„Gewählt wird ein Image“

p&k: Herr Beerfeltz, noch beim letzten Bundesparteitag der FDP prangte groß das Motto über dem Podium: „Mehr Netto für alle“. Werden wir im Bundestagswahlkampf auch neue Botschaften von Ihnen hören?
Hans-Jürgen Beerfeltz: Mit diesem Slogan gehen wir ja auf die größten Sorgen und die größten Enttäuschungen der Menschen in diesem Land ein, die sich ja zu Recht von Schwarz-Rot abgezockt fühlen. Und wenn das weiterhin das zentrale Thema ist, dann wird sich eine Kampagne der FDP auch weiterhin um die Senkung von Steuern und Abgaben drehen müssen.

Ebenfalls auf dem Parteitag hat Herr Brüderle gesagt, dass es Freiheitsberaubung sei, wenn die Leute im Stau stehen müssen. Vor acht Jahren hat er das auch schon gesagt, bei der Haushaltsdebatte im Bundestag …
Brüderle bleibt auch bei anderen wichtigen Themen bei den notwendigen Kernaussagen. Kommunikativ nennt man das Penetration, die Amerikaner nennen es „stay on message“. Aus Sicht eines Kampagnen-Profis ist das überhaupt nicht zu kritisieren, wenn jemand geradlinig bei seinen Botschaften bleibt. Denn dann steht er auch zu einem Thema und zeigt klar seine Haltung dazu. Dahinter steckt aber nicht nur eine kommunikative, sondern auch eine politische Dimension. Wenn ein Thema acht Jahre lang eine Relevanz hat, dann zeigt das nur, dass in diesen acht Jahren in unserem Land nicht genug passiert ist.

Aber wird das Thema „Freiheit“ nicht ein bisschen reduziert, wenn man bloß sagt: „Wir wollen weniger Steuern und nicht im Stau stehen?“
Für das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Staat sind Steuern, Verbote und Reglementierung das Barometer für Freiheit. Daran kann man am ehesten sehen, ob wir uns in einer freien und liberalen Gesellschaft befinden – oder ob es eben so eine sozialistische Denke gibt, nach der die Gerechtigkeitslücke erst dann geschlossen ist, wenn unser gesamtes Geld über den Staat umverteilt wird.

Wo spielt denn Freiheit für Sie sonst noch eine Rolle – abgesehen vom Geldbeutel?
Ich halte es für einen Denkfehler zu meinen, Freiheit im Bereich Wirtschaft sei etwas anderes als Freiheit im Bereich von gesellschaftlichen Grundwerten. Das gilt auch für die Beziehung von Freiheit und Sicherheit, die sich zunehmend gegenseitig bedingen. Beides wird auch zu einer persönlichen Angelegenheit. Jeder wird seine Freiheit und seine Sicherheit definieren und individuell leben wollen.  Denken Sie hierbei nur mal an das Thema Datenschutz – da geht es exakt um diese individuelle Beziehung von Freiheit und Sicherheit.

Beim Datenschutz haben Sie durchaus Berührungspunkte mit den Grünen.
Ja selbstverständlich, wir haben eine Menge Berührungspunkte mit anderen Parteien und zugleich eine hohe Eigenständigkeit gegenüber allen anderen.

Vielleicht ist die Schnittmenge so groß, dass man über eine Ampelkoalition nachdenken könnte?
Ich rede nicht über Koalitionen. Unsere schönste Versuchung bleibt unser Programm. Aber ich rede gern über Glaubwürdigkeit: Was vor der Wahl gesagt wird, muss eingehalten werden. Deshalb sitzen wir nicht in der jetzigen Regierung – die Ampel hätten wir mit Herrn Schröder ja machen können. Deshalb sitzen wir auch in Hessen nicht in der Regierung – weil wir Wort halten.

Sie waren im August beim Parteitag der Demokraten in den USA. Was haben Sie sich da abgeguckt?
Da lernt man unglaublich viel, was die Schnelligkeit der Übersetzung einer Botschaft quer durch alle Medien angeht. Die Amerikaner sind in der Lage, ihre Botschaften extrem stark zu fokussieren und zugleich eine populäre „souveräne Unschärfe“ zu erreichen.

Diese souveräne Unschärfe hat die Bundeskanzlerin bereits verinnerlicht …  
… Die hat eher eine unscharfe Souveränität! (lacht). Aber was heißt denn genau „Yes, we can“? Das können Sie sich auch morgens beim Rasieren selber in den Spiegel zurufen. Das wirkt inhaltsschwer, ist aber nicht besonders bedeutungsschwanger. Und auch an einem anderen Punkt sind die Amerikaner weiter: Sie wissen, dass nicht unbedingt ein Programm gewählt wird, so schade das für uns ist. Es wird eine Stimmung gewählt, ein bestimmtes Image. Sie sind viel dichter dran am limbischen System der Leute. Sie sind in der Maslowschen Bedürfnispyramide ganz unten, wo es um die körperlichen Existenzbedürfnisse, also um die Grundbedürfnisse der Leute geht. Wer sich die Erkenntnisse der Neurobiologie nicht ganz genau anschaut, hat heute bei der Werbung schon verloren.

Die Wahlkämpfer in den USA haben es leicht zu polarisieren, da es dort ein Zweiparteiensystem gibt. In Deutschland sind derzeit viele Koalitionen denkbar – wie wollen Sie Ihr Profil schärfen, wenn Sie stets Rücksicht auf potenzielle Partner nehmen müssen?
Wir werden auf jeden Fall bei den Menschen für eine klare Zweierkonstellation mit Schwarz-Gelb werben und kämpfen. Und angesichts des ganzen Medienboheis in Hessen ist untergegangen, dass am gleichen Tag eine Wahl stattgefunden hat, die auch zu einem Fünf-Parteien-Parlament geführt hat – in Niedersachsen. Und da gibt es mit Wulff und Rösler eine stabile Zweierkoalition. Wir halten das auch im Bund für gut erreichbar.

Wird Ihr Wahlkampf internetbasiert sein?
Ja, das muss sein, wenn Politik nicht so propagandistisch, so von der Kanzel herab daherkommen soll. Der moderne Wahlkampf funktioniert bottom-up und nicht top-down. Sie müssen also Netzwerke schaffen, in denen viele Leute miteinander in Kontakt stehen. Sie füttern eigentlich nur hinein, was es auch tatsächlich an Informationsbedürfnis gibt. Man spammt die Leute also nicht wahllos zu, sondern befriedigt vielmehr ihre individuellen Informationswünsche.

Wird Herr Westerwelle twittern?
Das kann durchaus sein, weil wir jetzt gerade damit experimentieren. Es ist aber ein kurzatmiges Format: Man kann eigentlich nur etwas mitteilen, das vielleicht Appetit auf genauere und gründlichere Informationen macht. Hubi Heil hat in Denver mehr darauf gesetzt, darüber zu informieren, was er isst oder trinkt oder was er sich für neue Klamotten gekauft hat. Wir haben es eben, glaube ich, ein bisschen sachorientierter gemacht.

Sie wollen mit Hans van Baalen kooperieren, dem Campaigning-Experten der holländischen Liberalen. Der hat geholfen, diese auf über 25 Prozent zu bringen. Was lernt man von ihm?
Zum Beispiel bessere Fokussierung, zum Beispiel Emotionalisierung von Botschaften. Die amerikanischen Campaigner, die machen das, was Umfragen angeht, genau umgedreht wie wir. Die stellen sich einen einzelnen Menschen vor, nennen wir ihn Axel Miller. Sie fragen sich: „What is Axel Miller thinking about it?“ Die definieren das quasi vom „Kunden“ her. Und wir haben hier zu oft irgendwelche verkopften, intellektuellen, meisterhaft formulierten Botschaften, vielleicht noch so geheime Wortspiele drin. Und damit soll man dann genau Axel Miller erreichen? Ich vermute mal, dass selbst die Agenturleute mittlerweile nicht mehr glauben, dass das so funktioniert. Vielmehr muss es gelingen, wirklich dicht an den Menschen und seine Bedürfnisse heranzukommen. Und das passt dann klasse zu einer FDP, die ja auch weltanschaulich auf den einzelnen Menschen setzt.

Sie wollen den Bundestagswahlkampf ohne feste Agentur bestreiten. Gehört das zu diesem Konzept, direkter ranzukommen?
Ja, auch das ist alles immer ein Stück Übereinstimmung von Form und Inhalt. Es passt dann auch nicht dazu, dass man Politik wie eine Ware behandelt und Käufer dafür sucht. Man muss versuchen, einen Prozess zu organisieren, bei dem wir die fachliche Kompetenz vieler nutzen und vielen Menschen eine Mitwirkungsmöglichkeit geben. Viele Kreative laufen uns ja von alleine zu, weil die sich noch mehr als andere über die Bürokratie ärgern und die Nase voll haben von einem Land des Stillstands. Auch in den deutschen Topagenturen gibt es viele, die sagen: Wir wollen euch nächstes Jahr unterstützen.

Wer genau?
Das sage ich natürlich nicht. Jedenfalls nicht jetzt. Aber Sie können davon ausgehen, dass darunter vier, fünf der wichtigsten Agenturen in Deutschland sind. Das ist natürlich nicht gegen jemanden gerichtet. Sie wissen, dass wir mit Weigert Pirouz Wolf zusammenarbeiten, die dabei ihre Rolle spielen. Das ist auch nicht gegen von Mannstein gerichtet, der den Europawahlkampf für uns betreut und danach nicht die Griffel fallen lassen muss. Es ist nur so, dass wir alles nutzen möchten, was an kreativem Potential freiwillig zur Verfügung steht. Seit zwei Jahren arbeiten wir ja schon mit einem Marketingbeirat, wo viele Top-Profis drin sind. Und deren Unterstützung der Kampagne ist zugleich Teil der Kampagne, ganz im Sinne von „voters generated campaigning“.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe 27 – Sonntag. Das Heft können Sie hier bestellen.