Wie koordiniert man eine Kampagne für 33 Parteien, Herr Hillje?

p&k: Herr Hillje, die Europäische Grüne Partei (EGP) hat 33 Mitgliedsparteien aus 28 EU-Staaten. Wie bekommt man da eine Dachkampagne zustande, mit der alle zufrieden sind?

Johannes Hillje (lacht): Na, indem wir uns im Vorfeld intensiv ausgetauscht haben. Es gab im vergangenen Jahr vier Treffen einer Arbeitsgruppe, in der sich alle Kampagnenchefs der nationalen Parteien zusammengefunden haben. Dort wurden die groben Richtlinien diskutiert. Jetzt, während der Kampagne, haben wir regelmäßige Telefonkonferenzen und ich führe mindestens zehn Einzelgespräche pro Woche mit den Kampagnenmanagern der Mitgliedsparteien.

Wie würden Sie Ihre Aufgabe beschreiben? Sind Sie Koordinator, strategischer Kopf oder doch eher eine Art Beschwerdestelle für die nationalen Parteien, wenn diese mit der Dachkampagne nicht zufrieden sind?

Ich sehe mein Team und mich als Berater. Die Kampagne ist zunächst einmal ein Angebot an die Mitgliedsparteien. Sie ist sehr flexibel und kann an die jeweiligen nationalen Kontexte und Bedürfnisse angepasst werden. Uns geht es im Moment darum, diesen Anpassungsprozess zu begleiten.

Und wie kann man sich das konkret vorstellen?

Nun, ins Deutsche lässt sich unser Kampagnen-Slogan “Change Europe, vote Green” ja ganz gut übersetzen – “Europa verändern, Grün wählen”. In andere Sprachen ist die Übersetzung aber nicht ganz so einfach und teilweise politisch auch nicht wirklich sinnvoll. In den skandinavischen Ländern etwa wird der Begriff “Europa” sehr viel stärker als in Deutschland von der Bezeichnung “EU” unterschieden. Das liegt daran, dass mit Norwegen ein skandinavisches Land zwar Teil Europas ist, aber nicht zur EU gehört. Deshalb lautet der Slogan dort “Change EU, vote Green”. Und unsere polnische Mitgliedspartei plakatiert: “Verändere Polen – Wähle Solidarität mit Europa”.

Da kommen die Grünen ja gar nicht mehr drin vor.

Stimmt, im Wortlaut nicht, aber visuell bleibt das grüne Corporate Design mit dem grünen Pfeil erhalten. In Polen gibt es keine Diskussion darüber, ob man für oder gegen Europa ist. Die Polen sind ganz klar pro-europäisch. Ihnen geht es vielmehr darum, die Probleme im Land anzupacken.

Wie viel von der Dachkampagne übernehmen die Grünen in Deutschland?

Die Deutschen haben sich für andere Plakatmotive entschieden, weil gleichzeitig zur Europawahl in vielen Bundesländern auch Kommunalwahlen stattfinden. Dazu wollte man gern eine stärkere Parallele ziehen. Aber bei einigen Veranstaltungen in Deutschland werden unsere Plakate eingesetzt. Außerdem übernehmen sie andere Elemente, zum Beispiel unsere Online-Kampagne. Hier haben wir eine Facebook-App entwickelt, die den Usern die Möglichkeit gibt, ein eigenes Kampagnenposter zu gestalten.

Die Entscheidung für andere Motive hat nicht zufällig etwas damit zu tun, dass mit “Zum Goldenen Hirschen” in Deutschland eine professionelle Wahlkampfagentur mit im Boot sitzt?

Nein, das war nicht das Problem. Unsere Agentur KKLD, die zusammen mit “Joschka Fischer & Company” die Dachkampagne verantwortet, hat ihre Motive bereitwillig auch anderen Agenturen zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Und Agenturen in anderen Ländern haben davon auch Gebrauch gemacht. Wie gesagt, die Kampagne ist flexibel und die nationalen Parteien müssen unsere Plakate nicht eins zu eins übersetzen, sondern sollen mit unserem Grundgerüst arbeiten. Und: Nicht alle unsere Mitgliedsparteien können sich wie die Deutschen, die Franzosen oder die Skandinavier eine eigene Agentur leisten, die für sie den Wahlkampf betreut. Viele haben in ihrem Büro einen Grafikdesigner sitzen, der dann mit unserem Material arbeiten kann.

Apropos Finanzen: Die deutschen Grünen geben 1,6 Millionen Euro für den Europawahlkampf aus. Wie viel Geld steht Ihnen zur Verfügung?

Wir haben für die Dachkampagne ein Budget von knapp über einer Million Euro.

Warum gibt es überhaupt eine Dachkampagne? Schließlich fährt ja niemand durch Europa und vergleicht die Plakate der Grünen.

Die EGP entwickelt bereits seit 2003 eine Dachkampagne, weil wir eine Vorreiterrolle bei der weiteren Europäisierung der Europawahlen spielen wollen. Als Grüne kämpfen wir schon lange dafür, dass es transnationale Listen für die Europawahlen gibt. Im Moment ist es doch so, dass die Menschen sogar über die europäischen Spitzenkandidaten nur in den jeweiligen Herkunftsländern der Kandidaten abstimmen können. Das wollen wir ändern, doch so weit sind wir leider noch nicht. Mit der Kampagne möchten wir zeigen, dass Wahlkämpfe auch grenzüberschreitend geführt werden können.

Die Themenplakate spielen mit gängigen Länderklischees. Da sind die Italiener gegen Gen-Food, die Deutschen für erneuerbare Energien und die Esten für digitale Rechte. Meinen Sie wirklich, man schafft es, damit in einem Wahlkampf durchzudringen, der durch die Euro-Krise überlagert wird?

Die Grundidee der Kampagne ist, den grünen Wandel, den wir in Europa sehen wollen, zu personifizieren. Deswegen zeigen wir eine estnische Oma oder spanische Hipster. Wir wollen deutlich machen, wofür es sich in Europa zu kämpfen lohnt. Natürlich sind wir uns bewusst, dass bestimmte Themen vom Wähler in harten Zeiten eher als Well-Being-Themen wahrgenommen werden, daher auch die Möglichkeit, dass unsere nationalen Parteien die Themen anpassen können. Aber: Wir bieten auch Strategien an, wie man aus der Krise herauskommt. So beschäftigt sich der Green New Deal mit der Frage, wie man zusätzliche Jobs nicht nur in grünen Sektoren schafft.

Die Europäischen Grünen haben sich bei der Wahl der europäischen Spitzenkandidaten für eine Primary entschieden, aus der Ska Keller und José Bové als Sieger hervorgingen. Nun haben Bündnis 90/Die Grünen ihrerseits Kellers Konkurrentin Rebecca Harms zur deutschen Spitzenkandidatin gewählt. Haben sich die Grünen damit letztlich nicht geschadet?

Nein, das glaube ich nicht. Organisatorisch ist das für uns erst mal viel einfacher. Rebecca konzentriert sich auf den deutschen Wahlkampf, Ska auf den europäischen. Wenn eine von beiden beide Aufgaben hätte übernehmen müssen, wäre das ein fast nicht zu bewältigendes Programm gewesen. Es waren einfach zwei unterschiedliche Entscheidungsprozesse. Wir auf europäischer Ebene entscheiden ja nicht, wie nationale Parteien ihre Spitzenkandidaten bestimmen sollen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Lobbying Forte. Das Heft können Sie hier bestellen.