Eigentlich sollte es eine Reise des Dialogs werden. 18 Bundestagsabgeordnete, eine fraktionsübergreifende Delegation, bereit für den Austausch in Israel, organisiert von Carsten Ovens, dem Geschäftsführer des Berliner Büros von ELNET. Doch dann, am Vorabend der Abreise, brach die Realität des Nahen Ostens mit voller Wucht in die sorgfältigen Planungen ein: Der Iran griff Israel direkt an. Alle Flüge wurden gestrichen, die Reise abgesagt.
Anstelle von frischen Eindrücken aus Jerusalem spricht Carsten Ovens nun im politik&kommunikation-Podcast mit Chefredakteur Konrad Göke über die Hintergründe einer Krise, die er nicht nur als politischer Analyst, sondern auch persönlich miterlebt hat.
Ein Tag, der alles veränderte
Für Carsten Ovens war der 7. Oktober kein Ereignis, das er aus der Ferne beobachtete. Er war vor Ort, privat, mit seinem Vater. Was als morgendliche Laufrunde am Strand von Tel Aviv begann, endete im Raketenalarm. Später, bei Delegationsreisen in die verwüsteten Kibbutzim, sah er die Spuren des Massakers mit eigenen Augen. Diese Erfahrung prägte sein Verständnis für das, was folgte, und führte zu seinem Buch „Im Morgen Grauen“.
„Man muss verstehen, dass die Hamas und andere Terrororganisationen nicht nur den Staat Israel vernichten wollen. Sie greifen gezielt die Zivilgesellschaft an. Und das ist etwas, was wir in Deutschland, wo wir von Freunden umzingelt sind, nur schwer nachvollziehen können.“
Zwei Lehren aus einer Geschichte
Der Kern des Missverständnisses zwischen Europa und Israel, so argumentiert Ovens im Gespräch, liegt in zwei fundamental unterschiedlichen Lehren, die aus der Shoah gezogen wurden. Während in Deutschland das Credo „Nie wieder Krieg“ lautet, ist die israelische Konsequenz eine andere:
„Das jüdische Volk, der jüdische Staat Israel hat aus dem Zweiten Weltkrieg, aus der Shoah für sich mitgenommen: nie wieder, nie wieder wehrlos. Dieses Sicherheitsversprechen ist die Grundlage des Staates.“
Dieses Versprechen wurde am 7. Oktober gebrochen. Die daraus resultierende Entschlossenheit, die Bedrohung durch die Hamas endgültig zu beseitigen, sei für viele Israelis nicht verhandelbar – eine Haltung, die im europäischen Diskurs oft auf Unverständnis stößt.
Der Kampf um die Wahrheit
Ein zentrales Thema des Podcasts ist der Informationskrieg. Ovens schildert eindrücklich, wie die Hamas gezielt mit Falschinformationen arbeitet, um die internationale öffentliche Meinung zu beeinflussen. Als Beispiel nennt er die Falschmeldung über die Bombardierung eines Krankenhauses in Gaza:
„Das Gesundheitsministerium in Gaza, also sprich: die Propagandaabteilung der Hamas, konnte innerhalb von wenigen Minuten beziffern, dass es über 500 Tote sein müssen. […] Ein gut organisierter, technologisch bestens ausgestatteter Rechtsstaat wie Israel konnte Wochen später noch nicht genau sagen, wie viele Menschen am 7. Oktober ermordet wurden, weil man noch dabei war, Leichenteile zu sortieren.“
Diese Asymmetrie – eine Terrororganisation, die Lügen zur Waffe macht, gegen einen Rechtsstaat, der Zeit für Faktenprüfung braucht – führe dazu, dass die israelische Perspektive in der westlichen Öffentlichkeit oft untergehe. „Die Emotionen sind oft stärker als die Fakten“, sagt Ovens.
Ein Plan für den „Tag danach“?
Doch wie kann eine Zukunft für Gaza aussehen? Ovens zieht eine vorsichtige Parallele zur Entnazifizierung Deutschlands. Ein „Day-After-Szenario“ müsse eine tiefgreifende Deradikalisierung und ein neues Bildungssystem beinhalten, das auf ein Miteinander statt auf Hass setzt. Er betont, dass die meisten Israelis Frieden mit den Palästinensern wollen, diesen aber mit einer Terrororganisation wie der Hamas für unmöglich halten. Hier sieht er eine Rolle für die internationale Gemeinschaft, insbesondere für arabische Partner, aber auch für Europa und Deutschland.
Das vollständige Gespräch über die Herausforderungen des Dialogs, die israelische Sicherheitsdoktrin und die schwierige Suche nach einer friedlichen Zukunft hören Sie hier in der neuen Folge unseres Podcasts.