Prominent präsent

Hauptstadtrepräsentanzen

Die Zahl der Unternehmensrepräsentanzen ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Woran liegt das? Sind Verbände überflüssig geworden? Können hauptamtliche Politikversteher und Berater im Dienste von DAX-Konzernen und Mittelständlern für ihre Arbeitgeber mehr erreichen als die Heerscharen von gut vernetzten und meist sehr kompetenten Verbandsvertretern?

Die Antwort ist: Jein. Je nach Problemstellung und Politikfeld gibt es unterschiedliche Strategien und deshalb keine eindimensionale Antwort auf die oben gestellten Fragen. Sicher ist allerdings – und diese Entwicklung ist ja vielfach beschrieben worden – dass die traditionellen Interessenverbände spätestens mit dem Ende der Bonner Republik beständig an Bedeutung verloren haben.

Dies ist aber nicht etwaiger Unfähigkeit oder mangelnder Ausstattung der Verbandsgeschäftsstellen zuzuschreiben, sondern einer ganz anderen Entwicklung. Der Austausch von Informationen, Positionen, Wissen und Argumenten hat sich mit dem Internet und der Digitalisierung unserer Kommunikation revolutionär verändert. Dies hatte und hat einschneidende Auswirkungen auf die politische Kommunikation.

Heimatlose Unternehmen?

Um diese Revolution verstehen zu können, lohnt es sich, noch einmal einen kurzen Blick zurück in die Bonner Republik zu werfen: Interessenvertretungen gegenüber der Politik waren in der alten Bundesrepublik sehr überschaubar und aus heutiger Sicht sehr “hausbacken” organisiert. Professor Rudolf Speth hat bereits 2010 in “Aus Politik und Zeitgeschichte” diesen Bruch sehr treffend beschrieben: “Vom Korporatismus zum Neopluralismus” lautete eine seiner treffenden Überschriften.

Der Verbände- und Gewerkschaftsstaat, der unter dem Leitbild Soziale Marktwirtschaft beide Pole der damaligen Interessenkanalisierung in der alten Bundesrepublik charakterisiert, ist verschwunden.

Die globale Veränderung der wirtschaftlichen Prozesse und ihre immer noch zunehmende Beschleunigung durch neue Technologien in einer weltweiten Echtzeitvernetzung haben viele Unternehmen “heimatlos” gemacht, weil sie keinem klassischen Industrie-, Handels- oder Produktionsbereich mehr zuzuordnen sind.
Die Bedürfnisse dieser Firmen, ihre Abhängigkeit von knappen Rohstoffen, seltenen Erden, komplizierter Logistik, vor allem aber schnellster und jeweils neuester IT-Strukturen, generieren immer weniger gemeinsame Interessen und Forderungen gegenüber der Politik.

Mit anderen Worten: Die Globalisierung und die mediale Vielfalt stellen das Geschäftsmodell der traditionellen Verbände infrage. Die Legitimation verändert sich, allerdings werden die “Dickschiffe” wie BDI, BDA, DIHK und andere nicht überflüssig.

Berlin und seine “Schnellboote”

Dass viele Unternehmen – vor allem solche, die von politischen Entscheidungen aktuell oder langfristig direkt betroffen sind – statt auf die “Dickschiffe” lieber auf “Schnellboote” setzen, verwundert nicht. Die Unternehmensrepräsentanzen in Berlin sind ganz überwiegend solche “Schnellboote”: effizient, schnell, zielgenau mit wenig Personal.

Wenn die großen Verbände immer öfter nur noch das kleinste gemeinsame Vielfache an Interessenvertretung sicherstellen, können Firmenvertretungen dieses Manko oft wettmachen. Meist unmittelbar dem Vorstand unterstellt, bekommen sie aus den Unternehmen die Roh- und Rahmendaten einer Problemstellung geliefert und wissen, an welches Ministerium, welche Fachabteilung, welche Abgeordnete sie diese Lieferung mit welcher Botschaft adressieren müssen.

Zeit-, Informations- und Reibungsverluste werden vermieden. Die in den großen Verbänden notwendige, oft komplizierte und zeitraubende Abstimmung und eventuelle Kompromissfindung mit konkurrierenden Unternehmen aus derselben Branche entfällt.

Der eigentliche Grund für den Bedeutungsverlust der Verbände ist aber die völlige Revolutionierung der politischen Kommunikation. Sie findet in Berlin nicht mehr in Hinterzimmern, Arbeitsgruppen, an Stammtischen, bei Arbeitsessen oder Skatrunden statt.

Revolution durch Digitalisierung

Sie vollzieht sich in aller Öffentlichkeit und jeder, der will, ob Verbandsvertreter, Unternehmensrepräsentant, Gewerkschaftsfunktionär oder Umweltaktivist kann, wenn er das Klavier der digitalen Medienwelt beherrscht, politische Botschaften binnen Sekundenfrist an die Zielgruppe, aber vor allem an die allgemeine Öffentlichkeit bringen. Dem Social Web sei Dank!

Politisches Lobbying vollzieht sich eben allen Unterstellungen zum Trotz heute weitgehend öffentlich. Die völlig veränderte Mediengesellschaft, die weiter zunehmende Digitalisierung, die ruinöse Konkurrenz auch traditioneller Zeitungen über ihre Online-Ausgaben, dutzende News-Portale, ums Überleben kämpfende Journalisten, die Ausstattung der Zielpersonen mit mobilen Endgeräten, über die sekündlich neue Push-Meldungen und Exklusiv-Headlines verbreitet werden – all das hat politische Kommunikation völlig verändert, eben revolutioniert.

Diese Kommunikation ist selbst bei Spezialthemen schwer kontrollier-, geschweige denn wirklich steuerbar. Hinzu kommt, dass auch politische Botschaften nicht mehr nur durch die traditionellen Verbreitungskanäle geschleust, sondern auch für die Boulevard-Presse “transportfähig” gemacht werden müssen.

Agenturen leisten Hilfe

Dies ist für Referatsleiter in einem Ministerium, Abteilungsleiter einer Bundesbehörde oder Mitarbeiter eines Abgeordneten zwar in der Regel von nachrangiger Bedeutung, für die Abgeordneten, den Minister, die Ministerpräsidentin oder Kanzlerin kann es aber wahlentscheidend sein, welche Medien welche Themen wie und wann transportieren. Den sozialen Netzwerken kommt dabei eine immer stärker wachsende Bedeutung zu, was die meisten Verbände zu wenig beachten beziehungsweise noch gar nicht beherrschen.

Lobbying und politische Kommunikation unterliegen in der digitalen Mediengesellschaft ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als zu Bonner Zeiten. Viele Unternehmensrepräsentanzen bedienen sich deshalb auch professioneller Unterstützung durch spezialisierte PR- und PA-Agenturen, wobei diese Trennung eigentlich längst überholt ist.

Es sind Kommunikationsagenturen, die parallel Politik und Medien bespielen können. Diese sind stärker gefragt denn je und haben sich in Berlin mindestens so vermehrt wie die Firmenvertretungen. Viele Unternehmen betrauen solche Agenturen auch gleich mit der Gesamtvertretung ihrer Interessen gegenüber der Politik, sowohl projekt- und themenbezogen als auch generell als ausgelagerte Unternehmensrepräsentanz.

Campaigning auf allen Kanälen

Befördert wurde und wird dies dadurch, dass Lobbying am besten funktioniert, wenn man selbst die Agenda mitbestimmen kann. Agenda Setting schafft eine Unternehmensrepräsentanz aber nicht alleine. Sie braucht dazu den Apparat des eigenen Hauses und die Unterstützung von außen durch geeignete Agenturen. Einhergehen wird dies immer öfter mit einem Campaigning, das für das direkte Lobbying über alle Kanäle immer bedeutsamer wird. Auch darauf hat Rudolf Speth bereits hingewiesen.

Multi-Channel-Kommunikation als Voraussetzung für effektives Agenda Setting und Campaigning gelingt allerdings (mit) den traditionellen Verbänden immer noch besser als Einzelkämpfern. Sie haben gegenüber der Öffentlichkeit und damit auch der Politik einfach mehr Bedeutung und Gewicht, weil sie dann nicht nur Einzelinteressen vertreten.

Obwohl sie sich in Bezug auf Mediennutzung, Kommunikationssteuerung und Campaigning der neuen Entwicklung angepasst haben, bleibt ihr Problem, dass sie nur bei großen, übergreifenden Themen ihre Fachkompetenz und ihre materiellen Ressourcen wirklich effektiv einsetzen können.

Auch ist die Zersplitterung gerade bei den Wirtschaftsverbänden kontraproduktiv. BDI, BDA, DIHK sprechen zu wenig mit einer Stimme. Eine Fusion zu einer schlagkräftigen Einheit würde der Wirtschaft insgesamt eine bessere Hebelwirkung verschaffen. Der heutige Abstimmungsprozess ist für schnelle und effektive Intervention in der Öffentlichkeit nach wie vor zu langsam und umständlich.

Minister und Abgeordnete müssen unter den hier beschriebenen Rahmenbedingungen politischer Kommunikation aber immer schneller Antworten geben und sprechfähig sein. Minister können den Apparat ihres Ministeriums nutzen, Abgeordnete nicht. Dieses Gap können Unternehmensrepräsentanzen viel besser nutzen als die Verbände. Und genau deshalb wird ihre Zahl weiter wachsen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Bonn – wo liegt das?. Das Heft können Sie hier bestellen.