Soll die Normenkontrolle reformiert werden?

Pro und Kontra

Pro
von Petra Sitte

Ein Viertel der Mitglieder des Bundestages kann Gesetze im Rahmen der so genannten abstrakten Normenkontrolle auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen lassen. Diese Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht kann im Sinne vieler potenziell Betroffener helfen, entstehende Ungerechtigkeit bereits vor einer Umsetzung zu vermeiden. Die Alternative ist die Klage eines konkret Betroffenen – nicht immer der bessere Weg, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Ein gutes Beispiel für strittige Fragen sind etwa die aktuell diskutierten Ausnahmen vom Mindestlohn, die den Gleichheitsgrundsatz tangieren.

In der Regel werden Gesetze von einer Regierungsmehrheit beschlossen, die naturgemäß keine verfassungsrechtlichen Zweifel an den eigenen Initiativen hat. Man bringt doch nicht ein Gesetz ein, verhandelt es wochenlang in den Ausschüssen, nur um es dann am Ende einer Verfassungsklage zu unterziehen. Es handelt sich bei der abstrakten Normenkontrolle also de facto um ein Instrument der Opposition. Die Rechte der parlamentarischen Opposition hat das Bundesverfassungsgericht eben auch als unentbehrlich für die Demokratie bewertet.

Im Unterschied zu früheren Zeiten stehen sich im politischen Geschäft nicht mehr Parlament und Regierung gegenüber. Koalition und Regierung bilden vielmehr oft eine politische Einheit, deren Kontrolle vor allem der parlamentarischen Opposition obliegt. Zu dieser Kontrolle gehört eben auch die Normenkontrolle, für deren Beantragung das Grundgesetz ein Quorum von mindestens einem Viertel der Abgeordneten vorsieht. Dieses Viertel erreicht die derzeitige Opposition im Bundestag nicht. Ein wichtiges Recht des Bundestages bliebe damit in dieser Legislaturperiode voraussichtlich ungenutzt. Es ist doch höchst widersprüchlich, wenn eine Landesregierung und die Bundesregierung eine Normenkontrollklage anstrengen können, ein solcher Antrag aus dem Parlament heraus aber nicht möglich ist.

Meine Fraktion hat daher beantragt, dieses Quorum im Grundgesetz zu verändern. Zukünftig sollten die Fraktionen, die nicht die Regierung tragen, eine abstrakte Normenkontrolle anregen können. Die Demokratie ist es wert.

Kontra
von

Der Wettstreit von Regierung und Opposition zeichnet die Demokratie aus. Nach Bildung der Großen Koalition war es für die SPD-Bundestagsfraktion daher selbstverständlich, die Rechte, insbesondere die Kontrollrechte, der Minderheit zu stärken. Die Geschäftsordnung des Bundestages haben wir gemeinsam mit CDU/CSU und den Grünen so geändert, dass sich die Oppositionsfraktionen in den Willensbildungsprozess des Parlaments einbringen können. Bedurfte es bislang eines Viertels der Parlamentsmitglieder, um Minderheitenrechte wahrzunehmen, können dies jetzt bereits 120 Abgeordnete, etwa um Untersuchungsausschüsse oder Sondersitzungen des Bundestages zu beantragen.

Keinen Bedarf besteht jedoch für eine Reform der Normenkontrollklage. Denn das Antragsrecht zum Verfahren der Normenkontrolle, das “bei Meinungsverschiedenheiten und Zweifeln” über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm in Gang gesetzt wird, stellt kein Minderheitenrecht dar. Das Quorum wurde 2008 gegen Ende der Großen Koalition in der 16. Wahlperiode von einem Drittel auf 25 Prozent herabgesetzt. Mit dem damaligen Gesetz wurde die Subsidiaritätsklage vor dem EuGH auf Grund europäischer Vorgaben mit einem Quorum von 25 Prozent eingeführt. Das Quorum für abstrakte Normenkontrollen wurde ausweislich der Gesetzesbegründung an dieses Quorum nur “angepasst”. Die Normenkontrolle dient nicht der Fortsetzung der Opposition mit anderen Mitteln. Sie ist ein Verfahren zum Schutze der Verfassung, das zur Wahrung seiner Effektivität außer der Bundesregierung oder einer Landesregierung nur einer qualifizierten Minderheit des Bundestages eingeräumt wird.

Auch die Praxis hat gezeigt, dass die Normenkontrolle kein Minderheitenrecht, sondern eine Verfahrensart unter mehreren zum Schutz der Verfassung ist. So wurde die Wahlrechtsreform der schwarz-gelben Bundesregierung in der 17.Wahlperiode vom Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundestagsabgeordneten der Fraktionen von SPD und Grünen aufgehoben, doch parallel hatten 3.000 Wahlberechtigte Verfassungsbeschwerde erhoben sowie die Grünen ein Organstreitverfahren geführt. Da alle Verfahren zur Entscheidung verbunden wurden, war ein Antragsrecht der Opposition zur Normenkontrolle nicht erforderlich.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Bonn – wo liegt das?. Das Heft können Sie hier bestellen.