Nicht so wild wie erwartet?

Digitaler Wandel

Spätestens auf Seite 36 des zunächst unscheinbaren grauen Bands “Wandel und Kontinuität der politischen Kommunikation” mag bei manchem Enthusiasten neuer, digitaler Möglichkeiten ein kurzer Moment der Enttäuschung eintreten. An dieser Stelle ist von hochtrabenden Erwartungen die Rede, die vor einigen Jahren an neue Partizipations- und Kommunikationsmodi gestellt wurden, heute allerdings nicht eingetreten seien. Weder hätten sich Hoffnungen in Bezug auf neue Demokratiepotenziale bisher erfüllt, noch hätten Online-Medien die Vorherrschaft im Prozess der Politikvermittlung erreicht. Uwe Jun, der mit seinem Beitrag zur Medialisierung politischer Parteien den Aufschlag macht, fasst zusammen: “Eher ist von moderaten Veränderungen im politischen Kommunikationsverhalten auszugehen, nur ein kleiner Teil der Onliner artikuliert sich politisch im Netz, abhängig von Alter, Bildung und politischem Interesse.” Ein Grundtenor, der sich durch die meisten Aufsätze zieht.

Der große Knall ist ausgeblieben

Also ist alles gar nicht so neu, so aufregend wie erwartet? Jein. Auch wenn die Gesamtsituation sich noch nicht als das Resultat einer großen Revolution entpuppt und die etablierten Medien – Bedeutungseinschnitten zum Trotz – auf absehbare Zeit nicht verschwinden, wird der Wandel in der Einzelschau verhältnismäßig neuer Phänomene wie dem Social-Media-Wahlkampf und Liquid-Democracy-Ansätzen als deutlich spürbar aufgezeigt.

Von dem nüchternen und wenig modernen Layout des 205-Seiten-Büchleins sollte man sich nicht beirren lassen, im zweiten Band der Schriftenreihe Politik und Kommunikation stecken aufschlussreiche und teils zukunftsweisende Beiträge. Die Sammlung ist in zwei Teile gegliedert. Die Autoren der ersten Hälfte beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Parteien und Medien, genauer: wie politische Akteure neue Handlungsspielräume ausloten und versuchen, diese für sich zu nutzen (mit eingeschränkten Erfolgen). Im zweiten Themenblock “Die Medienarena und die Politik” liegt der Fokus auf der Einordnung der neuen Praktiken und der Frage nach ihrer demokratischen Legitimation.

Im ersten Teil sticht sowohl sprachlich als auch inhaltlich der Beitrag von Frank Brettschneider zur Wahlkampfkommunikation der Bundestagswahl 2013 hervor. Darin beleuchtet er die Art des Themenmanagements mit Wahlprogrammen, Plakaten und dem vielbeachteten Kanzlerduell – in dem jedoch letzten Endes bei vielen nur die “Schlandkette” der Bundeskanzlerin hängen blieb. Brettschneiders Analyse der Kampagnen der verschiedenen Parteien ist informativ und prägnant.

Die SPD und der Schokoriegel

Einer spannenden Frage geht auch Guido Zurstiege nach: Werden Parteien Medienhäuser? Solche, die besonders die junge Zielgruppe ansprechen, gäben zwar in den sozialen Medien den Ton an, wahlentscheidend sei das jedoch nicht. Denn gemessen an den Erfolgszahlen von werbetreibenden Unternehmen falle ihr kommunikativer Erfolg im Netz sehr gering aus. So habe die SPD am Ende des vergangenen Bundestagswahlkampfs knapp 4.100 Abonnenten auf ihrem Youtube-Kanal verzeichnet, der nicht besonders aufsehenerregende Kanal des Schokoriegels Kitkat habe demgegenüber 12.000 Fans – ein Vergleich, der sich einprägt.

Ein Highlight im zweiten Themenblock stellt der Aufsatz von Ulrich Sarcinelli dar. Der Professor der Universität Koblenz-Landau bezieht den dystopischen Roman “Der Circle” von Dave Eggers in seine Überlegungen zum Strukturwandel von Öffentlichkeit ein. Diese Heranführung an das Thema ist originell und seine Gedanken zur immer weiter reichenden Forderung nach Transparenz und digitaler Beteiligung des Einzelnen absolut lesenswert. Sarcinellis Fazit: “Auf dem Weg zu einem neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit bleibt die Unsicherheit, wie für die Zukunft demokratietaugliche Kommunikationsbedingungen geschaffen werden können. Sicher erscheint lediglich, dass es dabei um mehr als um die bloße Bewirtschaftung von Aufmerksamkeit gehen muss. Denn die erwiese sich schon deshalb als eine moralische Zumutung, weil sie allenfalls das Unbeteiligt-Beteiligtsein in einer Konsumentendemokratie förderte.”

Einer spannenden Frage geht auch Mitherausgeber Michael Jäckel nach: “Kann es noch politische Helden geben?” Darin schildert er seine Beobachtungen der wachsenden gesellschaftlichen und journalistischen Skepsis gegenüber dem Berufspolitiker. Wie viel Emotionalisierung und Personalisierung von Politik sind nötig, um Menschen für sich und die politische Haltung einzunehmen? Ein konkretes Fazit zu dieser Fragestellung bleibt jedoch leider aus.

Fazit

Wer sich mit politischer Kommunikation und dem Medienwandel beschäftigt, wird in “Wandel und Kontinuität der politischen Kommunikation” keine bahnbrechenden Neuigkeiten finden, dafür aber eine kurzweilige Zusammenschau aktueller Entwicklungen. Der Tonfall der meisten Beiträge ist sachlich-nüchtern, ohne dabei zu sehr ins Wissenschaftsdeutsch zu verfallen. Einen Wermutstropfen stellen die zahlreichen Tippfehler dar. Der Sammelband ist trotz seines geringen Umfangs thematisch breit aufgestellt und gibt einen guten Überblick über das sich wandelnde Verhältnis von Politik und Medien. Es handelt sich um eine Momentaufnahme; die Mehrheit der Autoren bleibt nah an der gegenwärtigen Realität, begibt sich kaum auf das dünne Eis, Prognosen anzustellen. Das ist für einen wissenschaftlichen Band angemessen, dennoch wäre bei diesem Thema an der einen oder anderen Stelle ein Blick über den Status quo und Betrachtungen der vergangenen Bundestagswahl hinaus wünschenswert gewesen.

Michael Jäckel, Uwe Jun (Hrsg.): Wandel und Kontinuität der politischen Kommunikation. Schriftenreihe Politik und Kommunikation Bd. 2. Verlag Barbara Budrich. 44 Euro.