Wann wird Geld zum Fetisch?

Interview

Herr Gerschel, als Investmentbanker hatten Sie einen gutdotierten Job, Boni inklusive, warum verzichtet man darauf?

Der Job eines Investmentbankers mag schillernd klingen, und er ist oft tatsächlich spannend. Die Wahrheit ist aber auch, dass man viele Tage und Nächte mit ziemlich uninteressanten Aufgaben zubringt. Einmal musste ich Tippfehler in einem 200-Seiten-Bericht korrigieren. Es dauerte ewig. Am Ende entdeckte ich, dass er mit einem Begleitbrief verschickt worden war, in dem mein Chef zwei dicke Fehler gemacht hatte. Die Arbeit hatte teilweise unsinnige, fast schon absurde Züge. Weshalb man so viel Geld damit verdient, war mir ein Rätsel. Ich fühlte mich oft entfremdet.

Wieso sind Sie überhaupt Banker geworden?

Kurz nach meinem Studienabschluss hatte ich eine Biografie über den Gründer der britischen Investmentbank S.G. Warburg gelesen, die mich sehr beeindruckt hat. Siegmund George Warburg, ein deutsch-jüdischer Immigrant, war der Prototyp des intellektuellen Bankers. In den 1950er Jahren sorgte er für die allererste feindliche Übernahme und gab 1963 erstmals Eurobonds aus.

Gingen Sie deshalb nach dem Studium zur Pariser Niederlassung von S. G. Warburg?

Ja, die Bank stand für eine Kultur, die mir gefiel. Warburg selbst lebte zwar da schon nicht mehr. Aber die Kultur, die er geprägt hatte, war in der Bank noch immer spürbar. Dort hatte ich das Gefühl, dass das Bankwesen ein intellektueller Beruf sein könnte.

Foto: Laurin Schmid

Als Sie Direktor in der Corporate-Finance-Abteilung waren, wurde Warburg 1995 vom Schweizer Bankverein übernommen, der später mit der Schweizer Bankgesellschaft zum Großkonzern UBS fusionierte.

Ja, damals begann sich der Markt zu verändern – und mit ihm unsere Arbeit und die ganze Kultur von Warburg. Anfangs waren wir ein kleines Team, das in direktem Kontakt zu den Unternehmen stand, die wir berieten. Dann wurde alles größer. Immer waren vier, fünf Banken gleichzeitig involviert, die sich gegenseitig bekämpften. Ich erinnere mich an einen meiner letzten Aufträge: Es ging um den Börsengang der Tochtergesellschaft eines namhaften Konzerns. Dabei fiel uns auf, dass dieser die Filiale nicht mit genügend Kapital ausgestattet hatte.

Was passierte dann?

Wir haben den Geschäftsführer gewarnt. Er hat uns Recht gegeben – aber klar gemacht, dass er nichts unternehmen würde. Für mich war das ein Zeichen für die wachsende Unverantwortlichkeit des Systems. Einige Jahre später war die Gesellschaft bankrott und sollte vom Staat gerettet werden.

Sie beschreiben die Schattenseiten. Was war das Spannendste an der Arbeit?

Der Moment, in dem man als Berater merkt, dass die Unternehmensführung auf dich hört, ist sehr aufregend – und zugleich auch beunruhigend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ein 25-Jähriger wie ich damals eine solche Macht erhält.

Wie sind Sie schließlich auf die Idee gekommen, Verleger eines Philosophiemagazins zu werden?

Als ich die Bank verließ, wusste ich noch nicht, dass ich einmal ein Verleger sein würde. Mir war nur klar: Ich möchte etwas schaffen, das ebenso nützlich wie profitabel ist – und das mir außerdem noch Spaß macht. So kam ich auf die Idee, ein Philosophiemagazin zu gründen. Denn wofür mir in der Zeit als Investmentbanker die Zeit gefehlt hatte, war die Auseinandersetzung mit Philosophie.

Woher kommt dieses Interesse?

Als ich ungefähr 20 Jahre alt war, habe ich ein Buch von André Comte-Sponville gelesen, das meine Art zu denken stark geprägt hat: “Traité du désespoir et de la béatitude” (Anm. der Red.: Abhandlung über die Verzweiflung und die Glückseligkeit). Sponville war eine Entdeckung für mich – denn seine Philosophie war völlig anders als die, die ich in der Schule kennengelernt hatte: nicht-idealistisch, dekonstruktivistisch, pessimistisch. Sie kehrt den Blick auf Welt um: Man begehrt etwas nicht, weil es gut ist – sondern man findet es gut, weil man es begehrt. Die Dinge auf den Kopf zu stellen, ist für mich noch heute einer der besten philosophischen Tricks.

Hat die Philosophie auch Ihren Umgang mit Geld geprägt?

Ja, das habe ich aber erst später entdeckt.  Auf der Hochschule lernte ich über Finanztheorie zunächst etwas Verwirrendes: Nämlich, dass Märkte effizient sind und Preise immer genau den Wert einer Ware widerspiegeln. Von dieser Annahme leiten sich Theo­reme ab, die helfen sollen, Bewertungen zu definieren und die Märkte effizienter zu machen.

Wie bitte?

Eine seltsame Theorie, nicht? Man nimmt an, dass etwas funktioniert, um Leitsätze abzuleiten, die dazu führen sollen, dass es funktioniert. Dabei beweist ja schon die Tatsache, dass Preise täglich schwanken, dass die Märkte nicht effizient sind! Erst in der Beschäftigung mit Schriften von Jon Elster wurde mir klar, dass eine solche idealistische  Theorie gar nicht denkbar ist ohne Leibniz und Hegel. Im Grunde ist sie eine Übertragung ihrer Ideen auf die Finanzwissenschaft.

Eine Reihe von Philosophen hat sich mit dem Wesen des Geldes beschäftigt. Für Marx etwa war es “der Gott unter den Waren”. Wann besteht die Gefahr, dass Geld zum Fetisch wird?

Wenn Geld zum universellen Gegenwert wird, für den man alles bekommen kann, dann ist eine gefährliche Grenze erreicht. 2008, kurz vor der Finanzkrise, haben wir uns in einer Ausgabe des Philosophie-Magazins genau mit dieser Frage beschäftigt. Zu dieser Zeit war Nicolas Sarkozy an der Macht – ein Mann, der den Eindruck vermittelte: ‘Ich mache jetzt mal fünf Jahre Präsident und dann werde ich wie meine Freunde auch Milliardär sein’. Damals hatten wir wirklich das Gefühl, Geld wird unser Gott. Mit der Ausgabe versuchten wir dagegen anzukämpfen und die Idee Michael Walzers von den “Sphären der Gerechtigkeit” zu verteidigen, die unter anderem eine strikte Trennung der wirtschaftlichen und politischen Sphäre fordert.

Foto: Laurin Schmid

Warum selbst Superreiche immer mehr Geld anhäufen, das hat bereits Georg Simmel in seiner 1900 erschienen “Philosophie des Geldes” beschäftigt. Moral und Gesetz werden beim Streben nach Geld oft ausgeblendet. Macht Geld die Menschen schlecht?

Geld hat eine doppelte Funktion, Geld hat eine doppelte Funktion, das macht es kompliziert: Einerseits drückt es den Preis eines Gutes aus, andererseits ist es selbst ein Wert, weil es überall und jederzeit für jeden Zweck eingesetzt werden kann. So wandelt sich Geld vom Mittel des Tauschs zum Selbstzweck. Wenn aber Geld das Ziel ist – und nicht mehr nur ein Mittel, um Anderes zu erreichen –, dann wird es problematisch. Anders als bei anderen Gütern stellt sich bei Geld nämlich nie ein Gefühl des völligen Besitzes ein. Geld ist unendlich, man will immer mehr. Das ist die Falle, die Simmel – und vor ihm Aristoteles – beschrieben hat.

Waren Sie jemals in Gefahr, in diese Falle zu tappen?

Nein, ich glaube nicht. Für mich war Geld nie ein Ziel an sich. Vielleicht bin ich deshalb auch kein Banker geblieben.  

In der Finanzkrise wurden die “gierigen Banker” zum Sündenbock. Zu Recht?

Jemand, der einen nicht-idealistischen Blick auf die Welt hat, würde antworten: Dafür werden Banker – und Trader – doch bezahlt. Gierig zu sein ist Teil ihres Jobs! Im Ernst: Ich glaube nicht, dass der Markt ohne gierige Banker funktionieren würde.

Das klingt nach Adam Smith, der erklärte, wie die “unsichtbare Hand des Markts” den Egoismus des Einzelnen in Wohlstand für die Allgemeinheit verwandelt.

Ja, in gewisser Hinsicht müssen Banker gierig sein. Gefährlich wird es, wenn die Politik keine Regeln setzt und für ihre Einhaltung sorgt. Aber ich muss Adam Smith in Schutz nehmen: Die Aussage war sicher nicht als Lobpreisung von Egoismus gedacht.

Aber ist es fair, dem einzelnen Banker die Schuld zu geben? Oder nur leichter, als das ganze System infrage zu stellen?

Wenn man akzeptiert, dass der Kapitalismus amoralisch ist, kann man Bankern nicht allein die Schuld geben. Auch die, die mangelhaft kontrolliert haben, tragen Verantwortung. Trotzdem finde ich es nicht hinnehmbar, dass die Banker in der Krise behaupteten, sie hätten keine andere Wahl gehabt als mitzumachen. Wir leben in einem liberalen System – jeder ist für seine Taten verantwortlich. Das gilt auch für die Banker, die das System gefördert und davon profitiert haben.

Reflektierte Entscheidungen zu treffen, dabei kann die Philosophie helfen. Immer öfter bieten deshalb Hochschulen Studiengänge an, die Ökonomie und Philosophie verbinden. Eine gute Idee?

Ja, denn Philosophie lässt einen verstehen, warum man in der Wirtschaft so denkt, wie man denkt. Keine schlechte Voraussetzung für Manager. Hinzu kommt: Weil die Wirtschaftswelt immer gleichförmiger wird, muss sich derjenige, der Großes schaffen will, von anderen abheben. Wie schafft man das? Ein Teil der Antwort liegt in der Philosophie.

Es gibt Philosophieratgeber, die sich explizit an Manager richten, etwa “Seneca für Manager”. Lässt sich die Philosophie reduziert auf einzelne Zitate fürs Geschäft nutzen?

Philosophie ist keine Rezeptsammlung! Wer sich rein zweckorientiert mit ihr beschäftigt, wird scheitern. Philosophie hilft, Dinge vorauszusehen und den Standpunkt des anderen besser zu verstehen. Davon können Manager – aber auch Politiker – nur profitieren.

Warum sollten sich Philosophen mit Wirtschaft beschäftigen?

Ein Philosoph kann die Welt, in der er lebt, nicht ignorieren. Früher mussten Philosophen vor allem Politik verstehen, das war überlebenswichtig. Deshalb dominierte die politische Philosophie. Die Welt, in der wir leben, ist anders. Die Macht verschiebt sich mehr und mehr von der Politik zur Wirtschaft. Während Staaten heute oft arm und verschuldet sind, werden Konzerne wie Google immer reicher – und mächtiger. Zudem haben sie eine spezifische Weltanschauung. Wer nicht versteht, was sie tun, versteht auch nicht die Welt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation III/2015 Geld. Das Heft können Sie hier bestellen.