„Die Linke allein gegen alle“

p&k: Herr Bartsch, der personelle Wechsel an der Parteispitze hat die SPD in Aufruhr versetzt. Müssen Sie jetzt Ihre Wahlkampfstrategie ändern?
Nein, denn es war keine Überraschung, dass Frank-Walter Steinmeier Kanzlerkandidat geworden ist. Dass nun auch Franz Müntefering wieder eine große Rolle spielt, konnten wir nicht voraussehen. Für uns ist es letztlich übersichtlicher geworden. Denn mit dieser politischen Entscheidung hat die SPD signalisiert, die Klientel der CDU gewinnen zu wollen. Wir werden in die Situation kommen, dass die Linke allein gegen alle anderen steht.

Das macht es für Sie bei den Wählern nicht einfacher. Wollen Sie sich im Wahlkampf wieder als Protestpartei profilieren?
In der Tat, und zwar gegen den neoliberalen Kurs der letzten Jahre. Dagegen ist eine Stimme für die Linke ein Protest und eine Möglichkeit, das zu verändern. Wie stark unser Einfluss auf die Politik, insbesondere die SPD geworden ist, konnte man bei der Verlängerung des Arbeitslosengelds I sehen, die die SPD bei ihrem Bundesparteitag 2007 in Hamburg beschlossen hat. Das Thema war bereits in Vergessenheit geraten, ohne die Linke wäre das auch so geblieben. Wenn wir 2009 stark genug werden, dann verändern wir auch die Entscheidung zur Rente mit 67.

Mit solchen Forderungen appellieren Sie an die Emotionen der Menschen. Wo ist die Grenze zum Populismus?
Brecht sagte sinngemäß: Wer die Wahrheit nicht weiß, ist ein Dummkopf, wer sie aber weiß und nicht sagt, ist ein Verbrecher. Angesicht der Lage vieler Menschen braucht es wirklich nicht viel, Emotionen zu wecken. Ein Beispiel war das Hartz-IV-Gesetz. Wir sprechen also nur aus, was ist. Dass Oskar Lafontaine und Gregor Gysi glänzende Rhetoriker sind, ist dabei ein großer Vorzug.

Woran liegt es denn, dass die linke Mehrheit, die es im Bundestag gibt, keine Regierung bildet?
Wir haben auf Bundesebene eine Situation, die es in keinem westeuropäischen Land gibt. Die sozialdemokratische Partei kann eine parlamentarische Mehrheit bilden und nutzt das nicht, aus politischen Gründen. Das gibt es nur in Deutschland. Hier hat es die CDU geschafft, der SPD einzureden, dass sie mit uns nicht koalieren dürfe. Solange die SPD diese Frage nicht geklärt hat und ihren politischen Kurs ändert, wird sie nicht zur politischen Normalität kommen können. 

Ihr Parteivorsitzender Oskar Lafontaine hat die SPD zu seinem Hauptgegner gemacht. Die Sozialdemokraten bezeichnen ihn als Lügner und Populisten. Wie soll es da jemals zu einer gemeinsamen Regierung kommen?
Eine Mehrheit in der SPD unterstützt doch unsere Forderungen, beispielsweise beim gesetzlichen Mindestlohn oder gegen die Ausweitung von Auslandseinsätzen. Das sind Punkte, die die Partei in der Großen Koalition nicht durchsetzen kann. Kommt noch die entsprechende gesellschaftliche Stimmung dazu, dann werden beide Parteien gezwungen sein, zusammenzuarbeiten.

Ihre Gegner bezeichnen Sie oft noch als PDS oder sogar SED. Glauben Sie, dass Sie den Menschen mittlerweile klarmachen konnten, dass die Linke eine neue Partei ist?
Die Linke ist eine neue Partei. Sie ist zu einer erfolgreichen Marke geworden. Wir werden das in allen Wahlen herausstellen, das wird für den Wahlkampf und die Kommunikation entscheidend sein. Dass es aus kulturellen, geschichtlichen und politischen Gründen weiterhin Probleme und Differenzen gibt, ist unstrittig. Wir konzentrieren uns im nächsten Jahr auf den langfristigen Erfolg – und nicht nur auf die Zusammensetzungen von Regierungen und Parlamenten. 2009 kann aus unserer Sicht ein Jahr werden, in dem sich wirklich Grundsätzliches verändert. Und zwar, dass mit der Linken das klassische Vierparteiensystem in ganz Deutschland zu Ende geht.

In Ostdeutschland ist die Linke bereits Volkspartei, im Westen kämpfen Sie immer noch um den Einzug in alle Länderparlamente. Was bedeutet das für Ihre Wahlkampfstrategie?
Grundsätzlich gibt es einen einheitlichen Wahlkampf. Die Marke „Die Linke“ soll im Mittelpunkt stehen. Das ist einer der wesentlichen Punkte unserer Wahlstrategie, auch wenn wir in Ost und West unterschiedliche Akzente setzen. Gleichzeitig werden Lothar Bisky, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi eine wichtige Rolle spielen.

Wie planen Sie die Bundespräsidentenwahl am 23. Mai ein?
Wir halten uns an unseren festgelegten Zeitplan und entscheiden uns in Partei und Fraktion im Oktober. Erst nach der Bayernwahl steht fest, wie die Bundesversammlung zusammengesetzt sein wird. Im Moment spricht viel dafür, dass wir einen eigenen Kandidaten aufstellen. Die Bundespräsidentenwahl ist zuerst eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit. Wenn wir einen eigenen Kandidaten haben, dann werden wir diesen im ersten Wahlgang geschlossen unterstützen. Sollte Horst Köhler aus diesem bereits als Gewinner hervorgehen, muss ich mich zwei Wochen vor der Europawahl und den acht Kommunalwahlen nicht dafür rechtfertigen, sondern andere.

Wenige Wochen nach der Bundespräsidentenwahl finden in Sachsen, Thüringen und dem Saarland Landtagswahlen statt. In allen drei Ländern werden Ihrer Partei hohe Stimmanteile zugetraut. Werden Union und FDP versuchen, die Wahl zum Volksentscheid über Rot-Rot zu machen?
Ich gehe davon aus, dass der Bundestagswahlkampf am 31. August beginnt. Diese drei Landtagswahlen werden manches Kalkül in Frage stellen. Unter Umständen entwickelt sich dann eine Dynamik, die die Stimmung völlig kippt. Wir werden deswegen versuchen, den Wahlkampf bis dahin zu reduzieren. Unsere Kampagne startet am 1. und hört am 27. September  auf – kurz, knapp und intensiv. Das hat große Vorzüge. Die Wahlentscheidungen werden auch in Deutschland immer später getroffen, und somit nimmt auch der 48-Stunden-Wahlkampf eine immer größere Rolle ein.

Die SPD setzt dagegen auf die lange Distanz und hat ihr Wahlkampfteam bereits im Juni vorgestellt. Wie weit sind ihre personellen und organisatorischen Pläne?
Im Gegensatz zur SPD, die ihre Mannschaft gerade wieder umbauen musste, setzen wir auf eine langfristige Strategie. Unser Wahlquartier hier im Karl-Liebknecht-Haus eröffnen wir im Januar. Meine Wahlquartierchefin, die die operativen Abläufe verantwortet, steht bereits fest. Zurzeit stellen wir den restlichen Wahlstab zusammen, bereiten  die Kommunikationsstrategie und einen qualifizierten Internetwahlkampf vor. Für die Wahlkämpfe in diesem und im nächsten Jahr haben wir bereits im April unsere Grundsätze und Ziele bestimmt. Wichtig für uns ist auch der 7. Juni. Die Europawahl und acht Kommunalwahlen bedeuten für uns eine große Chance und Herausforderung.

Zuletzt sorgte im Internet ein gefälschtes „Twitter“-Rededuell zwischen Oskar Lafontaine und Franz Müntefering für Aufsehen. Welche Rolle wird der Onlinewahlkampf spielen?
Ich habe diese Geschichte verfolgt und war überrascht, dass das für einen solchen Medienhype gesorgt hat. Natürlich ist der Internetwahlkampf für uns wichtig. Bereits bei der letzen Wahl haben wir großen Wert darauf gelegt, das wird sich im nächsten Jahr noch verstärken. Aber ich habe zum Glück schon einige Wahlkämpfe geführt, erfolgreiche und weniger erfolgreiche, und weiß, dass wir nicht jede Mode mitmachen sollten.

Auf welche anderen Kommunikationskanäle setzen Sie?
Traditionelle Wahlkampfelemente bleiben auch im nächsten Jahr wichtig. Wir sind eine Mitgliederpartei, der Straßenwahlkampf ist für uns sehr wichtig. Wir werden die öffentlichen Räume besetzen, beispielsweise mit großflächigen Plakaten. Die anderen Parteien machen das, also müssen wir da mitziehen – obwohl es sehr viel Geld kostet. Gleiches gilt auch für Fernseh- und Kinospots und die Möglichkeiten des Direktmarketings.

Der US-Wahlkampf bleibt ein Dauerthema. Wird er die Bundestagswahl beeinflussen?
Die Amerikanisierung des Wahlkampfs ist eine Legende, die Wahl- und Parteiensysteme sind zu verschieden. Ich gehe aber davon aus, dass durch CDU und SPD eine extreme Personalisierung auf die Wähler zukommt. Die beiden werden mit dem Anspruch „Sie oder Er“ in den Wahlkampf gehen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe 27 – Sonntag. Das Heft können Sie hier bestellen.