Co-Pilot oder Überflieger?

Künstliche Intelligenz

07:45–8:30 Uhr

Mein Tag beginnt mit einer E-Mail: Der Pressespiegel ist da. Wie jeden Morgen gilt es, rund 100 Seiten in knapp zwei Stunden für das Morning Briefing zu überfliegen. Wegen des Plenartags startet die Morgenlage früher als sonst – mir bleibt noch weniger Zeit, um die wichtigsten landespolitischen Themen in Stichpunkte zu fassen.
Als Morgenmuffel ist diese Aufgabe für mich eher lästig. Seit Kurzem unterstützt mich künstliche Intelligenz bei den zeitaufwendigen Zusammenfassungen. Die Artikel lesen muss ich allerdings noch selbst.
Für meine Zusammenfassungen benutze ich ChatGPT. Aber anstelle des bekannten Chatfensters kommt eine Art Online-Excel-Tabelle zur Anwendung, in der die Rechenleistung von ChatGPT über eine Browser-Erweiterung integriert ist. Hier habe ich meinen Befehl „Morningbriefing“ abgespeichert. Ich muss lediglich den Text des Zeitungsartikels in einer Zeile einfügen. Kurz darauf erscheint in einer anderen Zelle eine kompakte Zusammenfassung. Fertig! Kopieren, einfügen – den Rest erledigt die Maschine. Die Zeitersparnis: rund eine halbe Stunde täglich. Vor dem Briefing bleibt somit Zeit für eine zusätzliche Tasse Kaffee.

08:45 Uhr

Ein Gong ertönt und ruft die Abgeordneten in den Plenarsaal. Seitdem ein Landtagsabgeordneter hier die erste Rede mithilfe künstlicher Intelligenz verfasst hatte, ist KI ein beliebtes wie kontroverses Thema von Flurgesprächen. Die Meinungsspanne reicht von „Spielt keine Rolle im Alltag“ bis zu „Lassen wir besser die Finger davon“.
Ich gehe relaxt damit um und bin neugierig, wie mich Technologie bei der Pressearbeit unterstützt. Das liegt auch daran, dass technische Aspekte von Texten und Schreiben mich schon immer fasziniert haben. In meinem Studium untersuchte ich, wie Computer individuelle Schreibmuster von Autoren identifizieren können. Durch den Erfolg von ChatGPT ist die Nerd-Neugier erwacht!

09:05–09:20 Uhr

Die AirPods klingeln. Eine Journalistin möchte wissen: „Was ist Ihre Position bei der morgigen Debatte?“ Ich weise Siri per Sprachbefehl an, das Abgeordnetenbüro um den Redeentwurf zu bitten. Beim Vorbeigehen treffen mich einige irritierte Blicke für mein vermeintliches Selbstgespräch mit dem Knopf im Ohr.
Laptop auf, Zeit für ChatGPT. Ich füttere das System mit dem Entwurf des Abgeordneten und befehle der KI: „Extrahiere zentrale politische Botschaften des Textes und bringe sie pro These in das Muster: Was? Warum? Wie?“ Die Maschine destilliert Kernaussagen, die inhaltlich überzeugen. Es fällt auf: Das „Warum“ stellt sie besonders plastisch dar.
Die Antwort fällt jedoch zu ausführlich aus, ist gespickt mit Fachbegriffen und Namen unbekannter Institutionen. Bei der Überarbeitung ist also Handarbeit gefragt. Dennoch geht der Punkt an die KI. Insgesamt habe ich nur die Hälfte der üblichen Zeit benötigt. ChatGPT demonstriert hier seine Stärke: die stilsichere Textumwandlung. Ein Befehl genügt, um eine Rede blitzschnell in Fließtext, QA-Format, Website-Artikel, Stichwortliste oder Tweet zu verwandeln.

10:15–10:35 Uhr

Ist mein Assistent beim Schreiben ein hilfreicher Sparringspartner? Eine Meldung geht über den Ticker. Meine Abgeordneten sind in Aufruhr. Einer schickt mir ein „freigegebenes Statement“, das ich für die Außenkommunikation anpassen muss. Der Auftrag: Empörung über einen Vorgang pointiert formulieren.
Ich verfasse den Text zunächst selbst und bitte die KI um ihre Meinung. Sie tadelt mich: Mein Stil wirke „unfreundlich“, „emotional aufgeladen“ und sei mit „starken Ausdrücken“ versehen. Die Wortwahl „könnte als Angriff“ interpretiert werden. Als Verbesserungsvorschlag empfiehlt sie, „eine sachlichere Tonlage einzunehmen“ und „weniger emotionale Begriffe“ zu verwenden. Es heißt: Künstliche Intelligenz vergisst nichts – offenbar auch nicht die gute Kinderstube. Als Pressesprecher der Opposition hätte das Sprachmodell jedenfalls versagt.
Nun möchte ich wissen, wie ChatGPT den ursprünglichen Entwurf des Abgeordneten verbessern würde. Der Befehl lautet: „Du bist Pressesprecher mit großer Erfahrung und umfangreichem Wortschatz. Überarbeite die Pressemitteilung. Ordne die Argumente nach Wichtigkeit und kürze sie. Sprache: modern, präzise und wortreich.“ Die KI tastet sich mit langsam blinkendem Cursor voran. „Die Bahn hat sich in ein veritables Chaos manövriert – nun obliegt es ihr, die unerfreulichen Folgen so weit wie möglich in Grenzen zu halten“, lauten die gestelzten Sätze.
Ich reize das Sprachmodell, fordere eine knackigere und spitzere Formulierung im Leadsatz. Antwort: „Die Bahn hat‘s vergeigt – jetzt muss sie das Chaos ausbaden.“ Fast perfekt! Ich baue zwei Wörter um und füge den Satz in meinen Entwurf ein. Vier Minuten später erhalte ich eine Mail von meinem zufriedenen Abgeordneten: „Signal auf Go!“, Smiley. Keine Zeit gewonnen – aber Qualität.

12:40–13:00 Uhr

Eine Abgeordnete informiert mich über eine Presseanfrage, Deadline: 13 Uhr. Es muss mal wieder etwas schneller gehen. Mein Job ist es, dem Textaufschlag ihres Büros eine Freigabe zu erteilen. In den verbliebenen 19 Minuten will ich den Entwurf mit einer Internetrecherche ergänzen und mit meinen Formulierungen veredeln. Ich frage die englischsprachige Google-KI Bard, welche Position die Grünen bei dem Thema einnehmen. Antwort: Die Grünen seien „generally supportive“ und „the GEG is a good start, but that could be improved“. Enttäuschend!
Ich greife auf mein Postfach und die menschlichen Antworten zurück und texte selbst. Doch bevor ich die finale Fassung versende, jage ich sie durch eine – sagen wir – getunte Textkorrektur in ChatGPT. Und tatsächlich: Ein Formulierungsfehler taucht auf! Im ersten Reflex schiebe ich die Schuld der Maschine in die Schuhe. Aber beim zweiten Blick stelle ich fest: Der Fehler ist menschengemacht – und erst durch meine Skepsis gegenüber der KI ans Licht gekommen.

14–16 Uhr

Interne Videokonferenz zu „Let’s talk about ChatGPT“. Ein Kollege präsentiert die Vor- und Nachteile der KI. Mehrheitsmeinung der Referenten: Als Wissensquelle sei das Tool nicht geeignet, da es Fehlinformationen liefere, Wissen suggeriere und falsche Quellen angebe. Später bei einem Gespräch in der Kaffeeküche stelle ich dar, dass die KI bei richtiger Bedienung sehr wohl sinnvoll bei Textautomatisierungen sei, als Informationsfilter assistieren oder als Rechtschreibhilfe fungieren könne: hilfreich wie ein Taschenrechner – aber eben keine „Wahrheitsmaschine“. Die Replik einer jungen Kollegin: „Hast du keine Angst, ersetzt zu werden?“

18–20 Uhr

Eine letzte Sache steht an: Brainstorming für den nächsten Auftritt des Fraktionschefs vor 3000 Hoteliers, Restaurantchefs und Kneipenbesitzern auf dem Cannstatter Wasen. Weil das Internet voll ist mit polternden Haudraufreden aus dem Bierzelt, rufe ich Bing AI auf und versuche mein Glück. Was sind die thematischen Schnittmengen der DEHOGA zu den Grünen? Die Antwort: „Lebensmittelverschwendung“. Ich lasse mich nicht entmutigen und suche weiter: „Energieeinsparungen in der Küche“. „Fotovoltaik auf den Dächern“. Ob diese Argumente vor pfeifender Kulisse mit „Mehrwertsteuer 7 %“-Schildern so gut ankommen? Selbst ein ausgeklügelter ChatGPT-Befehl für einen „unkonventionellen Redeeinstieg“ läuft ins Leere. Ich klappe den Laptop ergebnislos runter. Aber hey, es war ein langer Tag, und die KI hat wohl auch ihre Grenzen. So viel Zeit wie ich mit ihr über den Tag gewonnen habe, so viel habe ich mit ihr hier verloren.

Die Quintessenz:

• Was macht KI? Wie macht sie es? Wo stößt sie an Grenzen? In der politischen Kommunikation tun wir gut daran, mehr auszuprobieren, als kategorisch auszuschließen.
• Nur wer ihre Mechanik selbst versteht, kann Strategien gegen Meinungsmanipulation entwickeln und läuft ihr nicht hinterher.
• Der Einsatz von KI in der Politik ist oft dem Vorwurf ausgesetzt, dass der direkte Kontakt zum Bürger verloren geht. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Wenn KI einem Zeit bei der Fleißarbeit verschafft, beschleunigt das Antworten. Es bleibt mehr Zeit für den persönlichen Austausch.
• KI im Pressealltag hat sich bewährt (eine bis anderthalb Stunden Zeitersparnis täglich). Weniger Arbeit mit Routineaufgaben, mehr Zeit für die Dinge, auf die es wirklich ankommt: der Face-to-face Austausch mit Mitarbeitern, die Beziehungsarbeit mit Journalisten, die Strategieentwicklung im Team.
• Wichtig ist, verantwortungsvoll mit KI umzugehen und ihre Gefahren – Datensicherheit, die Halluzination von Pseudowissen oder die Tendenz zur Mehrheitsmeinung – zu berücksichtigen.
• Ist KI also Co-Pilot oder Konkurrent? Weder noch. Am meisten können wir profitieren, wenn der Mensch am Steuer sitzt und KI ihn als Begleiter unterstützt.

 

Dein Prompt sei mir Befehl!

Ein Sprichwort lautet „Wer die richtigen Fragen stellt, ist halb im Ziel“, was etwa besagt, dass es wichtig ist, präzise Fragen zu stellen, um sich einem Problem richtig nähern zu können.
Das gilt auch für das Prompt Engineering, also die Kunst, der Maschine seine Wünsche mitzuteilen. Wenn David Fischer einen neuen Befehl für ChatGPT entwickelt, orientiert er sich beim Aufbau zunächst an folgenden Schritten, beispielhaft erklärt anhand seines „Morning Briefings“:

1. Schritt „Role“: Hier erklären Sie den Kontext, in dem Sie sind, beziehungsweise die Rolle, in die die KI schlüpfen soll, sowie das Ziel.
„Du bist Pressesprecher mit großer Expertise und wertest Zeitungsartikel der Berichterstattung aus. Orientiere dich an den Leitfragen: Um was geht es? Was ist neu oder besonders? Welches Problem liegt vor?“

2. Schritt: „Prompt“ ist die eigentliche Frage oder Aufforderung, die Sie der KI stellen. Die sollte klar – und mit hinreichend Informationen ausformuliert sein.
„Fasse dazu den folgenden Text möglichst kompakt zusammen.“

3. Schritt: „Tone“. Hier geben Sie an, in welchem Stil oder in welcher Sprache die KI ihre Antwort verfassen soll. Das kann formell, informell, humorvoll oder in einer anderen Art und Weise sein.
„Deine Syntax ist prägnant und besteht vor allem aus Hauptsätzen. Anordnung der inhaltlichen Punkte: von wichtig nach unwichtig. Benutze Alltagssprache. Schreibe die Sätze in deinen Worten um. Wenn im Artikel Kritik an einem Vorhaben geäußert wird, hebe diese markant hervor. Beispielsweise mit einer Formulierung wie „[Kritiker] übt Kritik an folgenden Punkten: [Aufzählung der kritischen Punkte]“.

4. Schritt: „Constrain“. Manchmal ist es notwendig, die Antwort der KI einzugrenzen oder bestimmte Bedingungen festzulegen, um die Antwort zu fokussieren, die Länge zu variieren oder ein bestimmtes Format festzulegen.
„Die Zusammenfassung sollte nicht länger als sieben Sätze sein. Gib das Ergebnis in Gedankenstrichen wieder!“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 143 – Thema: 15 Young Thinkers. Das Heft können Sie hier bestellen.