Bundesbildungsministerin Karin Prien hat in der vergangenen Woche eine Debatte angestoßen: Braucht es – angesichts von Schulklassen, in denen ein großer Teil nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt – eine Quotierung in Form einer Obergrenze für Schüler mit Migrationshintergrund?
Karin Prien spricht mit ihrem Vorstoß ein wichtiges Thema an, findet die Bremer CDU-Fraktionsvorsitzende Wiebke Winter. Wir bräuchten endlich mehr Mut, Realitäten anzusprechen. Der Blick auf Migration verenge die Debatte, findet Anja Reinalter, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion.
Jedes Kind in Deutschland hat das Recht auf eine richtig gute schulische Bildung. Dabei ist die deutsche Sprache zentral. Nur wer den Unterricht versteht, kann von ihm auch lernen. Daher müssen wir darüber sprechen, wie viele Kinder maximal in einer Klasse sein sollten, ohne ausreichend Deutsch zu sprechen – übrigens völlig unabhängig davon, wo sie oder ihre Eltern herkommen.
Denn die Realität sieht z.B. bei uns in Bremen so aus: Fast die Hälfte der Kinder spricht zu Schulbeginn nicht ausreichend Deutsch. In einigen Stadtteilen haben drei von vier Kindern Sprachförderbedarf. Selbst Kinder aus Einwandererfamilien in der zweiten Generation, die in Deutschland geboren wurden, erreichten beim aktuellen Grundschulvergleich im Bereich Lesen 60 Leistungspunkte weniger. Das entspricht dem ausgebliebenen Lernfortschritt eines ganzen Schuljahres. Ein kaum aufholbarer Rückstand. Unter solchen Bedingungen können weder die betroffenen Kinder noch ihre Mitschüler richtig lernen. Normaler Unterricht ist so kaum möglich. Kein Wunder, dass rund 10 % der Schülerinnen und Schüler in Bremen die Schule ohne Abschluss verlassen. Lehrkräfte schlagen seit Jahren Alarm.
Das alles zeigt: Bei der Debatte über eine Sprachquote in Klassen geht es nicht um Ausgrenzung, sondern um Gerechtigkeit. Wenn ein zu hoher Anteil von Kindern in einer Klasse kaum Deutsch spricht, leidet der Unterricht insgesamt. Integration beginnt mit Sprache. Und Sprache lernt man am besten dort, wo sie gesprochen wird, nicht in einer Klasse, in der kaum jemand Deutsch kann. Zudem braucht es Fördermaßnahmen – und zwar schon vor Schulbeginn, mit verpflichtenden Sprachtests und Vorschulklassen oder zumindest einer Kindergartenpflicht für diejenigen, die nicht ausreichend Deutsch sprechen.
Wir brauchen endlich Mut, über diese Realität zu sprechen. Bundesbildungsministerin Karin Prien tut dies mit ihrem Vorstoß. Wer es mit Chancengleichheit ernst meint, darf nicht länger zusehen, wie Kinder mit Sprachdefiziten im Schulsystem durchgereicht werden. Wir brauchen mehr Sprachförderung und klare Regeln, damit sie wirkt. Kein Kind darf zurückgelassen werden.
Unsere Lehrkräfte sind täglich herausgefordert: Personalmangel und marode Infrastruktur sind so bekannt wie ungelöst. Ebenso verhält es sich mit den abnehmenden Sprach-Kompetenzen unserer Kinder. Doch die aktuell befeuerte Debatte über Migrationsobergrenzen an Schulen greift zu kurz.
Erstens ist die Diskussion zu sehr auf Migration an sich verengt. Nicht “zu viele” Kinder mit Migrationsgeschichte sind das Problem. Richtig ist: Sprach-Defizite nehmen zu, besonders bei Kindern aus Familien mit Migrationsgeschichte. Hier muss Politik ansetzen und Familien und Schulen gezielt unterstützen. Bauen wir multiprofessionelle Teams mit dem Startchancen-Programm aus. Denn mit Startchancen investieren wir in die Schulen, wo besonders viele arme Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund unterrichtet werden. Stärken wir die Sprachförderung an Kitas, und zwar gezielt – so wie mit Startchancen. Führen wir bundesweit verpflichtende Sprachtests mit anschließender obligatorischer Förderung ein – wie in Baden-Württemberg.
Zweitens stellen sich zig Umsetzungsfragen. 40% unserer Kinder haben Migrationshintergrund, in Großstädten oft deutlich mehr. Sollen Kinder mit und ohne Migrationsgeschichte aus wohnortnahen Schulen herausgenommen werden, um die Quoten zu erfüllen? Liegt die Lösung nicht eher in einer klugen Wohnpolitik, die für sozial durchmischte Quartiere sorgt?
Drittens äußert sich die Bundesbildungsministerin Prien erneut zu Fragen, für die sie nicht zuständig ist. Lieber sollte sie sich auf darauf konzentrieren, wo sie tätig werden kann. So muss das Sondervermögen Infrastruktur jetzt gezielt in Bildung investiert werden. Mit dem von uns Grünen ermöglichten Sondervermögen hat Schwarz-Rot die historische Chance, massiv in die Bildungsinfrastruktur zu investieren: In sanierte Schulen und Kitas, Ganztagesplätze, einen aufgestockten Digitalpakt 2.0 und den Ausbau des Startchancen-Programms.