"Good journalism is good business"

US-Medienmarkt

[no-lexicon]Zum Ende des ersten Kongresstages wollte Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer, noch einen Blick in die Zukunft der Printmedien werfen. Bis dahin war der Zeitungskongress, das Jahrestreffen des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), vor allem von aktuellen Sorgen der Verleger dominiert: sinkende Auflagen im Print-Bereich und der Mindestlohn für Zeitungszusteller.

Doch anstatt “Mauern um die verbleibenden Papierangebote” zu ziehen, wolle er die Medien von morgen mit gestalten, sagte Döpfner zu Beginn seines Vortrags. Ihm sei “nicht bange” um die Zukunft von Qualitätsmedien, nur würden Zeitungsartikel in Zukunft wohl nicht mehr auf Papier sondern in digitaler Form erscheinen. Mit anspruchsvollem Journalismus im Internet erfolgreich zu sein und Geld zu verdienen, sei entgegen der Einwände vieler Branchenvertreter durchaus möglich. Gewissermaßen als lebenden Beweis hatte der Springer-Chef den US-Amerikaner John F. Harris zu dem Kongress im Hotel Grand Hyatt am Potsdamer Platz eingeladen.

Harris war lange Journalist bei der renommierten “Washington Post” gewesen, bevor er sich 2007 mit einer Hand voll Kollegen selbstständig machte und das Start-up “Politico” aus der Taufe hob. Innerhalb weniger Jahre avancierte die Webseite zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für politische Nachrichten in den USA. Die Printausgabe erscheint in den Sitzungswochen des amerikanischen Kongresses täglich. Inzwischen hat das Unternehmen allein in der Redaktion 170 Beschäftigte. Jetzt wagt “Politico” den Sprung nach Europa: Gemeinsam mit Axel Springer soll ein Ableger der Nachrichtenseite in Brüssel entstehen.

Der Zeitungsmann aus der Zukunft

Als ehemaliger Printredakteur kennt Harris die prekäre Lage des Zeitungsgeschäfts nur zu gut. Seine Einschätzung sei, dass die Entwicklung der Medienbranche in den USA der europäischen etwa zehn Jahre voraus sei, sagte er dem betagten Verleger-Publikum. Tatsächlich haben die USA das große Zeitungssterben wohl schon hinter sich. Im Zuge der Finanzkrise 2009 wurden viele Publikationen eingestellt. An deren Stelle trat eine Vielzahl von Nachrichtenportalen – wie “Politico” –, die nun mit den verbliebenen Verlagshäusern um eine schrumpfende Leserschaft ringen.

Harris sieht eine Lösung des Problems in der Spezialisierung. Er sei stolz darauf, mit “Politico” Nischenjournalismus zu betreiben, stellte er klar. Anders als die Konkurrenz von “Buzzfeed” und der “Huffington Post” sei man nicht auf Klickzahlen fixiert. “Politico” fahre ein ganz anderes Geschäftsmodell: Das Kapital seiner Webseite, so Harris, sei das exklusive Publikum. Er mache Nachrichten von Politik-Nerds für Politik-Nerds. Wer bei “Politico” Werbung schalte, der wisse genau, dass er jene “inside the beltway”, also jene im Maschinenraum der amerikanischen Politik und Entscheidungsträger erreiche, deren Wort in Washington D.C. Einfluss habe. So kann Harris von seinen Anzeigenkunden einen Aufschlag verlangen.

Das “Playbook” bestimmt die Agenda

In seinem Buch “This Town” über die Verquickung von Politik und Medien in den USA räumte Mark Leibovich, Hauptstadtkorrespondent des “New York Times Magazine”, “Politico” eine zentrale Rolle ein. In Washington D.C. habe Harris‘ Webseite den “Dialog zwischen Medien und Politik revolutioniert”, sagte der Journalist kürzlich in einem Interview mit dem Radiosender WNYC. Besonders einflussreich ist dabei der zu “Politico” gehörende Newsletter “Playbook”. Die allmorgendliche Presse- und Themenschau zählt etwa 100.000 Abonnenten. Sie beeinflusst, welche Themen die politischen Talkshows aufgreifen, was in den Abendnachrichten gezeigt und in den Zeitungen am nächsten Tag gedruckt wird. “Playbook” spiele in der US-amerikanischen Politik inzwischen die Rolle, die früher die Titelseite der “New York Times” inne gehabt habe, so Leibovich.

Kein Wunder also, dass inzwischen auch deutsche Medienhäuser das Potenzial morgendlicher Presseschau-Konzepte erkannt haben. So auch Axel Springer: Seit September verschickt “Bild”-Politik-Chef Béla Anda eine morgendliche Rundmail mit dem Titel “Seite 2 Online”.

Überhaupt haben “Bild” und “Politico” mehr gemein, als man auf den ersten Blick erwartet. Harris ist stolz auf die boulevardesken Einflüsse auf seiner Webseite. Man sei ein Stück wie die seriöse “New York Times” und ein wenig wie die reißerische “New York Post”, erklärte er dem Publikum. Auch teilt Harris Döpfners Einstellung zum Qualitätsjournalismus, wie sich in der Diskussionsrunde im Anschluss an Harris’ Vortrag herausstellte. In Bezug auf immer knapper werdende Redaktionsressourcen und die zunehmende Verflachung der Berichterstattung stellten beide Männer klar: “Good journalism is good business” – Guter Journalismus ist gut fürs Geschäft.[/no-lexicon]