Rhetorikcheck: Jörn Wunderlich

Praxis

Selten hat die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) einen Redner mit einem solchen Lächeln, Augenzwinkern und langen Blick angekündigt wie Jörn Wunderlich (Die Linke). Schnell wird klar, warum: Es geht endlich einmal wieder um diejenigen, die zu kurz kommen in unserem Land. Richtig, natürlich die Frauen! Roths quergestreiftes, weißblaues Matrosenshirt unter dem Blazer verrät ihre rebellische Grundhaltung. Doch was kann ein Mann wie Wunderlich zum Kampf gegen die Unterdrückung der Frau beitragen?

Zahlen, Daten, Fakten und Stimme sitzen

Das Rednerpult fährt in eine bequeme Position und Wunderlich tritt an. Da kommt schon der erste Satz: “Familie, Pflege und Beruf. Man liest die Überschrift und denkt: Ein Quantensprung!” Seine Beine bewegen sich am Pult wie beim Autofahren. Wunderlich tritt aufs Gaspedal und beschleunigt sein Tempo. Doch dann bremst er. Seine Stimme findet ihre Mitte. Sie wird sonor und wohlklingend. Da hört man gerne zu. Es fühlt sich vertraut an, wie bei einem Familienmitglied. Vergessen sind der schwarze Anzug und die rote Krawatte auf schwarzem Hemd, wie sie sonst nur bei Begräbnissen oder auf Sankt Pauli in Mode sind.

Der Bundestag berät einen Gesetzentwurf der Regierung zur Neuregelung der Familienpflegezeit. Vollzeitarbeitende sollen für die Pflege der Familienangehörigen ihre Arbeitszeit reduzieren können. Doch für den Juristen Wunderlich schließt die Familienpflegezeit zu viele Arbeitnehmer aus, nämlich die 5,6 Millionen Beschäftigten in Kleinstbetrieben und mit Teilzeitstellen unter 15 Wochenstunden. Also vor allem Frauen.

Die Grenze des Guten liegt im Ausschluss der Schwachen

Die Frauen sind es, die von der Neuregelung nicht profitieren. Denn das Gesetzesvorhaben “hat ganz offensichtlich nur die voll berufstätigen, gut bezahlten Beschäftigten im Blick, um deren Ausstieg – und das hieße ja auch ‘Nicht auf die Fachkräfte verzichten’ – aus dem Berufsleben zu verhindern”, sinniert Wunderlich. Er fügt hinzu: “Teilzeitbeschäftigte mit geringer Stundenzahl sind im Grunde von der Inanspruchnahme der Familienpflegezeit (…) ausgeschlossen. Im Bau- und im Gaststättengewerbe ist das nahezu fast jeder zweite Beschäftigte, der von den Segnungen der Familienpflegezeit ausgeschlossen ist. Im Handel immerhin jeder Vierte.”

Fazit: Man mag Jörn Wunderlich sein Engagement glauben. Mit schüttelnden Fäusten und beherzter Stimme drückt er seine Hoffnung aus, dass sich das Gesetz in den kommenden Beratungen doch noch verbessern lässt. Schließlich sind über 75 Prozent der Menschen, die pflegen, Frauen. Frau Roth jedenfalls lächelt nochmals, als Wunderlich seine Rede beendet.

Mimik, Gestik, Körpersprache:

Lebendiger Ausdruck:

Redeaufbau: