Die "First Lady der Welt"

International

Geistergeschichten leben lang in Washington. Auch „Elea­norgate“. Der Enthüllungsjournalist Bob Woodward gab 1996 Kunde von bizarren Séancen im Weißen Haus, die First Lady Hillary Clinton mit dem Geist der Vorgängerin Eleanor Roosevelt zelebrierte. Nichts Okkultes, nur ein begleitetes Brainstorming sei das gewesen, so Clinton. 20 Jahre später ist ihre Seelenreise ins Jenseits immer noch ein Running Gag, den Hillary mit Eleanor-Zitaten kontert wie: „Jede Frau im öffentlichen Leben muss eine Haut haben, die so dick ist wie ein Nashornpanzer.“

Die verklärte Grande Dame der Demokraten Eleanor, 1933 bis 1945 das „soziale Gewissen“ des New-Deal-Präsidenten Franklin Roosevelt, rang 1948 als Diplomatin den Russen die UN-Menschenrechtscharta ab. Die „First Lady der Welt“ bekniete man, Senatorin ihrer Heimat New York zu werden oder gar ums Oval Office ins Rennen zu gehen.

1935 schrieb der Präsidentenmacher Louis Howe in einem Magazin: „Schreiten Frauen im selben Tempo wie im letzten Jahrzehnt fort, in Politik- und Staatsämtern ihr Können zu zeigen, wird im nächsten Jahrzehnt nicht nur die Möglichkeit, sondern die Ratsamkeit, eine Präsidentin zu wählen, sehr ernsthaft diskutiert werden. Prägen wie bisher Soziales und Bildung die Debatten, ist nicht unmöglich, dass eine Frau gewählt wird. Frauen verstehen davon mehr.“

Klar, wen Howe im Auge hatte. Er ging (wie alle vor dem Krieg) davon aus, sein Chef trete nur einmal zur Wiederwahl an. Er drängte: „Eleanor, wenn du 1940 Präsidentin werden willst, sag’s mir jetzt. Ich sorge für alles.“ Sie meinte, die Zeit sei nicht reif. „Er wollte mich immer zur Präsidentin ‚machen‘, wenn Franklin durch ist, und beharrte, er könne es.“ Aber 1937 fragte das Gallup-Institut: „Würden Sie bei einer Präsidentschaftswahl für eine Frau stimmen?“ Nur 33 Prozent sagten Ja.

Spielen wie Männer

Als neue First Lady litt Eleanor wie ein Hund unter dem Gedanken, als Dekoartikel zu enden. Sie hatte Franklins Wahlsieg mitgemanagt, als Soziallobbyistin gewirkt, als Gewerkschafterin und Frauenrechtlerin. Die Tochter eines New Yorker Patrizierclans hatte sich durch Sozial- und Schularbeit in den Slums politisiert. Früh kam sie durch die Ehe mit dem Polit-Yuppie Franklin, ihrem Vetter, nach Wa­shington. Als er 1921 an Polio erkrankte, diente sie ihm im Rollstuhl als „Augen, Ohren und Beine“. Louis Howe führte sie in der Partei ein. Er coachte die schrille und ungelenke Eleanor bei Saalreden und Interviews. Er bugsierte sie ins Rampenlicht und in die Hinterzimmer.

„Zeige niemals, dass du Angst hast“, hatte Ex-Präsident Teddy Roosevelt der Lieblingsnichte eingeimpft. In Macht- und Pres­tigekämpfen mit Männern kniff sie nicht, aber verzweifelte fast am Amateurstil der Partei­frauen. 1928 ventilierte sie ihren Frust in einem Artikel: Im Einfluss- und Postenpoker stellten Männer Frauen kalt, da sie um der guten Sache willen Fleißarbeit erledigten, die Männer langweilte, und sich mit Ehren- und Nebenjobs ohne Salär abspeisen ließen. Politik sei eine materielle Welt: Mit wolkigen Idealen und als hübsches Hobby sei das „harte Spiel“ nie zu gewinnen. Ihre Ansage: „Boss werden“, „Frauen-Bosse stützen“, „Spielen wie die Männer“.

Indes war Franklin das größere Talent, sie helfende Gattin. Nie hätte Franklin wie Bill Clinton 1992 lustig geworben: „Kauf einen, kriegst du zwei!“ Bis Eleanor kam, hatte eine First Lady still im Schatten zu stehen. Nun wurde sie die erste, die zu Parteitagen sprach. Die erste, die einen Redenmarathon mit 1.400 Ansprachen lief. Franklins edle Rhetorik bot sie nicht, die Säle waren dennoch voll. Sie war die erste First Lady, die als Fachexpertin vor Kongressausschüsse trat. Die erste, die eine Zeitungskolumne füllte, jede Woche sechsmal. Keine Edelfeder, traf sie mit „My Day“ doch den Geschmack. „Es war wie ein Blog“, so Medienhistorikerin Maurine Beasley. „Profis belächelten sie, aber sie hatte viele Leser, weil sie gewöhnliche Leute im lockeren Plauderton ansprach.“ (Clinton eiferte ihr 1995 bis 2000 mit „Talking It Over“ nach.)

Die journalistische Kleinform mit Millionenauflage war auch „eine Art Newsletter für Frauen in der Politik“. Sie war die erste First Lady mit Radioshows. Am Tag von Pearl Harbor war ihr Talk „Auf eine Tasse Kaffee“ auf Sendung, Eleanor die erste Regierungsstimme, die live zum Kriegseintritt sprach. Im Mediengeschäft kassierte Eleanor viel Geld. Eiscreme-, Matratzen- und Kaffee-Marken sponserten sie. Skandal, schrie die Opposition. Sie giftete: Den Großteil spende sie, und jede Ehefrau habe das Recht, eigenes Geld zu verdienen. Die Frauen verstanden.

Als erste First Lady hielt sie Pressekonferenzen ab, fast 350. Strikt ließ sie nur Frauen zu, um deren Prestige im Washingtoner Pressekorps zu heben. Die Damen dankten mit Sympathie. „Frau Roosevelts willige Sklavinnen“, ätzten Kollegen, „Weihrauchtöpfe“. Wahr ist: Sie schützten ihre Quelle gut („Das sollte besser Hintergrund bleiben, Frau Roosevelt!“ – „Ach, wenn Sie meinen.“). Franklins Pressechef war stets nervös, Eleanor könne Bomben platzen lassen. Aber er setzte sie für Testballons und als Flankenschutz für strittige Wirtschafts- und Sozialpakete des New Deal ein. Sie wusste sie menschelnd-moralisch zu erklären. Franklin war präsidialer Show-Act, sie die tantenhafte Volkspädagogin. „Bei der Pressekonferenz des Präsidenten ist die ganze Welt eine Bühne, bei Frau Roosevelt ein Klassenzimme“, fand AP-Journalistin Bess Furman.

Fast nonstop war Eleanor von Küste zu Küste unterwegs, um New-Deal­-Projekte zu prüfen und Publicity zu schaffen. Scheinbar überall tauchte die 1,80-Meter-Frau auf und belebte mit munteren Aktionseinlagen die Wochenschauen. Bewusst zog sie Frauen, Arbeiter, Schwarze mit ins Bild. Sie zerrte ebenso hässliche Seiten vor die Kameras: verwahrloste Ghettos, gefährliche Fabriken, unfruchtbare Felder, ungesunde Kliniken. Sie trat Verantwortlichen öffentlich auf die Füße, machte aber mit Wir-schaffen-das-Haltung Mut zur Selbsthilfe; und, ging es um Diskriminierung, zum Widerstand. Das FBI setzte Kommunistenjäger auf Eleanor an.

Die Bürgerrechtlerin

Eleanors „dröhnendes Schweigen“ (Blanche Cook) in brisanten Fragen wich erst, als sie den amtlichen Maulkorb abriss. Als 1938 die „Kris­tallnacht“ klirrte, forderte sie entgegen der Regierungslinie, die Grenzen für jüdische Flüchtlinge aus Europa zu öffnen. Sie wurde zur Zielscheibe für Hitlers Propaganda. Mit anfangs diskreten Goodwill-Aktionen half sie der aufkeimenden Bürgerrechtsbewegung, lud schwarze Künstler und Reformer ins Weiße Haus. Später griff sie die Rassentrennung auf allen Kanälen direkt an, obwohl Franklin den Block weißer Südstaatler im Kongress pflegte. Für diese war sie eine Demagogin, die „Neger“ aufhetzte.

Der weiße Süden raunte, sie lenke in „Eleanor Clubs“ Dienstbotenaufstände und „Eleanor-Dienstage“, an denen weiße Frauen auf der Straße angerempelt würden. Nach Rassenunruhen in Detroit rief die Presse: „Blut klebt an ihren Händen, Frau Roosevelt.“ Sie säte Sturm, als sie Segregation mit der Nazi-Rassenpolitik gleichsetzte. Die USA führten Krieg im Namen der Freiheit, doch „niemand kann behaupten, Amerikas Neger seien frei“.

Der Einsatz für Bürgerrechte (und die Uno) war ihr nach 1945 näher als alle Wahlämter, die man ihr bot. Keiner aber sollte glauben, ihr fehle der Mumm. Als sie im Magazin „Look“ 1946 erklärte, „Wieso ich nicht kandidiere“, schrieb sie: „Ich hätte jeder Attacke getrotzt und dabei weniger gelitten als andere.“ In den 1950ern wurde sie das weiße VIP-Gesicht der Boykotte und Proteste rund um Martin Luther King. 1958 versprach der Ku-Klux-Klan 25.000 Dollar Kopfgeld für die 74-Jährige. Sie fuhr nun mit griffbereitem Revolver übers Land, um zum zivilen Ungehorsam aufzurufen. Eleanor Roosevelts gluckenhafte Gutmensch-Aura verbarg: „Sie war hart wie Nägel“, sagt ihr Biograf Geoff Ward, „unter den Politikern des 20. Jahrhunderts eine der besten“.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation III/2016 US-Wahl/International. Das Heft können Sie hier bestellen.