p&k: Frau Lemke, die Kanzlerin hat beim G8-Gipfel das Klima gerettet, die FDP ist beim Datenschutz ganz weit vorne. Wofür braucht man die Grünen eigentlich noch?
Steffi Lemke: Die Realität sieht ein bisschen anders aus als das, was Frau Merkel als Klimagipfel-Hüpferin präsentiert. Die Bundesregierung hat nach langem Hin und Her einen faulen Kompromiss in der Klimaschutzpolitik geschlossen, der deutlich hinter den ursprünglichen Ankündigungen und auch klimapolitischen Notwendigkeiten zurückbleibt. Die auf Betreiben der Bundesregierung in Brüssel weichgespülten Vorgaben für die Automobilindustrie beim Emissionshandel haben nichts mit dem Image zu tun, mit dem sich die Kanzlerin auf den roten Teppichen international präsentiert hat. Und ich setze darauf, dass sich im Wahlkampf diese Fakten gegen ein unsolides Image durchsetzen.
Und was die FDP betrifft: Wer hat denn das erste Gesetz zu Online-Durchsuchungen gemacht, das vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig verworfen wurde? Der FDP-Innenminister aus Nordrhein-Westfalen.
Die Grünen hatten ja immer ein klares Alleinstellungsmerkmal, der Name war Programm: Sie sind die Partei für den Umweltschutz. Mittlerweile betätigt sich auch die politische Konkurrenz auf diesem Feld. Wie holen Sie sich das zurück?
Ich muss mir gar nichts zurückholen. Im letzten Bundestagswahlkampf haben uns in der Klima- und Ökologiefrage noch alle Parteien unisono bekämpft. Sie dürfen nicht vergessen, dass der Vorwurf der Feldhamster- und Mopsfledermauspartei gerade mal drei Jahre zurückliegt. Die anderen Parteien fangen jetzt endlich an, sich der Klimapolitik anzunehmen – ich sage nicht „leider“, sondern „endlich“. Wir werden also 2009 erstmals keinen Abwehrwahlkampf führen müssen, sondern das Klimathema steht im Zentrum der gesellschaftlichen Debatte, jetzt müssen sich alle Parteien dieses Themas annehmen. Das gibt uns Rückenwind.
Rückenwind von den anderen Parteien?
Ja. Die Wahlauswertungen der jüngsten Landtagswahlen zeigen, dass bei keiner anderen Partei als den Grünen die Klima- oder Ökologiefrage relevant für die Wahlentscheidung der Wähler war. Bei den anderen Parteien waren andere Themen ausschlaggebend. Eine kleine Anekdote aus dem Hamburger Wahlkampf: Ole von Beust hatte ursprünglich einen großen Klimagipfel geplant – bis ihm seine Wahlstrategen gesagt haben: Lass’ da mal die Finger von, das ist nur gut für die Grünen. Der Gipfel wurde abgesagt, und es wurde ein Familiengipfel daraus gemacht. Das zeigt, wie Kampagnen vorbereitet werden, und deshalb sage ich: Die Tatsache, dass alle positiv über das grüne Kernthema reden, stärkt uns.
Wie bereiten Sie sich auf den Wahlkampf vor? Sie haben jetzt relativ kurz mit M&C Saatchi gearbeitet, davor lange mit Zum goldenen Hirschen. Mit welcher Agentur machen Sie Wahlkampf?
Der Entscheidungsprozess wird Anfang Oktober abgeschlossen sein. Dann werden wir die Agentur, die den Bundestagswahlkampf und den Europawahlkampf begleiten wird, engagiert haben. Ansonsten stehen die Programmdebatten, der Aufbau der Infrastruktur, Fundraisingaktivitäten und Vorfeldkampagnen im Mittelpunkt.
Im Jahr 2005 haben Sie ein Pfund gehabt, mit dem Sie wuchern konnten: den populären Joschka Fischer. Einen solchen Politstar haben Sie jetzt nicht. Wie wollen Sie das kompensieren?
Joschka Fischer ist ein Medienmagnet gewesen, was aber auch damit zusammen hing, dass wir zum damaligen Zeitpunkt Regierungspartei waren und er Außenminister. Die mediale Sichtweise auf die Grünen hat sich seitdem grundlegend verändert, weil wir jetzt in der Opposition sind. Alle drei kleinen Parteien sind damit konfrontiert, dass sie in den Medien schwer durchdringen.
Das hängt auch mit dem merkwürdigen Schauspiel zusammen, dass die Große Koalition tagtäglich liefert: Zwischen erbittertem Kampf gegeneinander und der fröhlichen Betonung schöner Harmonie in der Regierung. Allerdings gibt es auch ein abnehmendes Interesse der Medien, über dieses Trauerspiel immer wieder aufs Neue zu berichten. Wir werden in diesem Wahlkampf neben einer klassischen Medienstrategie auf den Ausbau der direkten Kommunikation und auch Interaktion setzen. Wir kommen aus einer Graswurzelbewegung und werden diesen Gründungsimpuls – wir feiern im nächsten Jahr den 30. Geburtstag – in einen modernen Grassroots-Wahlkampf einbetten. Außerdem haben wir mit Renate Künast und Jürgen Trittin zwei starke designierte Spitzenkandidaten, die sich dafür auf unserem Parteitag in Erfurt zur Wahl stellen.
Aber die Grünen sind ja mittlerweile eine etablierte Partei und keine Bewegung wie vor 30 Jahren mehr. Wie bekommen Sie die Leute dazu, bei Ihnen mitzumachen?
Die Klimafrage, der Einsatz für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, gegen die Gentechnik im Essen, gegen einen Überwachungsstaat oder der Kampf gegen Rechtsextremismus sind nach wie vor Bewegungsthemen. Das sind keine Themen, die ausschließlich in Parteien oder in Regierungen abgehandelt werden. Es gibt nach wie vor ein sehr aktives Umfeld, das sich allerdings verändert hat. Es ist projektorientierter als früher. Aber dieses Umfeld ist hochpolitisch, es ist aktiv und es ist mobilisierungsfähig. Es gibt zudem über das Internet deutlich erweiterte Aktionsmöglichkeiten. Wir haben die jüngste und mit Abstand die internetaffinste Mitgliedschaft aller Parteien. Das werden wir im Wahlkampf zur Mobilisierung der Mitglieder und vieler Tausend Unterstützer nutzen. Wir haben beispielsweise mit dem „Camp Netzbegrünung“ begonnen, in der Blogosphäre und in den Internet-Communitys einen Unterstützerkreis für den grünen Wahlkampf aufzubauen.
Um die Basis zu mobilisieren, muss man ja auch polarisieren. Was haben Sie sich denn da schon für Themen ausgeschaut?
Die Union hat uns das erste ganz gratis frei Haus geliefert. Die Kampfansage, den Bundestagswahlkampf 2009 auch um das Thema Atomenergie zu führen, ist eine, die für uns einen hohen Mobilisierungseffekt hat.
Fritz Kuhn hat gesagt: „Jamaika auf Bundesebene – nicht mit uns.“ Andererseits hätten Sie eine komfortable Ausgangsposition, was die Bündnisoptionen angeht. Denn jeder will gerne mit den Grünen, wenn es zu einer Dreierkonstellation kommt. Verbaut man sich das, wenn man zu sehr polarisiert?
Wir setzen auf einen klaren Kurs. Grün und eigenständig. Die Union ist es, die polarisiert und spaltet, indem sie den gesetzlich verbrieften und von Atomkonzernen mit beschlossenen Atomausstieg rückgängig machen will.
Klar ist doch für uns alle: Im veränderten Fünfparteiensystem gilt nicht mehr einfach die alte Lagerlogik. Nach der Bundestagswahl wird wahrscheinlich nur eine Dreierkoalition oder wieder eine Große Koalition möglich sein. Die Große Koalition ist allerdings in den Augen der Wählerinnen und Wähler binnen drei Jahren von einer hoffnungsbeladenen Koalition zu einer Katastrophenkoalition geworden. Wir werden deshalb klar machen, was die grünen Ziele sind. Und diese Ziele wollen wir konkret umsetzen. Wenn wir sehen, dass das machbar ist, werden wir uns auch einer Ampelkoalition nicht verweigern.
Was wäre denn für die Grünen die Schicksalsfrage, an der eine Koalition immer scheitern müsste? Ist das die Atomkraft?
Ich wäre nicht klug beraten, wenn ich jetzt sagen würde, das sind die drei Knackpunkte für potenzielle Koalitionsverhandlungen. Ich kann aber ganz klar sagen, für welche grünen Inhalte wir im Wahlkampf kämpfen und wofür wir stehen: Das ist der Klima- und Naturschutz, dazu gehört der Atomausstieg, dazu gehört eine echte Wende in der Energiepolitik, der Ausbau erneuerbarer Energien, die Steigerung der Energieeffizienz und der Energieeinsparung, der Stopp beim Neubau von Kohlekraftwerken. Dazu gehört die Verteidigung der Bürgerrechte, auch gegen die Überwachungsfantasien von Schäuble und anderen. Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit, endlich einen Mindestlohn – und gute Bildung darf nicht länger vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein.
Woher weiß der Wähler denn dann, was er bekommt, wenn er grün wählt? Das müssen Sie vor der Wahl doch mal klar sagen.
Da haben sie Recht, aber wer weiß denn, was er kriegt, wenn er eine Große Koalition wählt? Wir können sagen, was man kriegt, wenn man grün wählt. Wir werden den Wählern klare Projekte benennen, die wir auf jeden Fall in einer Koalition umsetzen werden. Klare grüne Inhalte sind mir wichtiger als diffuse Farbspielchen. Ob wir das mit einer Koalitionsaussage verbinden, werden wir erst im Frühjahr entscheiden.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe 27 – Sonntag. Das Heft können Sie hier bestellen.