"Wenn in der Bundespolitik die Luft brennt, ist bei uns die Bude voll"

Medien

p&k: Herr Mayntz, wie steht es um die Pressefreiheit in Deutschland?

Gregor Mayntz: Pressefreiheit wird sehr unterschiedlich definiert. Wenn es um die Frage geht, ob die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit in diesem Land funktioniert, dann sage ich: Eins a! Die Verfassung gibt einen Rahmen vor, dessen Gefährdungen das Verfassungsgericht immer wieder abgewiesen hat. Die Bundespressekonferenz versteht ihre Arbeit als Ausdruck gelebter Pressefreiheit. Wer unter Pressefreiheit den Zugang aller zu jeder Information versteht, sieht sich vom Idealzustand indes ein ganzes Stück entfernt. Hier ist stetige Wachsamkeit angezeigt.

Was meinen Sie mit “gelebte Pressefreiheit”?

Was kann man sich, um den verfassungsrechtlichen Rahmen auszufüllen, Besseres wünschen, als dass Journalisten ihre Grundrechte – Pressefreiheit und Vereinigungsfreiheit – nutzen, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen? In allen anderen Ländern der Welt liefern sich Journalisten Situationen aus, in denen die Regierung alleine bestimmt, ob sie zu einem bestimmten Vorgang etwas sagt oder nicht. Und sie entscheidet, wen sie zu Pressekonferenzen einlädt und wer dann Fragen stellen darf – im Zweifel vermeidet sie dadurch kritische Fragen von unliebsamen Journalisten und bestimmt auch, wann die Fragemöglichkeit beendet wird. Diese Hürden gibt es bei uns nicht. Die gesamte Regierung stellt sich drei Mal in der Woche grundsätzlich allen Fragen aller unserer Mitglieder.

Obwohl die Bundespressekonferenz unabhängig ist, wird sie in der Öffentlichkeit oft als offizielles Organ der Regierung wahrgenommen. Wie reagieren Sie darauf?

Indem wir uns zum Beispiel am Tag der offenen Tür der Bundesregierung beteiligen. Es klingt zwar originell, dass wir unsere Unabhängigkeit dadurch illustrieren, indem wir uns an eine Regierungsveranstaltung dranhängen. Aber so kommen zehntausend Besucher in das Haus der Bundespressekonferenz am Schiffbauerdamm, die alle eine bestimmte Vorstellung von uns haben. Die staunen über das weltweite Unikum, das sie hier erleben, und tragen dieses neue Bild in die Welt. Wir sind zuerst und vor allem für unsere Mitglieder da. Das unterscheidet uns von den Aufgaben des Bundespresseamtes mit seinen beeindruckenden Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit. Wir Hauptstadtjournalisten haben uns zusammengefunden, um die Möglichkeiten unserer Informationsbeschaffung zu optimieren. Unser Bild in der Öffentlichkeit ist demgegenüber nachrangig. Aber auch daran arbeiten wir – etwa auf unserer Homepage.

Der Paragraf 16 Ihrer Satzung, der die Vertraulichkeit von Informationen mit den Stufen “unter eins”, “unter zwei” und “unter drei” regelt, hat inzwischen einen außerordentlichen Einfluss auf den gesamten Medienbetrieb in Berlin. Wie steht die Bundespressekonferenz zu dieser Entwicklung?

Wenn das so oft kopiert wird, spricht das doch dafür, dass es sich um eine sinnvolle Innovation für den Umgang von Politik und Medien handelt. Das ist eine unserer Arbeitsgrundlagen. Wir legen Wert darauf, dass Dinge, die bei uns “unter drei” gesagt werden, auch als Hintergrundinformation verwendet und nicht weitergegeben werden. Wenn sich andere Gremien oder Politiker außerhalb der BPK ebenfalls dieses Instrumentariums bedienen und möglicherweise Verstöße beklagen, dann ist dafür natürlich nicht die Bundespressekonferenz verantwortlich.

Wie geht die Bundespressekonferenz intern mit derartigen Verstößen um?

Wir haben Sanktionsmöglichkeiten, die bis hin zum Ausschluss eines Mitgliedes führen, das sich nicht an unsere Satzung hält.

65 Jahre ist die Bundespressekonferenz jetzt alt, in den Ruhestand aber geht sie nicht. Wie wollen Sie im Berliner Medienbetrieb relevant bleiben?

Wir sind keine abgehobene Institution im Elfenbeinturm, sondern ein eingetragener Verein und werden von unseren Mitgliedern gestaltet. Die Mitglieder erleben selbst immer neue Ansprüche an ihre Arbeit. Wir sind dazu da, diesen Ansprüchen jederzeit gerecht zu werden. Wenn sich der Hauptstadtjournalismus verändert, dann verändert sich die Bundespressekonferenz mit ihm.

Was heißt das konkret?

Wir haben etwa unsere Satzung ins Internetzeitalter überführt: So gibt es heute Blogger unter unseren Mitgliedern. Wir geben aber nicht den Anspruch auf, dass man hauptberuflich als Korrespondent über Bundespolitik berichten muss, um bei uns Mitglied zu werden. Wenn ein Blogger diese Voraussetzung erfüllt, ist er bei uns gern gesehen.

Ministerien, Politiker und politische Institutionen verschaffen sich zunehmend, beispielsweise mit Hilfe von Social Media, direkten Zugang zu Redaktionen und der Öffentlichkeit. Wie gehen Sie damit um?

Wenn man sich allein von Überschriften ernährt, ist es nur natürlich, dass es auch Informationsflüsse abseits der Bundespressekonferenz gibt. Aber gerade wegen der Zunahme politischer Botschaften, die auf 140 Zeichen reduziert werden, wächst die Notwendigkeit, Dinge zu hinterfragen und ihnen auf den Grund zu gehen. Wenn es die Bundespressekonferenz nicht gäbe, müsste man sie gerade jetzt gründen.

Bedingt durch die digitale Kommunikation erleben wir eine Beschleunigung des Medienbetriebs. Besteht die Gefahr, dass die Bundespressekonferenz verwaist, weil nicht mehr genug Mitglieder die Zeit haben, zu den Pressekonferenzen zu erscheinen?

Diese Gefahr besteht schon seit vielen Jahren, nämlich seit wir die Live-Übertragung in Redaktionsbüros über einen speziellen TV-Kanal ermöglichen. Das verführt jeden unserer 913 Mitglieder zu der Annahme, dass schon irgendeiner der vielen Kollegen im Saal sein wird, den die Antwort auf seine Frage genauso interessiert. Denkt jeder so, dann ist am Ende keiner da, der die Frage stellt. Wenn der Alltag dahinplätschert, kann es sein, dass auch in der BPK die Zahl der Teilnehmer übersichtlich ist. Das ist auf der Pressetribüne des Bundestages und an vielen anderen Schauplätzen des politischen Lebens nicht anders. Wenn aber in der Bundespolitik die Luft brennt, dann ist auch bei uns die Bude voll. Wenn es darauf ankommt, wird die Bundespressekonferenz ihren Notwendigkeiten gerecht.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Beste Wahl. Das Heft können Sie hier bestellen.