nahles den Ton an. Programmatisch hat sich die Partei schon im Godesberger Programm von 1959 von ihrer antikirchlichen Haltung verabschiedet. Neuerdings regt sich jedoch Widerstand: Vor zwei Jahren formte sich eine Gruppe von Laizisten in der Partei, die unter anderem fordern, den Religionsunterricht an den Schulen abzuschaffen und die vom Staat eingezogene Kirchensteuer zugunsten eines kircheneigenen Beitragssystems zu ersetzen. Doch der Antrag auf Anerkennung des Arbeitskreises wurde vom Parteivorstand einstimmig abgelehnt. Auch der Thüringer Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider sympathisierte damals mit den Laizisten, beschränkt sich aber aktuell lieber auf Nachbesserungen beim Arbeitsrecht.
Was dieses Thema betrifft, prophezeit der Kirchenkritiker Carsten Frerk den Kirchen bald Ärger mit der Sozialdemokratie. „Bei Lohn-Dumping und Beschneidung der Arbeitnehmerrechte geht es bei der SPD ums Eingemachte“, sagt der 67-jährige Journalist, der seit 15 Jahren in seinen Publikationen der Frage nachgeht, wie reich die Kirchen wirklich sind.
Die Beispiele zeigen: Die katholische Kirche findet längst nicht mehr nur in der Union inhaltliche Bündnisgenossen. Es gibt sogar Gemeinsamkeiten mit der Linkspartei, etwa wenn es um stärkere Rüstungskontrollen geht. Dafür hat sich die lebenslange Ehe mit der Union in ein Bündnis auf Zeit verwandelt. Für Cheflobbyist Jüsten ist daher klar: „Die Union muss selbst entscheiden, wo sie sich verortet.“
Einer, der in diesem Punkt auf die offizielle Sprachregelung pfeift, ist Martin Lohmann. Der Haudrauf-Katholik ist bekannt für seine provokanten Thesen („Die Frage der Selbstbestimmung der Frau ist vielschichtig“), die nicht selten am nächsten Tag als Entgleisungen in der Presse stehen. Der Chefredakteur des katholischen Senders K-TV hat vor zweieinhalb Jahren den informellen Arbeitskreis der Engagierten Katholiken in der CDU gegründet. Inzwischen gilt die lose Gruppe als zerstritten, was Lohmann jedoch verneint. Stattdessen gibt er sich weiter angriffslustig. „Bei allen Erfolgen, die unsere Parteivorsitzende als kluge und machtbewusste Kanzlerin hat, täte uns es gut, auch an die Nach-Merkel-Zeit zu denken. Denn diese Zeit wird kommen. Das C im Parteinamen ist keineswegs eine Einladung zur Unverbindlichkeit, sondern ein Auftrag zur Verlässlichkeit, und die muss wieder erkennbar werden“, sagt der Publizist. Lohmann will das katholische Profil nicht nur programmatisch, sondern auch personell wieder stärken.
Was er nicht erwähnt: Ob Scheidungsrecht, Adoption, Homoehe oder Präimplantationsdiagnostik – in vielen moralischen und ethischen Fragen vertritt die katholische Kirche längst nicht mehr den gesellschaftlichen Trend.

Gefahr aus Karlsruhe

Der Status quo ist immer mehr in Gefahr. Auch die sichere Burg der Kirchen, ihre Sonderstellung im Grundgesetz, ist nicht mehr unangreifbar. Lange galt: Verloren die Kirchen bei Themen wie Abtreibung in der Gesellschaft an Boden, bot das Grundgesetz sichere Zuflucht. Dessen Status ist in Deutschland fast sakrosankt. Seine Hüter, die Bundesverfassungsrichter, genießen eine Akzeptanz bei den Deutschen, von der die Bischöfe nur träumen können.
Früher hoben die Juristen die kirchenfreundlichen Prinzipien des Verfassungsrechts hervor. „Seit einigen Jahren gibt es aber die Tendenz, bei Urteilen das Neutralitätsgebot des Staates zu betonen“, so Rolf Schieder, Theologie-Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Die Großkirchen haben reagiert. Sie lobbyieren einfach direkt beim Bundesverfassungsgericht. Ein Lobbybüro vergleichbar dem „Karlsruher Foyer Kirche und Recht“, das die Kirchen gemeinsam betreiben, hat noch nicht mal ein großer Wirtschaftsverband wie der BDI.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Im Auftrag des Herrn – wie die Kirche ihre Macht wahrt. Das Heft können Sie hier bestellen.