„Die Blogosphäre ist unerbittlich“

p&k: Herr Senay, am 28. August haben die US-Demokraten Barack Obama zu ihrem  Präsidentschaftskandidaten gewählt. Was war sein Erfolgsrezept bei den Vorwahlen?
Senay: Obama verkörpert ein Wertesystem, das der aktuellen amerikanischen Hoffnung auf Veränderung, aber auch dem drängenden Wunsch nach einem neuen amerikanischen Selbstbewusstsein, entgegenkommt. Ganz entscheidend ist das Wir-Gefühl, das er den jüngeren Wählern gibt. Mit seinen 47 Jahren gehört er selbst noch zur Generation derer, die sich als die amerikanische Zukunft verstehen, und in deren Augen John McCain und George W. Bush eine Zeit und eine Politik verkörpern, die es zu überwinden gilt.

Obamas Visionen müssen auch Taten folgen. Wie will er die Wähler im November erreichen?
Die Wahlbeteiligung in den USA ist bekanntermaßen nicht sehr hoch. Jede Entscheidung hängt wesentlich von der Frage der Mobilisierung ab. Obama setzt dabei vor allem auf das Internet. Allein im Vorwahlkampf haben anderthalb Millionen Menschen seine Kampagne durch das Internet mit einer durchschnittlichen Spende von rund 200 US-Dollar unterstützt. Das sagt viel über die Gruppe aus, die er auf diesem Weg erreicht: Es sind junge Menschen, auch einfachere Bildungsschichten, vor allem aber Hunderttausende, die sich nie zuvor aktiv um Politik gekümmert haben.

Bei den Demokraten haben die Vorwahlen über 17 Monate gedauert. Wie kann Obama wahlkampfmüde Anhänger motivieren?
Amerika erlebt zurzeit eine Form der politischen Debatten und des politischen Engagements quer durch alle Gesellschafts-, Bildungs- und Altersschichten. Die Unzufriedenheit mit bestimmten politischen Entscheidungen der zurückliegenden Jahre ist ein Grund dafür. Ein anderer liegt in der Person von Obama. Nie zuvor haben so viele Demokraten an Vorwahlen teilgenommen. Hillary Clinton und Barack Obama haben zusammen rund 36 Millionen Wähler mobilisiert, ein riesiges Potenzial für die Präsidentschaftswahlen.

Fleishman-Hillard unterstützt im amerikanischen Wahlkampf sowohl Obama als auch McCain. Wie passt das zusammen?
Public Affairs ist mittlerweile zum wichtigsten Geschäftsbereich von Fleishman-Hillard geworden. In den USA gehören mehrere Public-Affairs-Firmen zum Fleishman-Hillard-Mutterkonzern. Insgesamt beträgt der Public-Affairs-Anteil rund ein Viertel unseres Gesamtumsatzes. Eine Fleishman-Hillard-Tochter, GMMB, berät seit langer Zeit die Demokraten und verantwortet wesentliche Teile der Zielgruppenansprache sowie der strategischen Nachrichten innerhalb der Obama-Kampagne. Eine andere, Mercury, berät die Republikaner. Wenn ich also gefragt werde, wer die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnen wird, antworte ich: Fleishman-Hillard.

Wie sieht Obamas Strategie bis zu den Präsidentschaftswahlen aus?
Obama muss weiter auf sein Netzwerk aus jungen Menschen bauen. Vor allem sie hat er bislang mit seinen Botschaften und seiner Persönlichkeit erreicht. Mit ihnen konnte er Hillary Clinton besiegen, mit ihnen konnte er John McCain in die Defensive bringen. Allerdings wird er noch viele Schlachten überstehen und gegen manches Gerücht ankämpfen müssen. Und Obama muss sich über eines im Klaren sein: Es wird immer US-Amerikaner geben, die er nie überzeugen wird.

Auch 2004 spielten das Internet und die Mobilisierung junger Menschen eine große Rolle. Was ist in diesem Jahr anders?
Es war damals vor allem Howard Dean, einer der Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, der auf die Ansprache seiner potenziellen Wähler durch das Internet gesetzt hat. Auch wenn Dean mit seiner Kandidatur nicht erfolgreich war, hat er damals ein neues Kapitel der politischen Kampagnenführung aufgeschlagen. Aber das Internet hat sich seit 2004 stark verändert. Facebook, Myspace und Youtube gab es damals erst seit kurzer Zeit oder noch gar nicht. Blogger waren noch nicht so einflussreich wie heute. Und auch die Nutzung des Internets als Hauptinformationsquelle für politische Neuigkeiten war noch nicht so ausgeprägt. Obama hat diese neuen Strukturen erkannt – und setzt auf sie. Zweifellos gehen seine Onlinestrategen dabei erheblich geschickter mit dem neuen Medium um als die von McCain.

Ein Großteil der Kommunikation in Politik und Wirtschaft findet mittlerweile in der Blogosphäre statt. Welche Rolle wird sie in Zukunft spielen?
Blogger werden eine immer größere Rolle spielen. Es ist unmöglich, den Geist wieder in die Flasche zu stecken. Beim Bloggen geht es vor allem um den Aspekt des Netzwerks. Ein Blogger spricht nicht nur für sich, er steht inmitten einer dynamischen Gruppe. Blogger sind gnadenlos direkt – und schnell. Das ist die neue Herausforderung für Politiker und Parteien. Sie müssen verstehen lernen, wie ein Blogger tickt, was ihn antreibt und welche Nachrichten für ihn von Interesse sind. Und vor allem müssen sie Blogging als wichtigen Teil der Meinungsbildung respektieren. Dabei ist klar: Die Blogosphäre ist unerbittlich. Der wichtigste Grundsatz für einen Politiker im Umgang mit Bloggern sollte deshalb sein: Bewahre deine Glaubwürdigkeit und beschütze sie wie dein eigenes Leben.

Das Internet hat die Art, wie Politik gemacht wird, stark beschleunigt. Auch die Public-Affairs-Branche musste sich darauf einstellen. Was sind die deutlichsten Veränderungen?
Es gibt keinen Bereich des täglichen Lebens, der nicht direkt oder indirekt durch die Gesetzgebung beeinflusst wird. Gleichzeitig nimmt die weltweite Vernetzung der politischen Prozesse zu. Berlin wird von Brüssel beeinflusst, zugleich spielen immer mehr globale Faktoren bei der Entscheidungsfindung eine Rolle. Manche mögen das bedauern. Ich denke, dass in diesem weltweiten Austausch von Ideen und Argumenten eine große Chance liegt, wenn es darum geht, die Welt sicherer, gesünder und lebenswerter zu machen. Nur wer versteht, wie das Internet funktioniert, kann in diesem Prozess erfolgreich vermitteln.

Die Kommunikation im Internet spielt für politische Parteien in Deutschland noch immer keine große Rolle. Eine Gefahr für die Zukunft?
Da mag eine Zeitverzögerung im Spiel sein, aber ich bin sicher, dass schon der deutsche Wahlkampf im kommenden Jahr vieles von dem aufgreifen und weiterentwickeln wird, was in den USA in diesem Jahr eine Rolle spielt. Und anschließend wird vieles davon Eingang finden in die ganz alltäglichen Prozesse der Meinungsbildung. Was nicht heißt, dass Mundpropaganda keine Rolle mehr spielt. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Aber das Internet beschleunigt alles. Darauf müssen sich Parteien und Politiker einstellen.

Welchen Rat würden Sie Angela Merkel für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf geben?
Ich glaube nicht, dass Angela Merkel einen Rat von mir braucht. Fleishman-Hillard hat allerdings vor kurzer Zeit die Studie ‚Digital Influence Index‘ vorgelegt, die zeigt, wie sehr sich Menschen in Deutschland für Informationen aus dem Internet interessieren und wie stark sie sich bei Onlinenetzwerken wie StudiVZ, Facebook oder Myspace engagieren. Allein die Tatsache, dass Angela Merkel als erste Bundeskanzlerin überhaupt einen eigenen Podcast hat und diesen regelmäßig und eben nicht nur im Wahlkampf benutzt, zeigt doch, dass zumindest die Spitze der deutschen Politik verstanden hat, wie wichtig das Internet für den Dialog mit der Gesellschaft geworden ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe wir wollen rein – Bundestag 2009. Das Heft können Sie hier bestellen.