Desinformation gilt nun offiziell als “hybride Bedrohung“. So steht es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD vom 2. Oktober 2025. Irreführende Informationen, verbreitet durch fremde Staaten, mit dem Ziel, Vertrauen zu untergraben. Das klingt steril, beinahe technisch. In dieser Definition liegt der Kern der aktuellen Regierungslinie: Desinformation ist ein Angriff von außen. Sie kommt aus Moskau, Peking oder von Trollfarmen irgendwo zwischen St. Petersburg und Shenzhen.
Auch wenn es begrüßenswert ist, die Gefahr von Desinformation als solche zu benennen, ist dieser Fokus zugleich der blinde Fleck der Bundesregierung. Denn er blendet das aus, was Desinformation im Inneren längst angerichtet hat: ein strukturelles Misstrauen gegenüber Politik, Medien und Institutionen.
Wenn Desinformation nur von außen kommt
In der Bundestagsdrucksache 21/1970 schreibt die Regierung: „Die Bundesregierung fokussiert sich ausschließlich auf ausländische Einflussnahme.“ Für inländische Desinformation gebe es keine eigene Zuständigkeit und keinen Begriff. Das ist so bemerkenswert wie gefährlich. Denn die größten Polarisierungseffekte entstehen nicht nur durch russische Botnetzwerke, sondern durch ganz reale Stimmen im Inneren, die Fakten verzerren, Narrative zuspitzen oder schlicht die Grenze zwischen Meinung und Wahrheit verwischen.
Desinformation ist kein Importgut, kein Problem vor der Haustür anderer. Sie gedeiht bereits überall dort, wo Empörung gelingt: in Kommentarspalten, Talkshows, Telegram-Kanälen oder Parteitagen. Die Vorstellung, sie lasse sich geografisch verorten, mag bürokratisch nützlich sein, aber sie ignoriert den Mechanismus, der sie antreibt: Aufmerksamkeit.
Das Ringen um den Begriff
Die AfD nutzt diesen Mechanismus virtuos. In ihrer Anfrage unterstellt sie, die Regierung benutze den Kampf gegen Desinformation als „Vorwand“, um „unbequeme Meinungsäußerungen zu delegitimieren“. Damit verschiebt sie die Deutung: Aus dem Versuch, Wahrheit zu schützen, wird ein Angriff auf Meinungsfreiheit. Und genau diese rhetorische Verschiebung ist Teil der Strategie.
Die Bundesregierung wiederum reagiert juristisch: Sie verweist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach „bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen“ nicht
durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien. Das ist formal vielleicht korrekt, aber kommunikativ eindeutig zu wenig. Denn die Debatte um Desinformation ist längst keine juristische, sondern eine kulturelle. Es geht um Vertrauen, um Deutungshoheit, um das Verhältnis zwischen Bürger und Staat.
Der Vertrauensverlust als Sicherheitsrisiko
Indem die Regierung Desinformation vor allem als äußere Bedrohung behandelt, verkennt sie nämlich den inneren Schaden und macht es sich leicht. Misstrauen wird nicht importiert, es wächst von innen. Und zwar dort, wo Menschen das Gefühl haben, dass politische Kommunikation sie nicht mehr erreicht oder dass hinter jeder Botschaft ein doppelter Boden liegt.
Die wahre Gefahr liegt nicht in einem russischen Deepfake per sé, sondern in der Normalisierung des Zweifels. Wenn jede Korrektur als Zensur wahrgenommen wird und jeder Faktencheck als politisches Manöver, dann ist der gesellschaftliche Konsens längst verloren. Fakten dürfen sich nicht nach politischer Gesinnung ausrichten. Die Bundesregierung kann noch so viele Forschungsprogramme finanzieren, solange sie den inneren Resonanzraum der Desinformation ignoriert, bleibt sie reaktiv statt resilient.
In der Drucksache sind Dutzende Förderprojekte aufgeführt: „noFake“, „HybriD“, „VERITAS“, „IKIP“. Millionen Euro fließen in technologische Frühwarnsysteme, KI-Modelle und Erkennungssoftware. Doch die entscheidende Frage lautet: Wer lernt, mit diesen Erkenntnissen umzugehen? Wo bleibt die Förderung derjenigen, die täglich in Teams, Behörden oder Unternehmen über Wahrheit, Zweifel und Verantwortung diskutieren müssen?Medienkompetenz ist kein PR-Thema, sondern eine demokratische Infrastruktur.
Die Bedeutung von Vertrauen
Die Bundesregierung hat Recht: Desinformation ist eine Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aber sie irrt, wenn sie ihn nur in der Außenpolitik sucht und sehen will. Der eigentliche Konflikt findet bereits in der Mitte der Gesellschaft statt. In unseren Gesprächen, in unseren Netzwerken, in unserer Bereitschaft, auch Unbequemes zu prüfen, bevor wir es teilen. Wer nur nach äußeren Feinden sucht, übersieht die leisen und lauten Risse im Inneren.
