Das Spiel mit dem Zufall

Buchrezension

Warum spielt der Mensch mit dem Zufall, und zwar über die Jahrhunderte und Kulturkreise hinweg? Wie geht staatliche Macht mit Gewinnspiel um und von welchen Parametern hängt dies ab? Und welche politisch-theoretischen Betrachtungen des gesellschaftlichen Lebens lassen sich eigentlich daraus ableiten?

Mit diesen Fragen beschäftigen sich Dr. Daniel Henzgen und Dominik Meier in ihrem Buch „Der Mensch, das Spiel und der Zufall“, welches die beiden Autoren am 19. Mai im Quadriga Café im Berlin vor rund 40 Gästen aus Politik, Medien und Public Affairs vorstellten. Ausgehend von einer historisch-systematischen Herangehensweise liefern sie dabei eine anthropologische Analyse, vor allem aber eine philosophische Interpretation des Gewinnspiels als gesellschaftlichem Phänomen.

Warum gerade dieses Buch – und warum jetzt? „Eigentlich war am Anfang gar kein Buch geplant“, so Henzgen, der die glücksspielpolitische Debatte in Deutschland seit mehr als zehn Jahren begleitet. „Während der erzwungenen Ruhe der Coronazeit hatten wir die Möglichkeit, einmal alles zu hinterfragen. Gemeinsam mit Dominik Meier formte sich dann die Idee, einmal konzentriert wissenschaftlich zu betrachten, was die Faszination des Glücksspiels ausmacht und wie sich Gesellschaft und Staat dazu verhalten.“

Dabei möchte der Autor das Buch ausdrücklich nicht als eine Kommentierung der Tagespolitik oder des Standes der Regulierung in Deutschland verstanden wissen: „Wir wollten bewusst Abstand von der aktuellen glücksspielpolitischen Debatte in Deutschland, die von Vorurteilen, Ängsten und bisweilen Bigotterie geprägt ist“, erklärt Henzgen. „Durch unseren historischen Ansatz eröffnen wir die Möglichkeit, aus der Vergangenheit zu lernen und neue Denkanstöße zu geben.“

Man hat also in großen Linien gedacht. Kernthese des Buches ist, dass das Spiel mit dem Zufall immer schon staatliche Macht- und Ordnungsstrukturen herausgefordert habe. Herrschaft versuche naturgemäß, den Einfluss des Zufalls zu minimieren und staatliche Kontrolle zu maximieren. Die zufällige Auswahl von Gewinnern und Verlierern sei etwas, das sich staatlicher Kontrolle entziehe. Dazu kämen religiöse und leistungsethische Weltanschauungen, die sittliches Verhalten und Fleiß belohnt sehen wollten und die blinde Hand des Zufalls entsprechend kritisch sähen.

„Gewinnspiele und der Leitbegriff des Glücks sind über die Jahrhunderte hinweg immer unterschiedlich interpretiert worden: als Orakel und Einblick in den Willen der Götter, als subversiver Gegenentwurf zu hierarchischen Gesellschaftsstrukturen oder als moralisch-pädagogische Herausforderung“, so Meier. In der Gegenwart habe allerdings eine Perspektive den Diskurs besonders geprägt, Henzgen und Meier nennen es die Pathologisierung der Spielfreude. „Die Spaß am Spiel und der Nervenkitzel des ungewissen Ausgangs ist völlig aus dem Blick geraten. Stattdessen wird Spielfreude pauschal pathologisiert und dabei der Status des Spielens als soziale Auszeit abseits gesellschaftlicher Normen ausgeblendet.“

Dem stellen Henzgen und Meier gegenüber, dass genau im Aspekt des Zufalls die Faszination des Gewinnspiels liege: als anarchischem Element im sonst durchgeplanten und selbstoptimierten Alltagsleben. Soziale Hierarchien und unterschiedliche Begabungen würden durch das Zufallsprinzip ausgehebelt. „Glücksspiel ermöglicht eine Auszeit von den Regeln, mit denen wie unsere Gesellschaft organisieren. Wir leben in einer sehr durchstrukturierten Welt, in der alles vorgegeben ist, es kaum Freiraum gibt für individuelle Entfaltung. Und das Glücksspiel stellt eine Option dar, aus dieser Gleichförmigkeit auszubrechen“, erklärt Henzgen die Faszination des Spiels.

Letztlich gehe es bei der philosophischen Betrachtung des Spiels mit dem Zufall aber auch um die grundsätzliche politische Frage, wie viel Freiheit, Autonomie und Mündigkeit dem Individuum zugestanden wird. Meier erkennt im staatlichen Umgang mit Gewinnspiel eine regressive Entwicklung individueller Freiheit: „Der Liberalismus, in dem Glück durch die Verwirklichung individueller, höchst subjektiver Wünsche besteht, weicht einem zunehmend paternalistischen Menschen- und Gesellschaftsbild.“

So ist das Buch „Der Mensch, das Spiel und der Zufall“ neben historischer Analyse und philosophischer Betrachtung vor allem auch ein politisches Plädoyer. „Jeder Mensch hat das Recht, seine Freizeit nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, ohne pathologisiert und paternalisiert zu werden“, betont Henzgen. Die Frage nach der Freiheit des Spiels sei daher auch unmittelbar verknüpft mit der Frage nach der individuellen Freiheit generell.

„Der Mensch, das Spiel und der Zufall“ von Dr. Daniel Henzgen (Geschäftsführer Kommunikation & Compliance bei LÖWEN ENTERTAINMENT) und Dominik Meier (Inhaber von Miller & Meier Consulting) ist erschienen im Springer Wissenschaftsverlag. Hier geht es zur Bildergalerie der Buchvorstellung am 19. Mai im Quadriga Café.